"Bibliostil":Innen leben

Lesezeit: 2 min

Wir sind jetzt viel zuhause und erfahren: Mit Büchern zusammenzuwohnen ist eine schöne Kunst. Vor allem mit den ungelesenen.

Von Felix Stephan

Es gibt in Ingo Schulzes Roman "Die rechtschaffenen Mörder" einen Dresdner Antiquar, der in seinem Buchladen in der egalitären DDR ein System radikaler Ungleichheit etabliert. Dieses System stützt sich auf Bildungsdistinktion, die absolute Gewalt des Buchhändlers über die knappe Ware "Buch" und dessen mythische Autorität. Als nach dem Ende der DDR die Bücher plötzlich kubikmeterweise in den Hinterhöfen liegen, kollabiert das System sofort. Der Antiquar verliert erst seinen Hofstaat, dann seinen Laden und schließlich seine Würde.

Seiner eigenen Auffassung nach ist der Grund für seinen Abstieg die Ignoranz und Kaltherzigkeit des freien Marktes und die Geistesferne des kapitalistisch deformierten Menschen. Wenn man sich jetzt allerdings durch den Bildband "BiblioStil" der Innenarchitektin Nina Freudenberger blättert, kommt einem noch ein ganz anderer Fehler in den Sinn, den der ostdeutsche Antiquar begangen hat: Er hat die Bücher einfach viel zu sehr von ihrem Inhalt her gedacht. Seinen Beruf legte er aus wie ein bildungsbürgerliches Priesteramt, jeder Einkauf bei Schulzes Antiquar war immer gleichzeitig auch eine Prüfung, ein stummes, banges Werben um die Gunst des verklärten Verkäufers. Das ist natürlich nicht ganz ohne Appeal, fragen Sie jeden im George-Kreis. Aber während die Mitgliedschaft in einer freigeistigen Geheimgesellschaft in einem totalitären Staat einen gewissen Charme hat, will sich dieser Prozedur natürlich niemand mehr unterziehen, wenn er seine Bücher auch einfach woanders kaufen kann.

Das Antiquariat von Schulzes Figur Norbert Paulini löst sich nicht auf, weil es so vergeistigt war, sondern weil es so autoritär war. Und diesen Fehler hat das DDR-Buchwesen vielleicht überhaupt gemacht. Wenn man sich die Reclam- und Volk und Welt-Ausgaben anschaut, sahen sie aus wie eine buchgewordene DDR: sehr preiswert, nicht ganz unpraktisch, aber kaum anzuschauen. Als Borges erklärte, er stelle sich den Himmel vor wie eine Bibliothek, hatte er jene von Norbert Paulini jedenfalls eher nicht vor Augen.

Umberto Eco riet, mit Büchern zu leben, die man noch lesen könnte

Wenn hingegen die Innenarchitektin Nina Freudenberger über Bibliotheken nachdenkt, geht es vor allem um deren Wohnlichkeit: "Seit jeher beschäftigt mich die Frage, wodurch ein Haus zu einem Zuhause wird" schreibt sie im Vorwort zur ihrem Bildband und ihre 15 Jahre Berufserfahrung haben offenkundig ergeben, dass ein asketischer Bildungsautoritarismus nicht dazugehört. Bücher jedoch schon: Bücher seien ästhetisch, schreibt sie, und "ihre Anordnung im Regal oder ein farbiger Stapel auf dem Beistelltisch verleihen jedem Raum Balance und Struktur".

Es gibt also zahlreiche balancierte und strukturierte Räume zu sehen in diesem Band und vielerlei Bibliotheken, die sich in der Draufsicht zu behaupten wissen: Sie korrespondieren mit der Wandfarbe, gewinnen durch einen schmeichelhaften Lichteinfall oder komplimentieren den Teppich. Aus den Protokollen ihrer Besitzer geht jeweils detailliert hervor, wie diese Bibliotheken bewohnt werden. Karl Ove Knausgård teilt seine Bücher zum Beispiel in drei Kategorien ein: "Bücher, die er lesen möchte, Bücher, die er lesen muss, und Bücher, von denen er meint, er sollte sie lesen. Zur letzten, unveränderlichen Kategorie - seiner Meinung nach der Stapel für das Über-Ich - gehören viele Philosophie-Bücher."

Von Jonathan Safran Foers Bibliothek erfahren wir, dass sie buchstäblich ein eigener Raum "mit extra angefertigten blauen Regalen" ist, dass sich dort außerdem ein großes Sofa im Liberty-Print-Stil, ein weißer, weicher Teppich und Vintage-Leuchten befinden und der Autor sich außerdem Umberto Ecos Rat zu Herzen genommen hat, mit Büchern zu leben, "die man noch lesen könnte".

Der Pariser Illustrator Pierre Le-Tan verweist wiederum auf seine aufwendig gestalteten Proust-Ausgaben aus der Bibliothek Peggy Guggenheims und erklärt, er werde "exakt diese Ausgabe zur Hand nehmen", wenn er das Werk erneut lese. Der Vorteil schöner Bücher in Kombination mit schönen Zimmern ist, das macht dieser Band unübersehbar klar, dass sie sich auch dann nützlich machen, wenn man sie nicht liest.

Nina Freudenberger mit Sadie Stein: BiblioStil. Vom Leben mit Büchern. Fotos von Shade Egges. Prestel, München 2020. 272 Seiten, 36 Euro.

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: