Beutekunst-Ausstellung:Flügel des Odinsraben

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Die Merowinger-Ausstellung in Moskau zeigt wertvolle Pretiosen aus der Völkerwanderungszeit und markiert das Umdenken in der deutschen Beutekunst-Strategie.

Sonja Zekri

Es ist eine der undurchsichtigsten Perioden der europäischen Geschichte, aber vielleicht hat gerade dies das Projekt zum Erfolg geführt. Die deutsch-russische Ausstellung "Merowinger - Europa ohne Grenzen", die am Montag in Moskau eröffnet wurde, zeigt wunderschöne, rätselhafte Pretiosen aus der Zeit der Völkerwanderung, aber es sind nicht jene mythischen Schätze, deren Namen allein die Leidenschaften wecken, nicht die gleißenden, hochsymbolischen Kollektionen wie etwa das Schliemann-Gold.

(Foto: Foto: dpa)

Was im Weißen Saal des Moskauer Puschkin-Museums zu sehen ist, gewinnt seinen Glanz aus den Objekten, aber mehr noch aus der Genese dieser Ausstellung.

Die Objekte, das sind vor allem Schätze aus Grabfunden vom Atlantik bis zum Ural, die aus der Epoche zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert stammen, einer selbst nach damaligen Maßstäben unruhigen, gewalttätigen Ära, in der Alanen, Vandalen und andere germanische Stämme die Hegemonialmacht - Rom - überrannten, und das Christentum jahrhundertealten heidnischen Bräuchen Konkurrenz machte.

Filigrane Mythen

Viele der Stücke zeigen magische Runen und sagenhafte Figuren. Welche Bedeutung etwa hat jener silberne Schwertbeschlag aus Gutenstein, der eine Figur mit Werwolf-Maske zeigt, die Schwert, Speer und Köcher trägt? Mehr als ein Kilo wiegen die goldenen Halsringe aus Cottbus, aber das ist eine Ausnahme. Die meisten Objekte sind filigran, Bügelfibeln mit Zikadenköpfen oder Odinsraben, Perlen, Ringe mit rotem Almandin, goldene Anhänger mit stilisierten Hakenkreuzen.

Einige wenige Stücke stammen aus den Grabungen russischer Archäologen. Vieles aber wurde sechzig Jahre lang nicht gezeigt, nicht einmal erwähnt. Lange Zeit wusste selbst Wilfried Menghin, der Leiter des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, nicht, wo die meisten der Stücke vor dem Krieg lagen, in welchem Zustand jene Objekte waren, die die Rote Armee 1945 nach Moskau geschafft hatte. Erst vor vier Jahren konnte Menghin das Merowinger-Gold in Moskau erstmals anschauen.

Wilhelm Unverzagt, Menghins Vorgänger, hatte bereits 1939, noch vor Beginn des Krieges, Tausende Objekte erfassen und verpacken lassen - nach den Kategorien "Unersetzliches", "Wertvolles" und "Übriges". "Unersetzliches" - das war neben dem Schliemann-Gold und dem Goldfund von Eberswalde der Schmuck der Völkerwanderung.

Er hatte die Kisten in den Flakturm am Zoo geschafft, vor Bomben und Beschuss gerettet, aber als alles vorbei war, im Frühjahr 1945, brachte die sowjetische Trophäenkommission die Kisten nach Moskau. Unverzagts Haus verlor 60 Prozent seiner Bestände: Ein Rumpfmuseum.

Wohin mit dem Gold?

An diesem, aus deutscher Sicht unhaltbaren Zustand wird auch die Merowinger-Schau wenig ändern, im Gegenteil. Bei aller Zufriedenheit über die Kooperation hat die Schau einen resignativen Kern: Die Rückführung aller Beutekunststücke, der Kilometer Bibliotheksbestände, der Tausende Gemälde und Skulpturen, geschweige denn des Schliemann-Golds rückt zumindest vorerst in weitere Ferne. Denn nun können die Russen den Vorwurf der Heimlichtuerei glaubwürdig entkräften.

Wo doch nun alles frei zugänglich ist, wo deutsche und russische Wissenschaftler so schön zusammenarbeiten - was für eine Rolle spiele es da noch, wo die Stücke liegen, sagen russische Museumsdirektoren. Eine große, sagen ihre deutschen Kollegen, aber sie sagen es nicht mehr so laut.

Die Merowinger-Schau markiert einen Wandel in der deutschen Beutekunst-Politik. Lange Zeit hatten deutsche Museumsleute Maximalforderungen gestellt, die nicht nur das russische Beutekunstgesetz ignorierten, sondern auch die latent großrussische Stimmung und die Empfindlichkeiten eines Volkes, dem Deutschland einst überhaupt die Kulturfähigkeit hatte absprechen wollen.

Die Russen blieben stur, selbst dann noch, als Deutschland endlich die richtigen Gesten fand, etwa die Restaurierung des Bernsteinzimmers. Die Merowinger-Schau ist der Abschied von der Gesamtlösung. Im besten Fall, so hoffen die Deutschen, ist es nur ein Abschied auf Zeit.

© SZ vom 13.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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