Besetzungsänderung:Echte Bayreuth- Spannung

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Evelyn Herlitzius, hier als Lady Macbeth von Mzensk. (Foto: Eventpress Hoensch)

Evelyn Herlitzius wird statt Anja Kampe die "Isolde" in der Festspiel-Produktion unter Christian Thielemann singen.

Von Reinhard J. Brembeck

Bayreuth kommt nicht zur Ruhe. Nach-dem kürzlich erst die Nachricht die Runde macht, dass man Eva Wagner-Pasquier, einer der beiden Leiterinnen des Festivals, ein "Hügelverbot" für die Festspielzeit erteilt habe - die Festspiele bestreiten das -, war nun auf deren Website zu lesen, die für die diesjährige Neuproduktion von "Tristan und Isolde" vorgesehene Isolde, Anja Kampe, sei durch Evelyn Herlitzius ersetzt worden. Mittlerweile, heißt es jetzt auf der Website, habe Kampe die Rolle zum großen Bedauern der Festspiele zurückgegeben, der Vertrag sei im gegenseitigen Einverständnis gelöst worden.

Diese Umbesetzung vier Wochen vor der Premiere, die einer Katastrophe gleichkommt, wird lapidar und ohne Begründung mitgeteilt, die Betroffenen schweigen. Im Netz, dieser recht jungen Mutter aller Gerüchteküchen, kursieren daher schon wieder die kühnsten Verschwörungstheorien (gern auch unter der Gürtellinie), in die vor allem die beiden diesjährigen Bayreuth-Dirigenten Christian Thielemann und Kirill Petrenko verwickelt werden. Seit vor einer Woche Petrenko und nicht, wie von vielen erwartet, Thielemann zum neuen Chef der Berliner Philharmoniker gewählt wurde, werden die beiden gern zu Antagonisten stilisiert.

Doch bei genauerer Betrachtung der Bayreuther Pressemitteilung stellt sich der Fall Kampe/ Herlitzius recht prosaisch dar. Anja Kampe, die 2002 erstmals in Bayreuth sang, hat die Isolde erst Anfang des Jahres zugesagt. Sie ist eine erfahrene Wagner-Sängerin, angenehm das Stimmtimbre, leidenschaftlich dem Bühnenspiel ergeben. Auch hat sie schon ein paar Erfahrungen gesammelt mit der Isolde, dieser nach der Brünnhilde im "Ring des Nibelungen" anstrengendsten und umfassendsten Frauenrolle Wagners. Gleichzeitig wollte Kampe in diesem Jahr auch wieder die Sieglinde in dem von Frank Castorf inszenierten und von Petrenko dirigierten "Ring" singen - was sie hinreißend macht.

Von dieser "Tristan und Isolde"- Produktion hängt für die Festspiele sehr viel ab

Die Sieglinde wird sie nun singen, ersteres ging wohl selbst über die Kräfte dieser Meistersängerin. Dass schließlich die Regisseurin und Bayreuth-Chefin Katharina Wagner und Dirigent Thielemann gemeinsam mit Kampe die Reißleine gezogen haben, ist verständlich. Denn von dieser "Tristan"-Produktion hängt viel ab. Der Bayreuther Castorf-"Ring" bringt nach wie vor die konservativen Musikfreunde zum Toben, ähnlich wie schon Katharina Wagners erste Bayreuther Regiearbeit in den "Meistersingern". Auch der Wagner-Intimus Thielemann hatte bei seinem Wiener "Tristan" 2003 einige Probleme. Regisseurin wie Dirigent, die Zentralgestalten der Bayreuther Zukunftsplanung, müssen jetzt zeigen, dass sie es besser können als früher - und zudem eine Produktion präsentieren, mit der sowohl die konservativen als auch die fortschrittlichen Wagner-Bewunderer leben können.

Das ist eine schier unlösbare Aufgabe. Wenn sich zudem einer der Protagonisten in diesem aufreibenden Zwei-Personen-Stück vielleicht nicht völlig glücklich mit seiner Partie fühlt, dann ist der Gau vorprogrammiert. Eine solche Umbesetzung in einer solch heiklen Situation und zudem ohne Gesichtsverlust für die Beteiligten zu kommunizieren, ist schwer. Die Festspiele haben das bisher geschickt gemacht. Was Bayreuth im Allgemeinen ja nicht zugetraut wird, gilt es doch schlechthin als die Hochburg perfider (Familien-)Intrigen.

Mit Evelyn Herlitzius tritt eine ausnehmend Bayreuth-erfahrene Sängerin an. Sie hat dort wie Kampe 2002 ihr Debüt gegeben, allerdings gleich mit der Brünnhilde, es folgten Kundry und Ortrud. Diese drei Monsterrollen sind ein ideales Sprungbrett zur Isolde, die Herlitzius zuletzt in Essen und Budapest gesungen hat. Gerade hat sie die "Götterdämmerung" absolviert und ist für die nicht minder anstrengende Elektra gebucht, was nur zeigt, dass auch Herlitzius für Bayreuth an Grenzen gerät.

Aber die meisten Sänger würden wohl noch viel mehr riskieren, um überhaupt einmal in Bayreuth aufzutreten. Zudem sind kurzfristige Umbesetzungen Opernalltag. Jeder Zuschauer erinnert sich mit besonderem Entzücken an jene aufwühlenden Abende, an denen die Regisseurin oder die erkrankte Sängerin spielten, während eine kurzfristig engagierte Ersatzfrau vom Bühnenrand die Partie einsang. Operntheater bedeutet eben immer volles Risiko, weil es stets die Summe eigentlich unmöglicher Kompromisse ist. Was die Sache ja auch so unvermindert spannend macht - oder eben zu grauenvollen Abstürzen führt. Diese Goldene Regel gilt auch für Bayreuth.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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