Besetztes Theater II:In der Volksbühne gewesen. Geweint

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Warum sind diese Theatermacher so hilflos, wenn ihnen eine Performance ihre Räume wegnimmt?

Von Lothar Müller

Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, haben Worte ein höheres spezifisches Gewicht als im Alltag. In einem gehauchten "Ach!" kann sich eine ganze Tragödie verbergen, in einem hingeschleuderten "Schnauze!" die Essenz einer Farce. Man sollte deshalb meinen, dass Theaterleute ein feines Sensorium für die Schlagkraft von Worten und Begriffen haben, zumal dann, wenn es um sie selber geht. Wenig davon ist derzeit im Konflikt um die Berliner Volksbühne zu spüren. Es werden, wie bei jeder Betriebsbesetzung, die Voraussetzungen und Folgen einer möglichen Räumung juristisch und politisch durchdekliniert, es wird noch einmal rekapituliert, wie es zur Berufung von Chris Dercon als Nachfolger von Frank Castorf kam, und es wird nach dem Kultursenator Klaus Lederer gerufen. Was aber vollkommen fehlt, ist eine Klärung der Worte und Prüfung der Begriffe, mit denen die Besetzer in ihren Manifesten ihre Aktion legitimieren.

Es sind ästhetische Begriffe, und sie brechen nicht von außen in den aktuellen Theaterbetrieb hinein. Im Gegenteil: Sie könnten in jedem dritten Programmheft dieses Betriebs stehen. Als "darstellende Theaterperformance" will das Künstlerkollektiv "Staub zu Glitzer" seine Aktion verstanden wissen: "Wir wollen mit unserer transmedialen Theaterinszenierung ein Zeichen setzen gegen die aktuelle Kultur- und Stadtentwicklungspolitik." Es war in den letzten Tagen viel von Gentrifizierung und den kulturellen Freiräumen die Rede, die in Berlin angeblich geschlossen wurden. Aber die Diskussion, die nun eigentlich geführt werden müsste, fand bisher nicht statt.

Sie hätte ein einfaches Thema: Ist das, was derzeit an der Volksbühne geschieht, tatsächlich eine Performance, steht auf dem Plakat der Besetzer zu Recht "Doch Kunst"? Darauf gibt es zwei Antworten. Ja, dieser Einbruch des Lebens in einen Raum der Kunst ist durch das ästhetische Prinzip Performance gedeckt, die Volksbühne sollte ihm Raum geben. Oder: Nein, wir erleben derzeit in der Volksbühne nicht nur die physische Besetzung eines Theaterraums, wir erleben zugleich die Usurpation und Besetzung des ästhetischen Prinzips Performance und damit die Krise eines Erfolgsmodells des gegenwärtigen Theaters. Chris Dercon scheint nicht der Mann zu sein, der gewillt und in der Lage ist, das ihm anvertraute Theater durch eine offensive Debatte über das Konzept Performance zu verteidigen. Er findet die politischen Ziele der Aktion (Gentrifizierung stoppen etc.) irgendwie okay, will keinesfalls Gatekeeper sein, hat den Besetzern angeboten, sie könnten den Grünen Salon und den Pavillon der Volksbühne für ihre Performance nutzen. Die haben aber, wie der taz vom Mittwoch zu entnehmen ist, sehr viel weiter reichende Vorstellungen: "Wir schlagen eine Interimsintendanz von zwei Jahren vor, um mit Stadt, Senat, Mitarbeitern und Künstlern ein Konzept für die Volksbühne zu entwickeln."

Ziemlich langwierige Performance also, und eher für die Hauptbühne gedacht. Kurz, die Besetzer wissen, was sie wollen. Die Theaterleute in der Volksbühne, aber auch viele ihrer Kollegen landauf, landab scheinen es nicht so recht zu wissen und auch keinen Klärungsbedarf zu sehen, was das Konzept Performance angeht.

Die Proben sind der ästhetische Kern des Theaters. Sie sind nun lahmgelegt

Auffällig viele Theatermacher finden die Vorstellung, die da in Berlin gegeben wird, auch dann gut, wenn sie die Selbstermächtigungsrhetorik der Besetzer und die organisatorischen Konsequenzen ihrer Aktion bedenklich finden. Thomas Oberender etwa, Intendant der Berliner Festspiele, gab in einer Umfrage dieses Feuilletons zu Protokoll (SZ vom 26.9.): "Als künstlerische Aktion hat die Besetzung Sinn." Und twitterte, nachdem er in die Performance mal hineingeschaut hatte: "Bin heute Abend in die besetzte Volksbühne gegangen. Mit einigen Vorurteilen & gehe sehr berührt & angeregt weg."

Die Besetzungsaktion erinnert, auch in ihrer Rhetorik, an die außerparlamentarische Opposition der Sechzigerjahre. Man darf gespannt sein, ob die Theaterszene ähnlich gelassen auf Bühnenbesetzungen durch die heutige APO reagiert, die für die Verbreitung von "Wir sind das Volk"-Parolen gern ehemals links codierte Protestformen einsetzt. Bis jetzt scheint unter Theaterleuten die ästhetische Affirmation der Besetzung attraktiv zu sein. Manche sehen in ihr eine der wichtigsten Premieren der noch jungen Berliner Saison. Einen logisch schlüssigen Weg von dieser Position zu einer Ablehnung der Forderung der Besetzer nach einer Interimsintendanz gibt es nicht. Warum die interessanteste und erfolgreichste Newcomer-Truppe der Berliner Szene entmachten?

Thomas Ostermeier, Chef der Berliner Schaubühne, der einst in der Baracke des Deutschen Theaters selber mal mit einer Newcomer-Truppe erfolgreich war, empfiehlt seinem Kollegen Chris Dercon, er solle so souverän sein, die Besetzer bis November an der Volksbühne machen zu lassen, was sie wollen. Er selber sei ja bis dahin in Tempelhof am Werk und wolle das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz erst in drei Monaten nutzen.

Ostermeier weiß bestimmt, dass eine Kapitulation nicht dadurch ihren bitteren Geschmack verliert, dass man sie eine souveräne Entscheidung nennt. Und er weiß wohl auch, dass in den drei Monaten Besetzer-Performance ein manifestes Problem steckt. Man kann im November eine Produktion nur herausbringen, wenn man sehr viel früher mit den Proben beginnt. Die Lahmlegung der Volksbühne als Raum von Proben spielt in den aktuellen Berliner Debatten zwar eine Rolle, aber nicht die ihr angemessene. Bei den einen erscheint sie als eine Art unvermeidlicher Kollateralschaden oder notwendiger Tribut an die aufregendste Premiere der noch jungen Berliner Saison; bei den anderen als vor allem organisatorisches Problem. "Theater sind ja nicht nur Hüllenhäuser, sondern extrem zerbrechliche, sehr komplex arbeitende Mechanismen und Konstruktionen", sagte Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins und Intendant des Deutschen Theaters.

Solche Sätze sind für die Besetzer keine Herausforderung. Sie leben bis auf Weiteres gut in dem Vakuum, das die Theatermacher ihnen zur Verfügung stellen, ohne eine Gegen-Performance zu veranstalten, eine Debatte der ästhetischen Selbstbehauptung. In dieser Debatte wäre das Prinzip Probe der Herausforderer des Typs von Performance, den die Besetzer praktizieren. Nicht die Premiere, die Probe ist der ästhetische Kern des Theaters. Für sie muss ein Theater auf die Barrikaden gehen. Auch, wenn es Volksbühne heißt.

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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