Berliner Staatsballettkrise:Loyalität sieht anders aus

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Wie frisch geschieden: Johann Öhman und Sasha Waltz nach der Pressekonferenz im Januar, bei der sie das Aus ihrer Doppelspitze verkündeten. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Warum Sasha Waltz und Johannes Öhman am Berliner Staatsballett gescheitert sind. Eine Spurensuche.

Von Dorion Weickmann

Der Konferenzraum im fünften Stock der Deutschen Oper in Berlin ist keine feudale Kulisse. An diesem Montagmorgen Ende Januar platzt er unter dem Andrang zahlreicher Journalisten mit Kameras und Mikrofonen schier aus den Nähten. Techniker schleppen Beistelltische herbei, improvisierte Sitzplätze für Verwaltungsleute und Tänzer. Punkt elf Uhr öffnet sich eine Seitentür, Sasha Waltz und Johannes Öhman betreten den Raum. Sie sind gekommen, um das Scheitern ihrer Doppelintendanz am Staatsballett zu erklären. In getrennten Statements.

Öhman verliest, dass ihm vor Weihnachten 2019 die Leitung des Dansens Hus in Stockholm angetragen wurde. Nach Abwägung privater und professioneller Belange habe er das Angebot angenommen. Zum Jahresende scheidet er aus dem Amt, das er 2018 angetreten hat. Er sagt das ganz unaufgeregt. Umso mehr ringt die Frau an seiner Seite um Fassung. Sasha Waltz wirkt bleich, schmal, angezählt. Ihre Stimme aber klingt fest, auch eine Spur verbittert. Sie fühle sich überrumpelt von Öhmans Entscheidung, sagt sie. Seit 2016 haben sie gemeinsam am Programm für Deutschlands größte Ballettkompanie gestrickt. Doch ins operative Geschäft ist Waltz erst vor fünf Monaten eingestiegen. Weshalb sie jetzt ohne Zeitdruck überlegen möchte, wann ihre eigene, vertraglich bis 2024 verbriefte Amtszeit enden soll. Was bitte heißt das: Rücktritt zusammen mit Öhman - ja oder nein? Keine Antwort.

Das ist nur eine von vielen Irritationen, die bei dieser Knall auf Fall anberaumten Pressekonferenz auftauchen. Dazu zählt auch die erstaunliche Zurückhaltung, die Sasha Waltz gegenüber den beiden Herren demonstriert, die ihr diese Misere eingebrockt haben: Sie tritt weder Johannes Öhman noch Klaus Lederer vors Schienbein. Obwohl der Berliner Kultursenator ihrem Kompagnon ohne Rücksprache die Freigabe erteilte. Stattdessen spricht die Choreografin unverdrossen von "Team", "Zusammenarbeit", "Abstimmung" mit Öhman. Ist das nun Nibelungentreue, Wunschvorstellung oder Selbsttäuschung?

Immerhin war es Waltz, die Öhman 2016 nach Berlin holte: als Klassikexperten und Komplettierung der Staatsballettspitze, die Lederers Vorgänger Tim Renner auf sie zugeschnitten hatte. Gegen die Ernennung des Duos - sie aufs Zeitgenössische abonniert, er Ex-Ballerino - machte das Ensemble mobil. Es witterte Gefahr für seine Traditionsdisziplin und organisierte einen wochenlangen Aufstand. Vergeben, vergessen? So schien es, bis in die zweite Januarhälfte. Bis Öhman sich in Stockholm als künftiger Tanzhaus-Direktor präsentierte, während Waltz den Berliner Tänzern das Aus des zweiköpfigen Leitungsmodells zu verkünden hatte.

Ohne Vertrauen und ein Mindestmaß an Kommunikation kann kein gemeinsames Projekt gedeihen

"Schock, Wut, Empörung". In einem Café unweit der Deutschen Oper schildert eine Abordnung des Ensembles die kollektive Bestürzung: "Trotz aller Proteste am Anfang haben wir den beiden eine Chance gegeben - und jetzt das?!" Für die meisten Tänzer ist klar, dass Waltz mit Öhman gehen muss, und das so schnell wie möglich. Ein sauberer Schnitt soll her. Ohnehin, berichten die Abgesandten, hätten sie ihre Vorgesetzten seit Monaten kaum zu Gesicht bekommen. Öhman war mutmaßlich in eigener Sache unterwegs, Sasha Waltz hat ihre erste Uraufführung mit dem Staatsballett vorbereitet: weit weg, im Radialsystem, wo sie das choreografische Material entwickelte. Zunächst mit Tänzern ihrer eigenen, freien Company. Was die Stimmung an der Bismarckstraße in den Keller rauschen ließ: "Leute sind extra hierhergekommen, um das alles mit ihr zu erarbeiten - natürlich sind die frustriert." Weitere Kollateralschäden hat die erfolgreich modernisierte Repertoirepolitik erzeugt. Das innerbetriebliche Splitting in zeitgenössische und klassische Fraktion stößt vielen sauer auf. Es gibt Tänzer, die unter einem Overload an Auftritten fast kollabieren, während andere über Unterforderung klagen.

Auch mit der so gern, so oft, so inbrünstig beschworenen Teamfähigkeit in der Chefetage scheint es nicht allzu weit her zu sein. Über die geplante Demission hat Johannes Öhman zuerst Kultursenator Klaus Lederer ins Bild gesetzt - an seiner Co-Intendantin vorbei. Loyalität sieht anders aus. Ohne Vertrauen und ein Mindestmaß an Kommunikation, und sei die Lage noch so kritisch, kann kein gemeinsames Projekt gedeihen. Schon gar nicht eines, das unter Druck steht, weil seine Trag- und Leistungsfähigkeit noch erprobt werden muss. Diese Belastung haben Waltz & Öhman unterschätzt, ebenso die Schwierigkeiten einer gleichberechtigten Profipartnerschaft. In der Öffentlichkeit hatte die redegewandte Sasha Waltz das Sagen, ihr freundlicher Kollege schien problemlos die zweite Geige zu spielen. Dass man sich miteinander im Testlauf befand und nicht etwa in einer gewachsenen, sturmerprobten Beziehung - auch das hat letztlich zur Scheidung im Schnellverfahren geführt. Betrieben hat sie Johannes Öhman, beschädigt ist Sasha Waltz. Aber Kosten und Langzeitfolgen trägt das Staatsballett.

Die 2004 gegründete Kompanie sieht sich zum dritten Mal mit einem Führungsfiasko konfrontiert. Gründungsdirektor Vladimir Malakhov startete fulminant, setzte aber auf immer geschmäcklerische Ästhetik. Sein Nachfolger Nacho Duato importierte lieber lukrative Eigenware nach Berlin, statt Neues zu kreieren. Also zauberte Tim Renner 2016 das Doppelgespann aus dem Hut: unverbrauchte Hoffnungsträger, die tatsächlich Abwechslung in den Spielplan brachten und junges Publikum anzogen. Wie soll es nun weitergehen?

Das Waltz-Öhman-Debakel muss ein Wendepunkt sein. Ein Masterplan tut not

Zum Büro von Sabine Bangert muss man sich durchfragen: "Aufzug 1, vierte Etage, dann rechts herum", rät der Pförtner im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Parlamentarierin von Bündnis 90/Die Grünen arbeitet mit Blick zum Innenhof, glänzt politisch indes vor allem durch Weitsicht. Als Vorsitzende des Kulturausschusses ist sie mit den Vorgängen am Staatsballett befasst. Für den katastrophalen Kollaps macht sie auch ein Strukturproblem verantwortlich: die Zugehörigkeit des Staatsballetts zur Opernstiftung - "obwohl es dort keine Rolle spielt und nicht auf Augenhöhe mit den drei Opern agieren kann". Bangert plädiert dafür, alles auf den Prüfstand zu stellen und endlich einen Masterplan für die Kompanie zu entwerfen. Ein Desiderat, seit 2004.

Ob Kultursenator Lederer das angehen wird? Auf Nachfrage lässt er mitteilen, dass erst jetzt "Gespräche mit Sasha Waltz über die konkreten Modalitäten der Beendigung ihres Vertrages" stattfinden. Eilig hat man es dagegen, "den Übergang und die Nachfolgesuche zu organisieren", unter Einbeziehung von "Expert*innen bzw. Vertreter*innen der Fachwelt". Auch das Ensemble werde "Gehör finden" - mit anderen Worten: am Ende entscheidet Lederer, im Alleingang. Und der Stiftungsrat der Opernstiftung stimmt zu. Denn die "Herauslösung des Staatsballetts aus der Opernstiftung ist kein Thema".

Klare Worte, alles wie gehabt. Mit der gleichen Hauruckpolitik sind bislang sämtliche Staatsballett-Intendanzen installiert worden. Deshalb muss das Waltz-Öhman-Debakel ein Wendepunkt sein. Der Spielplan bis Mitte 2021 steht, es gibt keinen unmittelbaren Zeitdruck. Aber es gibt die Notwendigkeit, das Profil, den Standort und die Struktur des Staatsballetts zu bestimmen. Erst dann kann die Spitzenposition sinnvoll besetzt werden. Und zwar in einem notwendigerweise transparenten Verfahren. Oder sind die neunzig Tänzer für den Kultursenator nur Rangiermasse?

© SZ vom 05.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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