Berliner Lesung für  Deniz Yücel:Lachen, um ihn frei zu sehen

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Der Korrespondent der "Welt", Deniz Yücel, sitzt seit 365 Tagen in einem türkischen Gefängnis, die allermeisten davon in Einzelhaft. Eine Anklageschrift gibt es bis heute nicht. Eine Lesung seiner Texte gerät dann erstaunlich frohgemut.

Von Luise Checchin

Irgendwann gegen Ende dieses Abends sagt Anne Will, sie "hätte nicht gedacht, dass es so lustig werden würde." Der Anlass ist auch alles andere als lustig. Der Korrespondent der "Welt" Deniz Yücel sitzt seit 365 Tagen in einem türkischen Gefängnis. "Terrorpropaganda und Volksverhetzung" wird ihm vorgeworfen. Eine Anklageschrift gibt es bis heute nicht.

Zu diesem Jahrestag sitzt Will im Festsaal Kreuzberg in Berlin und liest Yücel-Texte, welche die "taz"-Redakteurin Doris Akrap als Buch herausgebracht hat: "Wir sind ja nicht zum Spaß hier." Es sind Texte aus der Haft und frühere Werke. Will und andere geben ihnen eine Stimme, etwa der Tatort-Schauspieler Mark Waschke, Herbert Grönemeyer und die Schauspielerin Hanna Schygulla.

Der Buchtitel fasst die Stimmung des Abends treffend zusammen: Es geht um eine ernste Sache, die Freiheitsberaubung eines Menschen. Aber es geht eben auch um Yücels Texte, und sie sind durchtränkt von bissigem Humor. Besonders gilt das für seine frühen Glossen und Kommentare, die für die "taz" oder die "Jungle World" verfasst wurden.

Herbert Grönemeyer, Anne Will und Hanna Schygulla tragen Texte des Journalisten vor

Mark Waschke liest einige Texte, das heißt, eigentlich soll er nur einen lesen: "Nein, du darfst nicht." Ein Kommentar aus dem Jahr 2014, in dem sich Yücel mit der zunehmenden und wie er findet eher unverschämten Kritik von Deutschen an Israel auseinandersetzt. Waschke will danach noch nicht aufhören. Den Text "Warum ich DKP wähle", den würde er gerne noch vortragen, sagt er, denn: "Mir ist das auch mal passiert, also das DKP-Wählen." Und so liest der Berliner Tatort-Kommissar nur unterbrochen von den eigenen Lachanfällen alle acht Gründe, die laut Yücel für die DKP sprechen, geschrieben für die Jungle World, damals unter dem Pseudonym Melis Vardar. Die meisten Lacher erntet er mit Punkt Nummer sieben: "Ich wähle DKP, weil ich eitel bin. Mir gefällt es, meine Stimme wiederzuerkennen. Das Ideal ist erreicht, wenn die Partei allein meinetwegen ihr Ergebnis in meinem Wahlbezirk um hundert Prozent steigern kann."

Lauter kreischt das Publikum da nur, als der Autor İmran Ayata den Text "Kann ganse Welt komm" liest, geschrieben 2012 ebenfalls für die Jungle World. In dem Monolog verteidigt die von Yücel erdachte deutsch-türkische Kunstfigur "Bayram Karamollaoğlu" seinen Stadtteil Kreuzberg vor Eindringlingen aller Art (Hausbesetzer, Ossis, Bielefelder), nach dem Motto: "Kann komm alle Kreuzberg. Aber muss wieder gehn. Nix bleib."

Das sind die lauten, fröhlichen Momente an diesem Abend. Natürlich gibt es auch die nachdenklichen. Zum Beispiel als Hanna Schygulla Yücels Gefängnis-Text "Damit wir nicht die Wolken berühren" vorträgt, in dem er beschreibt, wie er nach Monaten in Haft zum ersten Mal ohne Handschellen den Himmel erblickt. Oder als der Pianist Igor Levit am Ende seiner Improvisation plötzlich das chilenische Widerstandslied "El pueblo unido" anstimmt. Dann sind da die Momente, die seltsam daherkommen: Wie Anne Will etwa eine Pegida-Reportage Yücels für die taz aus dem Jahr 2014 liest. Die Wortwechsel zwischen dem sich naiv gebendem Reporter und den sächsischen Nazis wollen zunächst nicht richtig zu ihrer geölten Moderatorinnen-Stimme passen.

Aber spätestens, als Will die Hand ans Kinn legt und fragt: "Aber wenn nicht Hitler Schuld war am Krieg, wer dann?", hat auch sie die Lacher auf ihrer Seite. Und schließlich ist da noch Herbert Grönemeyer, den Yücel schon immer verehrt hat, wie seine Herausgeberin Doris Akrap sagt.

Grönemeyer liest Yücels allererstes Haftprotokoll, das dieser im Februar 2017 noch in einer Ausgabe des "Kleinen Prinzen" aus dem Gefängnis nach draußen schmuggeln lassen musste, geschrieben in den Zeilenzwischenräumen des Buches. "Fünfmal am Tag ist Klo-Gang, meistens zwei, drei Zellen auf einmal", liest Grönemeyer. "Drei mal 0,5-Liter-Wasserflaschen täglich. Wenn man nachfragt, auch mehr. Nie Kaffee oder Çay." Grönemeyer trägt das genauso nüchtern und stakkatoartig vor, wie Yücel schreibt. Doch dann kommt Yücels Danksagung für die Unterstützung, die er schon damals erfuhr. Grönemeyer liest sie erst auf Deutsch, dann auf Türkisch. Es könnte an seinem Nuscheln liegen oder an der späten Stunde, sein Türkisch klingt überraschend flüssig. Als wolle er den Zuschauern nicht allzu viel Zeit geben, darüber nachzudenken, reckt er am Schluss die Faust in die Höhe, eine Geste, die ja auch nicht mehr häufig zu sehen ist, murmelt etwas, was nach "FreeDeniz" klingt, und verlässt die Bühne.

Deniz Yücel denkt offenbar über ein nächstes Buch nach. Vielleicht, überlegt er in "Die Nummer mit dem Sittich", seinem jüngsten Text aus dem Gefängnis, sollte er einen Gesellschaftsroman über die Türkei schreiben, einen Roman, "der bei seinen Lesern die Lust weckt, dieses trotz allem wundervolle Land einmal aus der Nähe kennenzulernen." Es ist zu hoffen, dass Yücel dieses Buch dann endlich selber vorstellen kann.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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