Berliner Galerieszene:Man siezt sich

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Uralt und ewig in: die Paris Bar in der Kantstraße. (Foto: picture alliance / imageBROKER)

Seit Kreuzberg und Mitte durchgentrifiziert, teuer und von Partyvolk überlaufen sind, entdecken die Galeristen den gediegenen Berliner Westen neu. Sie schätzen dort das "Großstädtische, aber mit Vergangenheit".

Von Peter Richter

Und plötzlich zieht es den Kunsthandel wieder in den alten Westen, ins südliche Charlottenburg, das nördliche Wilmersdorf, die Straßen links und rechts des Ku'damms, in die sogenannten besseren Lagen. Man könnte auch sagen: nach Hause.

Das Programmheft des soeben in Berlin stattfindenden Gallery Weekends staunt selber darüber, wie viele Adressen es mittlerweile in einer Gegend aufführen muss, die vor kurzem noch, "höchstens eine Fußnote in der hippen Berliner Kunstszene" gewesen sei. Vor allem "in terms of modern life" habe das klassische Westberlin zurückgehangen. Das habe sich fundamental geändert, Charlottenburg sei wieder in.

Was ist da passiert? Der Schlüssel zu der Geschichte liegt tatsächlich in dem Wörtchen "wieder", und die Geschichte selbst handelt von einer ungefähr 25-jährigen Odyssee durch die exotischsten Gefilde des wiedervereinigten Berlins. Die Rückkehr nach Charlottenburg ist insofern nicht zuletzt stadtsoziologisch interessant. Denn von hier waren viele damals erst ausgezogen, um sich den wilden Osten Berlins zu erschließen und dann Kreuzberg und so weiter. Max Hetzler zum Beispiel hatte, als er Anfang der Neunzigerjahre aus Köln nach Berlin kam, zuerst hier seine Räume, später dann an verschiedenen Orten in Mitte, schließlich auch in einer Fabrikhalle im rauen Wedding - oft gefolgt von anderen Galeristen, die an diesen Standorten kleine Cluster bildeten, die zumindest den Vorteil hatten, dass sich die Angestellten mittags in der kulinarischen Einöde den Lieferservice teilen konnten.

Vor etwa fünf Jahren hatte er dann seine Eigentumswohnung in der Charlottenburger Bleibtreustraße zur Galerie umfunktioniert, weil der britische Maler Glenn Brown nicht in der Weddinger Fabriketage ausstellen wollte, und dabei blieb es dann. Der Mietvertrag im Wedding lief aus, stattdessen kam ganz in der Nähe ein zweiter Standort in einem alten Postamt auf der Goethestraße dazu. Was für die Gegend sprach? Das urbane Umfeld, sagt Hetzler. Die Cafés. Das Mittagessen. Die urbane Fußläufigkeit. Ganz ähnlich klingt es bei Mehdi Chouakri, der vor zwei Jahren von Mitte hergezogen ist. Er schätzt "das Großstädtische, aber mit Vergangenheit" und das Eingebundensein in eine normale, durchmischte urbane Struktur. Anders als in Mitte, etwa entlang von Linien- und Auguststraße, wo es mit der Vertreibung der Juden durch die Nazis, dann mit dem Verfall in der DDR, danach mit den Hausbesetzungen und schließlich mit der rasanten Aufwertung seit dem Anbruch der sogenannten Berliner Republik dauernd radikale Brüche gab, sei Charlottenburg im Prinzip immer gleich geblieben: eine Gegend mit kulturbürgerlichem Einschlag, aber auch genügend City-Charakter und Westberliner Protestgeschichte in den Genen.

In diesem Sinne knüpfen sogar Galerien an die Kontinuitäten hier an, die gerade erst zugezogen sind, wie die Wentrup Galerie, die ihre Räume in Kreuzberg im März gegen solche in der Knesebeckstraße getauscht hat und diese beherzt mit Olaf Metzel eröffnete, dessen legendär gewordenes "Randale-Denkmal" nur wenige hundert Meter weiter am Ku'damm 1987 sehr vielen konservativen Westberlinern ihre schöne 750-Jahr-Feier versaut hatte. (Jetzt zum Gallery Weekend zeigen sie allerdings Florian Meisenberg und David Renggli.) Auch Tina Wentrup begründet den Umzug nicht zuletzt mit dem Umfeld, mit der Dichte an anderen Galerien und an fußläufigen Restaurants der Güteklasse mit den gestärkten Servietten und den Kellnern, die auch das Siezen beherrschen, denn das Dinner gehört in Berlin immer noch so zu einer Eröffnung wie die Preisliste auf dem Galeristentresen.

Jetzt, wo es in Berlin überall teuer ist, kann man auch dahin gehen, wo es nie billig war

Wenn die Kulturati in den Zwanzigerjahren hier zwischen "Romanischem Café" und "Schwannecke" pendelten, dann tun sie das heute zwischen dem Petit Royal und der Paris Bar, die schon seit den Fünfzigern als Künstlerlokal stur an der selben Stelle hockt und dort den großen Treck nach Osten einfach ausgesessen hat. So wie etliche Galeristen, die sich dem einfach nie angeschlossen hatten.

Die sitzen jetzt einfach immer noch in ihren alten, mutmaßlich ganz günstigen Räumen, während um sie herum immer mehr Direktzuzügler oder die Exilanten aus Mitte siedelten: von Daniel Buchholz bis Contemporary Fine Arts und zuletzt auch die aus Wien zurückgekehrte Galerie Crone. Natürlich ist das am Ende auch die Geschichte eines Gentrifizierungskreislaufs quer durch das Stadtgebiet: Jetzt, wo es nicht zuletzt dank der Pionierleistungen des Kunstbetriebs überall teuer ist in Berlin, kann man auch dahin gehen, wo es immer schon nicht billig war, aber dafür wenigstens auch gediegen.

Mehdi Chouakri sagt sogar, dass es jenseits des Ku'damms in Charlottenburg heute günstiger sein dürfte als in Mitte, wo sich zuletzt eine für seinen Geschmack etwas uniforme Internationale junger, wohlhabender Partypeople heimisch gemacht hat, die für einen Galeristen wie ihn schlicht nicht so interessant sei.

Dass der alte Westen vielleicht auch ein Ort sein dürfte, an dem sich noch am ehesten das finden lässt, woran es den Berliner Galerien am meisten mangelt, nämlich lokale Kundschaft mit einer hinreichenden Kaufkraft, sei ein schöner Nebeneffekt, sagt Mehdi Chouakri. Darauf habe er es zwar wirklich nicht angelegt, aber in der Nachbarschaft habe er tatsächlich schon Leute kennengelernt, die dann zu Kunden wurden.

Und am Ende ist der warme Begriff der Nachbarschaft im großen, zugigen Berlin auch ein ganz verkehrspraktisches Argument für die neue Liebe so vieler Galeristen zum alten Westen: Viele von ihnen wohnen dort ganz einfach selber.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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