"Diener zweier Herren" am Berliner Ensemble:Spiel mir das Lied vom Testosteron

Lesezeit: 2 min

Mit falschen Bärten und Mackerposen auf Wildwest eingestellt: Judith Engel, Lili Epply, Cynthia Micas, Constanze Becker und rechts hinten Stefanie Reinsperger. (Foto: JR Berliner Ensemble)

Antú Romero Nunes macht am Berliner Ensemble aus Goldonis "Diener zweier Herren" einen famosen Witz-Western. Nur mit Frauen.

Von Peter Laudenbach

Natürlich kann man über Gendertheorien lange streiten und sich in Seminaren den Kopf darüber zerbrechen, ob das Geschlecht nun eine biologische oder vielleicht doch eher eine soziale Tatsache ist. Mehr Spaß macht es, dabei zuzusehen, wie der Regisseur Antú Romero Nunes am Berliner Ensemble aus diesen steilen Thesen und der Beobachtung, dass Männer halt leider eher lächerliche Wesen sind, einen bestens gelaunten Theaterabend macht. Nunes versetzt Goldonis Comedia-dell'arte-Verwechslungskomödie "Der Diener zweier Herren" aus dem italienischen Jahrmarktstheater des 18. Jahrhunderts in den Wilden Westen, allerdings in einen Westen, der von lauter Comicfiguren bevölkert ist: High Nunes. Damit es lustiger klingt, und weil im Wilden Westen nicht so viele Berliner durch die Steppe ritten, wird auf der Bühne ein kalauerndes Pidgin-Englisch gesprochen: "Now we have the salad."

Hier wird formvollendete Schmiere zu höherer Kunst

Dass sich in Carlo Goldonis Comedia-dell'arte-Klassiker eine Frau als Mann verkleidet, nimmt der Regisseur zum Anlass, die Geschlechtertausch-Spiele etwas weiter zu treiben. Er überlässt alle Figuren einem komplett weiblichen Hochkaräter-Ensemble. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Die Regie wirft die harten Kerle den Schauspielerinnen zum Fraß vor, bis nicht nur die einzelnen Cowboys, sondern ihr ganzes Geschlecht nicht viel mehr als ein gespielter Witz sind - allerdings ein hervorragend gespielter Witz. Das Typenarsenal des Westerns erweist sich für Geschlechterstereotypen und die Mackerposen wortkarger Männer in fortgeschrittenen Stadien der Verwahrlosung als äußerst ergiebig. Von wegen, das Geschlecht ist eine soziale Konstruktion, hier ist es eher eine asoziale Zumutung. Die toxische Männlichkeit im Endstadium bietet mit Zahnausfall, markantem Überbiss, schütterem Haar und entschlossenem Mut zur Hässlichkeit keinen erhebenden Anblick (Kostüme: Lena Schön, Helen Stein). Wenn es ein darstellerisches Äquivalent für Altmännerschweiß und Mundgeruch gibt - so wie hier müsste es aussehen.

Judith Engel als Saloon-Wirt Hank und Stefanie Reinsperger als Truffaldino, Diener zweier Herren - mit einem Lämmchen statt Pferd. (Foto: JR /Berliner Ensemble)

Judith Engel macht mit umgeschnalltem Bäuchlein aus dem Saloon-Wirt Hank einen mümmelnden Theken-Cowboy mit Hängeschultern und trübem Blick. Die tolle Cynthia Micas wechselt vom toughen Westerner Willie Jay zu dessen Tochter, die entschieden klarer im Kopf ist als ihr schießwütiger Vater. Constanze Becker spielt den toten Kayden, Kaydens Schwester, die den toten Kayden spielt, und deren Liebhaber Brody - aber eigentlich spielt sie vor allem, dass das Testosterongehabe ein großer Spaß ist, wenn man nicht den Fehler macht, es ernst zu nehmen. Die Naturgewalt Stefanie Reinsperger als ewig hungriger Diener vieler Herren nennt das kleine Spielzeuglamm, das sie hinter sich herzieht, "quite a stage pig", aber was eine Rampensau ist, muss dieser Schauspielerin ganz sicher niemand erklären. Nunes verzichtet wohltuend auf die Publikumsbelehrungen, die das Theater schwer erträglich machen. Stattdessen macht er etwas vollkommen Altmodisches: Er vertraut auf die pure Spielfreude und treibt die guten alten Theatertricks einer rasanten Verwechslungs- und Verkleidungskomödie mit großartigen Schauspielerinnen in Umlaufbahnen, in denen die formvollendete Schmiere zu höherer Kunst wird.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPandemie
:Das Virus verändert sich, wir uns noch nicht

Wieder und wieder wurde das Ende der Pandemie erhofft, doch stets tauchte eine neue Variante auf - der ewige Tanz aus Lockern und Lockdown ging weiter. Warum sollte sich das ändern, wenn der Ansatz der Bekämpfung sich nicht ändert?

Von Nils Minkmar

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: