Berlinale-Film: "Kirschblüten - Hanami":Ich bin dann mal futschi

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Der Tod ist die prägende Kraft im Berlinale-Wettbewerb. In Doris Dörries "Kirschblüten - Hanami" lebt ein Beamter die Japan-Träume seiner verstorbenen Frau nach.

Tobias Kniebe

Eine Frau und ein Mann, ein Traum vom Leben und ein Traum von der Liebe, die nie recht zusammenpassen wollten - das ist der Beginn. Trudi Angermeier (Hannelore Elsner) wäre gern Künstlerin geworden, Tänzerin im japanischen Butoh-Tanz. Aber jetzt ist sie alt und hat es nicht einmal nach Japan geschafft, "den Fuji sehen" und das Fest der Kirschblüte, gemeinsam mit ihrem Mann Rudi (Elmar Wepper).

Rudi (Elmar Wepper) wagt den Sprung ins Unbekannte. (Foto: Foto: AP)

Rudi ist ein mittlerer Beamter beim Amt für Abfallwirtschaft, in einer mittleren bayerischen Stadt. Er mag weder Reisen noch Abenteuer noch überhaupt Veränderung - aber sie liebt ihn eben, da kann man nichts machen. Ohne ihren Rudi die Welt zu sehen, sagt Trudi gleich, "das wäre so, als hätte ich gar nichts gesehen".

Dieser Anfang, denkt man da, ist recht typisch für die Erzählerin Doris Dörrie: nicht nur Beamter, sondern Beamter im Amt für Abfallwirtschaft. Und nicht nur die Sehnsucht nach Ausdruck, sondern gleich japanischer Ausdruckstanz. Drunter macht sie's halt nicht. Aber zielt das nicht ein wenig weit für den großen Wurf, der diese extremen Pole von Spießertum und Kunst umspannen, poetisch überbrücken, cineastisch verschmelzen muss? Gesucht hat Dörrie solche Gegensätze ja schon immer. Aber gescheitert ist sie dabei eben auch. Und so groß der Erfolg des Gelingens auch wäre - erzwingen lässt sich gerade in dieser Dimension des poetischen Realismus am Ende überhaupt nichts.

Die ersten Bilder, die vom Traum der Trudi Angermeier künden, sind japanische Farbholzschnitte ihres schneebedeckten Sehnsuchtsbergs. "Fuji" klingt zunächst wie eine unangemessen vertrauliche Kurzform - bis man begreift, dass Trudi den korrekten Namen verwendet, weil sie das Japan ihrer Imagination eben studiert hat: Die deutsche Falschübersetzung "Fudschijama" käme ihr nie über die Lippen.

Der nahende Tod

Gegen diese Bilder aus der Ferne steht der ergraute Elmar Wepper. Wie er nach Hause kommt, nichts von der Arbeit erzählt, in seine karierten Filzpantoffeln schlüpft und seine ausgebeulte Strickjacke anzieht. Er ist, genau wie das deutsche Fernsehprogramm, aus dem er entnommen wurde, ein Monument der Langeweile und Vertrautheit, das jetzt gesprengt werden muss. Denn er muss bald sterben, sagen die Ärzte, und nur Trudi weiß davon und erzählt ihm nichts. Aber wer, wenn nicht der nahende Tod, könnte diese Ehe noch bewegen?

Der Tod als geschichtentreibende Kraft - auch in "Fireflies in the Garden", einem amerikanischen Wettbewerbsbeitrag des Newcomers Dennis Lee mit Julia Roberts, war er präsent; und ebenso in "Zou You - In Love We Trust" von Wang Yiaoshuai. Das eine ist eine weichgezeichnete Erinnerung an familiäre Dysfunktionalität im Literatenmilieu, in der man jede Szene schon einmal besser und auch wahrer gesehen zu haben glaubt; das andere ein gewaltiges Melodram, das sich allerdings mit rührender chinesischer Zurückhaltung entfaltet.

Ein kleines Mädchen droht an Leukämie zu sterben. Seine Eltern versuchen, ein zweites Kind zu bekommen, das als Organspender dienen könnte - nur sind sie längst geschieden und haben beide eine neue Liebe gefunden. Am spannendsten an diesem Rührstück ist zu sehen, wie wenig chinesisch das noch wirkt, wie ähnlich sich diese Geschichte mit allen Paaren in allen Metropolen der Welt abspielen würde - und das von einem Regisseur, der im Jahr 2001 noch mit "Beijing Bicycle" und wilden Fahrradjagden durch Pekings pittoreske historische Gassen einen Silbernen Bären gewonnen hat.

Der Sprung ins Unbekannte

Bei Doris Dörrie werden nun Rudi/Trudi, das Paar, an dessen symbiotischer Verbundenheit wir nicht mehr zweifeln können, getrennt. Aber es kommt anders als gedacht, denn es ist Trudi, die eines Morgens reglos im Bett liegt - und Rudi, der dann heimkehren muss in die Stille eines leeren Hauses, zum unerträglichen Ticken der Wanduhr, zum überlauten Summen der Fliegen. Seine Reise nach Japan ist zunächst eine Flucht, denn auch den ältesten Sohn hat es, inspiriert von den Träumen der Mutter, nach Tokio verschlagen.

Aber dieser Sohn muss in der Arbeitswelt der Japaner funktionieren, er hat keine Zeit. So wagt Rudi den Sprung ins Unbekannte, den er sein Leben lang verweigert hat. Und er wagt es, sich selbst zu entdecken, vielleicht zum ersten Mal. Je mehr er dabei erfährt, desto stärker beginnt er, Trudi in seinem Inneren zu spüren - er sieht die Tage der Kirschblüte, die sie immer sehen wollte. In diesen leuchtenden, überbelichteten Bildern lauert auch schon das reine Weiß, der "Platz zwischen den Dingen" des Zen-Buddhismus, der Ort ihrer möglichen Wiedervereinigung.

Wir merken es kaum, aber bald gleiten auch wir in dieses Zwischenreich. Und doch bleibt der Film dabei ganz irdisch in den Schritten, die ein Mann wie Rudi - der zunehmend über sich selbst hinauswachsende Elmar Wepper - eben gehen kann.

Am Ende steht natürlich der Fuji, ein scheuer Berg, der sich meist in den Wolken versteckt. Mit seiner neuen Verbündeten, einer jungen Butoh-Tänzerin aus dem Kirschblütenpark, wartet Rudi darauf, dass er sich zeigt. Da hat Doris Dörrie schon längst gewonnen. Und wenn sie zu ihren finalen Bildern kommt, Bildern von beinah unwirklicher Schönheit, hält man ungläubig den Atem an: weil sie die Größe hat, diesen Triumph so gar nicht auszukosten, weil sie den Moment mit einer Leichtigkeit wieder ziehen lässt, dass man ihn festhalten will wie eine kostbare Erscheinung, wie das Glück selbst. Wer solche Weisheit mit solcher Lässigkeit zu verbinden weiß, auf welchem Weg der Erkenntnis auch immer - der muss ins Stadium der Meisterschaft eingetreten sein.

© SZ vom 11.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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