Berlinale-Eröffnung:Die Kreischprobe

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Wer wissen will, wer auf dem roten Teppich wirklich wichtig ist, der muss auf das Brüllen der Fotografen achten. Eine Reportage von der Berlinale-Eröffnung. Mit Bildergalerie.

Thorsten Denkler, Berlin

Die erste Schöne entsteigt einem der Berlinale-Phaetons. Die Fotografen bilden eine Wand, vier Köpfe hoch auf jeder Seite des roten Teppichs. Und sie brüllen den Namen der Schönen. Es klickt, hundertfach pro Sekunde. Blitzlichter hellen sie auf, die Schöne - die in dem cremefarbenen Kleid, das bis zum Boden reicht, und mit der passenden Pelzstola, die sich um ihre nackten Schultern schmiegt. Einige Hundert Schaulustige haben sich rund um den Marlene-Dietrich-Platz versammelt. Einer von ihnen ruft: "Wer issn das?"

Es ist das große Eröffungsdefilee dieser 57. Internationalen Filmfestspiele, die am Donnerstagabend mit der Weltpremiere des Films "La Vie en Rose" im Berlinale-Palast begannen. Der Regisseur heißt Olivier Dahan, den Mann würde jenseits der Absperrung niemand erkennen.

Wer wissen will, wer wirklich wichtig ist auf diesem kaum 25 Meter langen Laufsteg, der muss auf das Brüllen der Fotografen achten. Wo viel und besonders laut gebrüllt wird, da ist jemand besonders prominent.

Kreischprobe. Vier Mädchen, 14, 16 Jahre alt vielleicht, lassen hören, was sie bei Tokio Hotel gelernt haben. Einige drehen sich erschrocken um. Die vier kichern mit den Händen vor ihren Mündern. Eine trägt weiße Stiefel und eine Krone aus Goldstick auf der engen Jeans, quer über den Hintern. Es war zum Glück das letzte Kreischen an diesem Abend. Aber, im Ernst, brüllende Fotografen klingen auch nicht besser.

Der erste Brüll-Peak wird erreicht, als Dominique Horwitz aus der Limousine steigt. "Dominique! Hier! Bitte, DOMINIQUE! HIER!!" Das ist das Prinzip: "Vorname! Hier!" So ergeht es später auch Mario Adorf. "MARIO! HIER!" Und Christiane Paul. "CHRISTIANE! HIER!"

Wann kommt Clooney denn?

Es gibt Unterschiede, Geschlechtsunterschiede. Mario darf einfach nur dastehen und sein Italolächeln aufsetzen. Christiane muss lächeln und posieren, den Kopf nach hinten über die Schulter drehen, die Augen aufschlagen, winken. Auf Dominique folgt dicht Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Da brüllt keiner.

Wer nicht bebrüllt wird, hat ein echtes Problem. Wie die 25 Meter schaffen, ohne die Haltung zu verlieren? Einige versuchen es mit angemessenem Schreiten. Andere haben es eiliger. Bloß schnell weg hier. Nirgendwo ist es so peinlich wie hier, ein unbekanntes Gesicht zu haben.

Schnee fällt. Die Zuschauer rücken enger zusammen. Manchmal zu eng. "Jetzt mal halblang!", ereifert sich einer. Ein paar Meter weiter wollen zwei Mädchen vorgelassen werden. "Wegen wem seid ihr denn hier?", werden sie gefragt. "Weiß nicht", sagt eine. "Wen kennt ihr denn?" - "Weiß nicht." - "Ihr wollt nur vor?"- "Ja".

Mehr Schnee. Auf entblößten Oberarmen dürfte es jetzt unangenehm werden. Aber es hilft nichts. Raus aus der Limousine, raus aus dem wärmenden Mantel und hinein ins Blitzlichtgewitter. Wer sich in den Fotostrecken der Klatschblätter wieder finden will, muss entweder sehr berühmt sein oder sehr viel Haut zeigen.

Das Brüllen der Fotografen hat ab 19 Uhr 15 gleich bleibend hohe Lautstärke erreicht. Ist viel los auf den Teppich: Franka Potente, Iris Berben, Christiane Paul, Doris Dörrie, Mutter Beimer. Dann der erste verhaltene Jubel auch unter den Zuschauern. Wowi ist da. Der Regierende, der Party-Bürgermeister. Ein lässiger Gruß Richtung Wahlvolk. Dann Smalltalk mit Dieter Kosslick, dem Berlinale-Chef, auf dem roten Teppich.

Irgendwie hat sich Jeff Goldblum an ihnen vorbei gemogelt. Er ist die eigentliche Attraktion an diesem Abend. Aber wohl auch nur, weil George Clooney erst am nächsten Tag erwartet wird. Wenn der zur Kreischprobe kommt, wird es wahrscheinlich noch etwas lauter werden.

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