Ben Becker: Bibel-Show:Jesus Christ Supermacho

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Wenn der Glaube männlich wird: Ben Becker spielt den Christenmacker. Sein Vaterunser klingt nach Johnny Cash, und der Pastor flucht.

Andrian Kreye

Wenn sich die Popkultur des Glaubens bemächtigt, erfährt man meist mehr über den aktuellen Zustand der Gesellschaft als über Gott. Das wird an diesem Wochenende nicht anders sein, wenn der Schauspieler Ben Becker eine Tournee mit inszenierten Bibellesungen durch deutsche Hallen und Stadien beginnt. Da steht Becker dann vor großem Orchester an einem Lesepult, das wie eine Kanzel mit einem goldenen Kreuz verziert ist, über sich eine dreigeteilte Videoleinwand, auf die bedeutungsschwangere Symbolbilder projiziert werden.

Jesus-Macho auf Lesetour: Ben Becker rezitiert die Bibel. (Foto: Foto: dpa)

Becker bemächtigt sich der heiligen Schrift mit dem Gestus des Provokateurs. Er intoniert das Vaterunser, als sei es ein Song von Johnny Cash und bedient sich des schweren Duktus eines alkoholisierten Moritatensprechers. Dabei soll Beckers Show gar keine Provokation sein, sondern nur den Mainstream bedienen. "Die Bibel - eine gesprochene Symphonie" gehört zu jenen Hybridspektakeln, die im Kielwasser der Zirkusinszenierungen von André Heller oder des Cirque du Soleil die Popkultur erobert haben. Doch gerade weil Ben Becker mit seiner Interpretation so erfolgreich ist, weil er Stadien wie die Münchner Olympiahalle und die Arena Leipzig bespielt, darf man darin mehr sehen als ein Spektakel.

Becker steht für eine breitbeinige, maskuline Interpretation des christlichen Glaubens, die sich derzeit als Gegengewicht zum sanften Christentum der europäischen Ökumene und der amerikanischen Megakirchen etabliert. In seinem gutturalen Vortrag gerät selbst der gütige Jesus Christus zum Supermacho von alttestamentarischem Format.

Es ist natürlich weniger der Glaube, der Beckers Publikum in die Hallen treibt. Und doch verbindet ihn viel mit Mark Driscoll, einem Prediger von der amerikanischen Westküste, der seit einigen Jahren als "der fluchende Pastor" Furore macht. Driscoll ist Gründer und Chefprediger der Mars Hill Church in Seattle. Er tritt in Jeans und groben Hemden auf, er brüllt und tobt, macht während seiner Auftritte derbe Witze, und stellt die Predigten und Seelsorgestunden aus seiner mehrere tausend Anhänger fassende Megakirche auf die Videowebseite Youtube.

Driscoll predigt einen archaischen Calvinismus, der den Menschen als Sünder und nur die Auserwählten als wahre Christen betrachtet. Die Frau hat dem Manne in Driscolls Weltbild absolut untertan und vor allem zu Willen zu sein. All das aber fasst er nicht in heilige Worte, sondern in Vorträge, die Titel haben wie "Masturbation als Verhütungsmittel", "biblischer Oralsex" oder "Pornosüchtig". Wenn er dann zum Thema Masturbation aus dem Buch Kohelet zitiert: "Was immer deine Hand zu tun findet, tu es mit all deiner Kraft", dann lacht seine Gemeinde so hämisch, wie man es sonst aus Stand-Up-Comedy-Shows kennt.

Der Zorn als Stilmittel

Nun kommt Driscoll in all seinen Predigten zum Thema Sex immer zu dem Schluss, dass die Lust nur der Ehe gelten darf und selbst der lüsterne Gedanke schon eine Verfehlung Gottes sei. Auch die Toleranz ist für ihn nur ein Zeichen von Schwäche. In seinem "Tolerance Rant" tobt er mit wollüstigem Gusto gegen Nichtchristen. Wenn er seinen Wortschwall langsam gegen die Annäherung zwischen Kirchen und jüdischen Gemeinden richtet und dabei mit der Faust in die offene Hand schlägt, folgt er einem bewährten Muster, mit dem zeitgenössische Komiker wie Chris Rock oder Lewis Black aus ihrem cholerischen Temperament ein Stilmittel gemacht haben. Das aber ist die große Geste des reuelosen Machismo, der die Wut als letztgültigen Ausdruck der Emotionen kultiviert.

Nun gibt es - abgesehen davon, dass Ben Becker kein Prediger sondern ein Schauspieler ist - einen entscheidenden Unterschied zwischen dessen Show und Driscolls Brandpredigten. In Europa hat der Glaube als Popphänomen vor allem eskapistische Funktion: Indem man so feierliche wie alltagsfremde Kirchenrituale zitiert und von göttlicher Allmacht spricht, wird in solchen Events ein gemeinschaftlich erhebendes Weihnachts- und Geborgenheitsgefühl erzeugt. In Amerika verläuft die Dynamik genau umgekehrt. Da bemächtigt sich der Glaube des Alltags, gleicht sich die Predigt in Ton und Stil dem Reden der breiten Massen an, was sie umso wirksamer macht.

Keine Lust auf Folksong-Kumpelei

Was Becker und Driscoll aber verbindet, ist die extrem maskuline Interpretation des christlichen Glaubens. Beide sind Antipoden zu all der Folksong-Kumpelei und dem halb spirituellen halb psychotherapeutischen Gebaren, mit dem die Kirchen oftmals die Jugend und die Massen zu erreichen versuchen. Wenn man Becker als Jesus-Macho sieht, könnte man meinen, er will einem effeminierten Glauben durch eine Rückkehr zur alttestamentarischen Inbrunst mittelalterlicher Strafpredigten beikommen.

Solche Kulturkämpfe um die vermeintliche Verweichlichung oder Verhärtung des Glaubens gab es immer wieder. Im frühen 20. Jahrhundert wandten sich amerikanische Kirchen während der ersten Emanzipationserfolge gegen die Verweiblichung des Glaubens, forderten eine "maskuline Macht des Christus" und ein "muskulöses Christentum". Nach dem Zweiten Weltkrieg, während des Siegeszuges der Bürgerrechte, löste in den USA der kantig-männliche Christuskopf von Warner Sallman den weichen, weiblichen Christuskopf von Heinrich Hofmann als populärstes Ikonenbild ab.

Rückkehr zur politischen Inkorrektheit

Der Glaube folgt den gesellschaftlichen Strömungen nicht unbedingt parallel. Doch wenn der gütige Jesus und seine sanften Anhänger zu Teilen auch ein Produkt der utopischen Hippie-Ära waren, dann sind die alttestamentarischen Christenmacker Becker und Driscoll letztlich die Reaktion auf ein Bedürfnis nach klaren Rollenmustern und nach einer Rückkehr zur politischen Inkorrektheit vorökumenischer Zeiten.

So schwingt das gesellschaftspolitische Pendel zumindest im christlichen Pop weiter nach rechts. Wenn Becker oder Driscolls tätowierte Anhänger von Jesus sprechen, dann geht es nicht um den Heiland, der die andere Wange hinhält, sondern um den strengen Sohn des alttestamentarischen Gottes, der die Händler zornbebend mit der Peitsche aus dem Tempel vertreibt. Ob man ihn als Figur in einem Freizeitspektakel oder als Erlöser des eigenen Lebens betrachtet, spielt dabei gar keine so große Rolle. Der Pop in den deutschen Hallen und amerikanischen Kirchen macht Jesus zum Gradmesser für den flüchtigen Zeitgeist. Heilig ist das nicht. Aufschlussreich allemal.

© SZ vom 31.01./01.02.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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