Beatles Reloaded:Jai Guru De Va Om

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"Let It Be . . . Naked": Der Abgesang der Beatles ist nach 33 Jahren frisch und alt zugleich wieder aufgelegt worden - von den beiden Restbeatles.

Willi Winkler

Es muss schneidend kalt gewesen sein, am 30. Januar 1969, als sich vier langhaarige Hippies in Felljacken und Turnschuhen auf das Dach der Londoner Savile Row 3 wagten. Unten im Keller befanden sich die Apple-Studios, in denen die vier lange geprobt hatten. Ursprünglich wollten sie damit in einem libyschen Amphitheater oder auf einem Luxusliner auftreten, aber London zur Mittagszeit war auch nicht ganz falsch. Unten auf der Straße kam der Verkehr zum Erliegen, auf den umliegenden Dächern sammelte sich die Bürobevölkerung und staunte. Schließlich erschien die Polizei und beendete nach 42 Minuten das Konzert. "I hope we passed the audition", sagte der Sänger zum Schluss. Hoffentlich haben wir das Vorspielen bestanden. Es war der letzte gemeinsame Auftritt der Beatles.

Sie konnten sich nicht mehr ausstehen... aber das muss man heute alles nicht mehr so Negativ sehen. (Foto: N/A)

Die erfolgreichste Band aller Zeiten war Anfang 1969 bereits heillos zerstritten. Seit zweieinhalb Jahren waren sie nicht mehr auf Tournee gegangen, hatten sich statt dessen neuen Frauen, der Meditation, Stockhausen, dem LSD und einer immer noch raffinierteren Aufnahmetechnik zugewandt. Sie konnten sich nicht mehr ausstehen. George Harrison verließ die Gruppe vorübergehend, Ringo hatte keine Lust mehr auf das ewige Gezerre, McCartney wollte wieder auf Tournee gehen, Lennon verfolgte eher musikferne Projekte. Außerdem hing er inzwischen an der Nadel und, noch schlimmer, am Gängelband von Yoko Ono. Weil die Liebe eine Himmelsmacht ist, musste Yoko während der ganzen Aufnahmen im Studio dabei sein. Schwarz und schweigend saß sie da, wenn sie sich nicht, einem plötzlichen Einfall folgend, eine Staffelei bringen ließ, um hysterisch zu malen, während die anderen versuchten, aus einzelnen Akkorden und Harmonien ganze Songs zu verfertigen.

Das Ergebnis war so katastrophal, dass sie es nicht veröffentlichen wollten. Erst im Mai 1970, einen Monat nach der offiziellen Trennung der Beatles, kam unter dem passenden Titel "Let It Be" das gesammelte Januar-Elend zum Vorschein. Auf Lennons Wunsch hatte sich der berühmte Produzent Phil Spector der Bänder angenommen und mit dem für ihn üblichen Bombast aufgebläht. 1970 war McCartney so böse, dass er den Song "The Long And Winding Road" als Beispiel dafür anführte, wie sein "künstlerischer Ruf ruiniert" werde. Da klagte er auf Auflösung der Beatles-Gemeinschaft mit beschränkter Haftung. Jetzt, nach 33 Jahren, kommt er zu seinem Recht. Außer ihm lebt nur noch der Drummer Ringo Starr, der keine Ein-wände dagegen erhob, mit Hilfe der 33 überlieferten Bändern vom Januar 1969 eine völlig neue Beatles-Platte zu verfertigen. Gestern ist sie erschienen und heißt "Let It Be . . . Naked".

Und plötzlich sind die Beatles wieder da, unglaublich jung (alle waren sie noch in ihren Zwanzigern), schwerelos verspielt und bestätigen manchmal Leonard Bernstein, der sie in einer opportunistischen Aufwallung als die "größten Komponisten seit Mozart" bezeichnet hatte. Das Restaurierungswerk dokumentiert einen Betrug, den die inzwischen fortge-schrittene Tontechnologie ermöglicht: Die verschiedenen Instrumente und Stimmen sind sauber auseinander digitalisiert worden. Schleifer, störende Hallwerte, die üblichen Patzer lassen sich leicht wegretuschieren. Die Song-Folge ist willkürlich verändert, die entbehrlichen Ditties "Maggie Mae" und "Dig It" sind weggefallen, Dafür ist Lennons Blues "Don't Let Me Down", zunächst versteckt auf der Rückseite der Single "Get Back", hinzugekommen.

Vollständig verschwunden ist leider auch die Arbeitsatmosphäre. Johns bösartig gesülzte Ankündigung "Hark the angels come" für McCartneys Jungfraumarienerscheinungszeugnis "Let It Be" fehlt selbstverständlich (sie taucht zusammenhanglos auf der beigepackten Atmo-CD "Fly On The Wall" auf), ebenso wie die Lockerungsübungen, die vielleicht nur der Anfeuerung dienten. Bevor "Let It Be" so nackt auf die Nachwelt kam, sollte die Musik nichts weiter als ein Soundtrack zu einem Film sein, den Michael Lindsay Hogg drehte, Thema: die Beatles bei der Arbeit. Die Beatles wollten wieder so sein wie am ersten Tag, vor dem Weltruhm, vor dem Studio-Schnickschnack, naive Rock'n'Roller.

Ansatzweise gelingt das bei "One After 909", das John Lennon 1957 mit sechzehn in Liverpool zusammengehauen hat. Es gibt auch Gutes zu melden. "Across The Universe" ist gerettet aus der Schmalzkruste, mit der Phil Spector das Stück versah. 1969 schenkten die Beatles das Lied dem World Wildlife Fund, und auf der Ausgabe ihrer "Rarities" aus dem Jahr 1980 kann man die Version, die im Oktober 1968 aufgenommen wurde, mit viel stereophonem Vogelgeschwirre hören. In einer späteren Version durften die Beatles-Fans Lizzie Bravo und Gayleen Pease mitsingen, die von der Straße hereingeholt wurden. Das brachte Phil Spector auf den unseligen Gedanken, die Aufnahme mit Engelschören anzureichern und aus dem armen John Lennon einen zugekifften Ladidadaisten zu machen. In der bereinigten Fassung tritt der Autor nach vorn, hört man John Lennon an der akustischen Gitarre und hört ihn mit seiner niemals sicheren Stimme seine Nonsens-Silben singen: "Pools of sorrow, waves of joy are drifting through my open mind / Possessing and caressing me / Jai Guru De Va Om . . .". Wieder einmal zeigt sich, dass die Männer mit der weniger schönen Stimme, Männer wie Mick Jagger, John Fogerty, Bob Dylan und eben Lennon, einfach die besseren Bluessänger sind.

So hell und klar Paul Mc-Cartney aus den Boxen strömt, so sauber die Techniker die nackte "Let It Be" geputzt haben, die Neuausgabe ist unversehens eine Hommage an John Lennon und die Freundschaft der zwei mutterlosen Jungs aus Liverpool geworden. Der Zwiegesang Lennon/McCartney bei "Two Of Us" erinnert an die frühe Euphorie in Hamburg und Liverpool, als sie über den Lärm, den sie unten angerichtet hatten, einfach hinwegsangen. John Lennon ist jetzt bald 23 Jahre tot, Paul von der Königin geadelt, Phil Spector lebt in Kalifornien, auf Kaution frei, weil er eine Animeuse erschossen haben soll. Auf dieser Platte (denn es gibt sie für Sammler selbstverständlich auch in Vinyl), synthetisch, wie sie sonst klingt, abgemischt von lauter Meisterproppern, sind sie wieder vereint, die Sandkastenfreunde John und Paul, wir zwei, "two of us". Sie bringen eine Kunde aus jener fernen Zeit, als Musik noch Spaß machte und deshalb niemand Superstars suchen musste. Du und ich, wir haben Erinnerungen, die weiter zurückreichen als die Straße, die vor uns liegt . . . Ja, Vorspiel bestanden.

© SZ v. 18.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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