Ein Schneemann kauert in der Zimmerecke und schmilzt vor sich hin. Kein Wunder, in das Atelier fluten durch ein wandgroßes Fenster Sonnenstrahlen. Doch halt: Das ist ja gar kein Fenster, sondern nur eine Tapete mit sonniger Winterlandschaft, die sich an den Rändern bereits wellt und einreißt. Warum bloß werfen Schneemann und Fenstersprossen dann Schatten im Raum? So ähnlich ergeht es dem Betrachter fast vor jedem der großformatigen Gemälde Sven Kroners. Erst wirkt es ganz leicht verständlich, doch plötzlich steht man vor einer Welt, in der andere Gesetzmäßigkeiten herrschen. Sven Kroner ist einer der drei Künstler, die das Kunsthaus Kaufbeuren unter dem ironischen Titel "Perfect World" zu einer gelungenen Ausstellung vereint. Kroner, Christian Hellmich und Pere Llobera malen völlig unterschiedlich. Ihre Gemeinsamkeit: Sie hinterfragen unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit.
Hellmich, geboren 1977, in Düsseldorf und in Berlin lebend, arbeitet an der Schnittstelle von Gegenständlichkeit und Abstraktion. In verhaltenen Farben malt er abstrakte Formen oder Architekturfragmente, die er immer wieder neu kombiniert. Dadurch entstehen die unterschiedlichsten Raumvorstellungen, die er aber nie durch eine einheitliche Perspektive verbindet. Seine Räume enthalten dank Hochhausteilen, Rolltreppen, Scheinwerfern oder Gitterkonstruktionen reale Momente, geben aber letztlich nichts preis. Manchmal konzentriert er sich auf ein einzelnes Motiv, das im Bild vor einer monochromen Fläche zu schweben scheint wie eine Lampe von der Decke (Picknick). Die Titel scheinen in die Irre zu führen. "Konfektaufsatz" nennt er ein Gemälde mit aufgestellten Matratzen. Wer den Begriff googelt, landet aber nicht nur bei kunstvollen Schalen, sondern auch bei Goethe, der sich in der "Italienischen Reise" über die absolutistische Baukunst in Kassel ärgert. "Nun fühle ich erst, wie mir mit Recht alle Willkürlichkeiten verhaßt waren, wie z. B. der Winterkasten auf dem Weißenstein, ein Nichts um Nichts, ein ungeheurer Konfektaufsatz, und so mit tausend andern Dingen. Das steht nun alles totgeboren da, denn was nicht eine wahre innere Existenz hat, hat kein Leben und kann nicht groß sein und nicht groß werden." So viel zum Thema Wahrnehmung.
Der Dritte der Maler, Pere Llobera, geboren 1970 in Barcelona, entzieht sich stilistisch und thematisch einer eindeutigen Klassifizierung. Die vergleichsweise geringe Anzahl an Werken, mit denen er in der Ausstellung vertreten ist, macht es nicht leicht, sein eher düsteres Werk zu entschlüsseln. Er bewegt sich mit seinen kunstgeschichtlichen Zitaten in einem Kreislauf aus Bezügen und Rückbezügen. Und er malt meisterhaft, etwa das Bergpanorama, das sich bei genauerem Hinsehen als schwarze Mülltüte entpuppt, der Gipfel eingerahmt von einem knallgrünen Kreis mit zahlreichen Augen. Oder der rosafarbene Baumstamm mit Schwämmen, theatralisch inszeniert vor einem dunklen Vorhang.
Verglichen damit ist Kroner doch leicht verständlicher. Er lebt in Neuss bei Düsseldorf, ist aber 1973 in Kempten geboren. 1994 zog er nach Düsseldorf, um an der Kunstakademie bei Dieter Krieg zu studieren. Es ist ziemlich perfekt, wie er Fensterblicke malt oder Gewächshäuser. Er mag überschwemmte, aber auch ganz leere Landschaften. Menschen tauchen bei ihm selten auf und wenn, dann winzig. Dafür stürzen Tankerschiffe vom Himmel. Großartig, wie er zwischen Realem und Erdachtem, Träumen und Sehnsüchten pendelt. Caspar David Friedrich hätte den Vollmond "Bei Geltendorf 2" nicht romantischer malen können als er.
Perfect World. Christian Hellmich, Sven Kroner, Pere Llobera. bis 30. April, Kunsthaus Kaufbeuren, Spitaltor 2