Banksy in London:Parlament der Affen

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Banksys Gemälde „Devolved Parliament“ vor der Versteigerung am Donnerstagabend. (Foto: Getty Images)

Neun Millionen Pfund hat ein Bieter für ein Gemälde des Kunst-Pranksters Banksy gezahlt. Wer beim Bieten nicht mithalten konnte, wird in seinem Londoner Pop-up-Store fündig.

Von Sonja Zekri

Am Donnerstagabend explodierten im Auktionssaal bei Sotheby's in London die Gebote. Als die Interessenten für Los 28, Banksys Gemälde "Devolved Parliament" innerhalb von Sekunden von zwei auf drei, schließlich fünf Millionen erhöhen, bemerkt der Auktionator Oliver Barker, er sei jetzt doch ein wenig aufgeregt. Drei Bieter sind über Telefone zugeschaltet, vertreten durch je zwei Mitarbeiter von Sotheby's und einen jungen Mann mit der Bieternummer 918, der bei sechs Millionen Pfund ganz still wird, aber dann plötzlich doch wieder einsteigt, als die beiden übrigen sich bei 8,4 Millionen Pfund festgefressen haben. Von da aus ist es nicht mehr weit bis zu neun Millionen Pfund, 11,1 Millionen Euro. Glückwunsch, Applaus. So aufregend kann Geldausgeben sein.

Banksys ironischer Altmeisterschinken war so teuer wie ein Basquiat

Die neben dieser enormen Summe wohl zweitwichtigste Information: Diesmal hat der Künstler sein Werk nicht geschreddert, jedenfalls nicht während der Auktion. War auch nicht nötig. Kein Werk bekam bei Sotheby's Versteigerung zeitgenössischer Kunst am Donnerstagabend mehr Aufmerksamkeit als Banksys Spottgemälde auf das britische Unterhaus. Keines löste ein so hitziges Wettbieten aus, keines erzielte ein so sensationelles Ergebnis.

Die 11,1 Millionen, gezahlt von einem unbekannten Käufer, waren immerhin fünf Mal so viel wie der Schätzpreis. Gewiss, Jean-Michel Basquiats "Pyro" aus dem Jahr 1984 brachte dieselbe Summe, aber das war nicht überraschend. Neun Millionen Pfund für einen Basquiat sind für diesen erlesenen Käuferkreis eine stolze Summe, aber keine Sensation.

Zudem: Hat Basquiat je ein Bild bei einer Auktion live zerstört, so wie Banksy es im vergangenen Jahr mit seinem "Girl with a Balloon" tat? Dass die Käuferin das Bild dann auch in Fetzen behielt und seit März in der Staatsgalerie Stuttgart zeigen lässt, war schließlich nicht zu erwarten gewesen.

Und jetzt: Banksys Affen. Auch das monumentale - goldgerahmte! - Gemälde hatte jüngst allerlei Fragen aufgeworfen, nachdem die New York Times feststellte, dass es einem früheren Gemälde mit dem Titel "Question Time" von 2009 zwar sehr ähnelte, aber in Details doch abwich. "Question Time" zeigte ebenfalls palavernde Primaten und war schon damals als bitterböser Witz über Großbritanniens parlamentarisches Personal begriffen und im Bristol Museum ausgestellt worden, aber es gab Unterschiede: eine gelbe Banane in der Hand eines Affen zeigte ursprünglich nach oben, hing in der jüngsten Version aber braun herab, die Leuchter an der Decke strahlten nicht mehr, Verzierungen an Bänken wurden verändert.

Gab es also zwei ähnliche Gemälde? Und falls nicht, wer hatte das Werk von 2009 verändert? Nun: Banksy selbst, erklärte Sotheby's. Der britische Künstler habe das Bild "Question Time" bearbeitet und umbenannt. Banksys Firma "Pest Control" habe die Echtheit des Werkes, das nun "Devolved Parliament" heißt, bestätigt. Dass das Thema des Gemäldes mit jedem Tag Brexit-Quälerei noch zwingender, noch aktueller werden würde, konnten ja weder Sotheby's noch Banksy 2009 ahnen.

Die Gestalten auf den Abgeordnetenbänken wirken nicht lächerlich, sondern traurig

Bei Sotheby's am Donnerstagabend füllt "Devolved Parliament" mit einer Größe von 2,70 mal 4,50 Metern und einer Ausstrahlung wie ein Schlachtengemälde leicht einen der Nebenräume. Das ist umso erstaunlicher, als die neue Variante - hängende Banane, weniger Licht - nicht so sehr satirisch als vor allem bedrückend wirkt. Die Affen auf den Abgeordnetenbänken: nicht lächerlich, sondern ratlos. Dieses Parlament ist keine Versammlung peinlicher Gestalten, sondern eine gelähmte, ja, todtraurige Veranstaltung.

Alex Branczik, Leiter der Abteilung für Zeitgenössische Kunst bei Sotheby's, wird später zur Identität der Bieter nur sagen, es seien "globale" und auch "institutionelle" Interessenten im Rennen gewesen. Außerdem freue er sich sehr, dass mit Banksy und Basquiat zwei Street-Art-Künstler derartige Höhen erreicht haben. Dass es einen gewissen Widerspruch gibt zwischen der Idee der Zugänglichkeit von Street-Art und ihrem Verkauf bei einem exklusiven Milliardärsvergnügen wie einer Sotheby's-Auktion, erwähnt er nicht.

Banksy hingegen, man wagt sich da nicht zu weit hinaus, muss sich dieses Widerspruchs bewusst sein, anders ist nicht zu erklären, warum er sein zweites großes Herbstprojekt ausgerechnet nach Croydon verlegt hat. Croydon ist dem britischen Publikum vor allem bekannt durch die Ausschreitungen vor ein paar Jahren, als Geschäfte brannten, Menschen starben und Medien von einem "Kriegsgebiet" sprachen. Die Gegend gilt bis heute als zumindest problematisch.

Nun aber hat Croydon nicht nur einen, sondern viele Banksys. In einem Eckgebäude, gegenüber einem KFC in einem falschen Fachwerkhaus und den drei Metzgereien "Meat Wise", "Mr. Meat" und "Black Butcher", hat Banksy einen Flagship-Store eingerichtet. Unter dem Schriftzug "Gross Domestic Product" (Bruttoinlandsprodukt) hat er Schaufenster mit Werken dekoriert, die bald online zu kaufen sein sollen - und die die Mechanismen des Kunstmarkts mindestens so bitter verspotten wie "Devolved Parliament" das britische Parlament. Gezeigt wird unter anderem das Fell eines Gummitigers mit katastrophal schlechten Zähnen und dem Hinweis, dass die britische Regierung pro Jahr 7,8 Millionen Pfund dafür ausgibt, Kindern unter fünf Jahren Zähne zu ziehen. Die Schutzweste, die der britische Rapper Stormzy beim Glastonbury-Festival trug. Eine Lampe mit Pussy Riot-Strickmütze. Und 15 Zimmeruhren mit Banksy-Ratte.

Aus einer geöffneten Kasse plätschert Wasser in Einkaufskörbe mit Seerosen

Aber am vertracktesten sind doch die Arbeiten zum Merchandising, Spraydosen mit einem ungelenken "Banksy"-Schriftzug darauf, darunter der Kommentar, dass es sich selbstverständlich nicht um alte Spraydosen handele, die er selbst beschriftet hat. Eine Verneigung vor Basquiat ist dabei als zerknüllte Skulptur namens "Banksquiat", die Banksy als Kommentar zur "endlosen Kommerzialisierung" von Basquiats Werken präsentiert - der er wiederum seine eigene hinzufügt. Ein paar unbeholfen bemalte Becher und Teller, die, genau, eben nicht Banksy, sondern Kinder bemalt haben.

Der ganze Pop-up-Store, der nur bis Ende Oktober zu sehen sein wird, sei ja überhaupt nur nötig geworden, weil er mit einer Grußkarten-Firma in juristischem Streit liegt, weil diese sein Urheberrecht verletzt hat. Der beste Weg, um dies zu verhindern, sei die Produktion eigener Merchandising-Artikel. Auf einer Website könne man diese bald erwerben, die Einstiegspreise sollen bei zehn Pfund liegen, bei begrenzter Auflage. So verspricht es ein Zettel an der Eingangstür, hinter der eine fast märchenhafte Installation zu erkennen ist: Aus einer geöffneten Kasse plätschert Wasser in Einkaufskörbe mit Seerosen, darüber kreisen mechanische Schmetterlinge. Hätte der Handel mit Kunst doch nur immer solche Poesie.

Lynn Carden hat für die Urheberrechtssorgen eines millionenschweren Künstlers möglicherweise nicht viel übrig, aber der Banksy-Shop gefällt ihr. Carden, 60, Landschaftsgärtnerin, wohnt seit ihrer Geburt in Croydon und leidet unter dem schlechten Ruf der Gegend. Dass nun Dutzende Besucher kommen, Journalisten und Schulklassen, die Open-Air-Kunst-Unterricht abhalten, findet ihre ungeteilte Zustimmung. "Auf einmal, über Nacht, war der Shop da", sagt sie ein bisschen gerührt. Alles "artsy-fartsy", etwas abgehoben, aber immerhin mal eine positive Nachricht aus Croydon. Ihr Lieblingswerk? Der Grabstein mit den Plastikmargeriten darauf und der Aufschrift: "You have now reached your destination." Dem sei ja wohl gerade in Großbritannien nichts hinzuzufügen.

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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