Das Wetter ist schlecht in der Schweiz. Eine Wolke breitet sich am Himmel aus, ein finsterer Wirbel, der sich ständig vergrößert. Bald wird daraus ein Sturm hervorbrechen, so viel ist klar, ein Sturm, der alles vernichtet. Das klingt halb biblisch und halb nach "Herr der Ringe", wirkt aber genau deshalb bedrohlich genug, um selbst dem dickfelligsten Teil der Bevölkerung Angst einzujagen. Interessant ist, dass der Sturm die Eigenart haben soll, nur innerhalb der Schweiz zu wüten. Jenseits der Landesgrenzen geht das Leben weiter wie bisher, das macht "Heimatland" zu einem Desasterfilm, der speziell auf die Enge des Landes zugeschnitten ist.
Die begrenzte Apokalypse ist das Thema, das Michael Krummenacher und Jan Gassmann ausgewählt haben, um junge Schweizer Filmemacher zu einem kühnen Projekt zusammenzubringen. Die beiden und acht andere Regisseure haben "Heimatland" gemeinsam inszeniert. Ein persönlicher Blick auf das eigene Land war gefordert, neun separate Geschichten sind entstanden, die der Film ineinander verwebt. Jeder Handlungsstrang zeigt nicht nur eine Variante vom Umgang mit dem Untergang, sondern kommentiert auch dessen Ursachen. Wer dabei was gedreht hat, bleibt ungesagt, die Idee des Kollektivs wird wichtiger genommen als die Einzelleistung - bestechend uneitel für eine Arbeit im Filmgeschäft.
Der Film beschreibt das Verhalten unterschiedlichster Menschen am Anfang des Sturms. Manche Geschichten sind sanft. Eine zeigt zwei Kinder, übermütig allein zu Haus; oder eine alte Frau, auch sie auf sich gestellt, aber so traurig über ihre Einsamkeit, dass die neue Gefahr sie erfreut. Manche Geschichten sind bitter, wie die von der Polizistin, die nicht aufhören kann, von dem Flüchtling zu träumen, den sie erschossen hat. Und sehr viele Geschichten zeigen die Gewalt, zu der Menschen fähig sind, wenn die Kontrolle zunehmend wegbricht: Hooligans schlägern, Nationalisten holen das Gewehr aus dem Schrank, junge Rechte machen Jagd mit ihren Autos auf jeden, der ihnen fremd vorkommt. All das und mehr - Demut vor dem Kapital, bürokratische Spinnerei, Gott auf der Seite der Intoleranz - soll hier als spezifisches Schweizer Charakteristikum gelten, erscheint aber bald sehr viel universaler.
Die Form von "Heimatland" ist in allen Teilen dem Katastrophengenre angemessen: temporeiches Erzählkino, immer durchsetzt von einer latenten Bedrohung, der man sich kaum entziehen kann. Der Gegensatz zu den üblichen Unterhaltungsfilmen allerdings ist trotzdem eklatant: Weder Moses noch Bill Pullman oder Jeff Goldblum kommen in letzter Sekunde zu Hilfe. Das Happy End bleibt aus, dafür findet man politische, gesellschaftliche, kulturelle Hinweise, was den Untergang hervorgerufen haben mag. Selten war etwa Flüchtlingspolitik so anschaulich wie die Geschichte, in der die Schweizer ins benachbarte Deutschland fliehen möchten - da bietet ihr Pass plötzlich weder Schutz noch Rechte.
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Heimatland , CH 2015 - Regie: Lisa Blatter, Carmen Jaquier, Gregor Frei, Jan Gassmann, Benny Jaberg, Michael Krummenacher, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp, Mike Scheiwiller. Arsenal, 99 Minuten.