Autorenfilm aus Palästina:Die Trauer des stoischen Blicks

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Einsame Rückenfigur am Meer: Elia Suleiman, wie er sich selber sieht. (Foto: Verleih)

In "Vom Gießen des Zitronenbaums" spielt Elia Suleiman sich selbst - einen Komiker ohne Lachen.

Von Philipp Stadelmaier

Der Mann mit Hut und Brille stellt die Uhr an der Wand, trinkt einen Kaffee und gießt die Pflanze in der Ecke des Wohnzimmers. Dann geht er auf die Veranda zum Garten und traut seinen Augen nicht: Ein Fremder macht sich an seinen Zitronenbäumen zu schaffen, erntet fröhlich die Früchte. In einer späteren Szene erdreistet er sich sogar, die Äste zu beschneiden, damit sie noch größere Zitronen tragen. Was der Zitronenbaumbesitzer von alldem hält, ist schwer zu sagen. Er schaut zu, mit stoischer Miene - und schweigt.

Es ist der Filmemacher Elia Suleiman, und in seinem neuen Werk, das vergangenes Jahr im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes lief und eine lobende Erwähnung der Jury erhielt, spielt er wieder einmal sich selbst. "Vom Gießen des Zitronenbaums" lautet der deutsche Verleihtitel, was unter anderem auf die Frage verweist, wer sich um wessen Zitronenbäume kümmern, in wessen Garten gärtnern darf. Es geht ums Zusammenleben und um Nachbarschaft, um die Frage, wem welches Land gehört. Suleimans Haus steht in Nazareth, in Israel. Hier treffen verschiedenste Gruppen aufeinander: Juden, Muslime und Christen, Israelis und Palästinenser.

Die sich daraus ergebende permanente soziale Reibung führt der arabisch-israelische Filmemacher in einer Aneinanderreihung kluger Sketche vor, in denen eine unterschwellige Aggressivität vorherrscht. Suleiman findet sich in einer Taverne wieder, in der zwei Brüder den Wirt dafür beschimpfen, ihrer Schwester Alkohol ins Essen getan zu haben. Ein anderes Mal sitzt er bei einem Glas Wein auf der Außenterrasse eines Cafés und wird Zeuge einer komplexen Interaktion zwischen zwei Polizisten, einem Souvenirhändler, afrikanischen Touristen und einem Betrunkenen, der mit Flaschen um sich wirft. Doch die körperliche Gewalt bricht entweder nie wirklich aus oder wird einfach nicht beachtet: Die Brüder lassen sich mit einer Flasche Whisky beruhigen, die Polizisten scheinen von dem betrunkenen Randalierer keine Notiz zu nehmen.

Die Spannungen seiner Heimat verfolgen den arabisch-isrealischen Filmemacher überall hin

Diesen Szenen gegenüber bleibt Suleiman ein stummer und starrender Beobachter. Als wolle er die äußerst angespannte Situation, die jederzeit in Gewalt umschlagen kann, nicht kommentieren und nicht stören; als wäre es gerade die Passivität und Distanz des Filmemachers, die Stabilität und das Ausbleiben der Eskalation garantieren kann. Das heißt natürlich umgekehrt, dass gerade er es ist, der das Fass zum Überlaufen bringen kann. In Anbetracht dieser Verantwortung erscheint es besser, sich ganz aus dem Staub zu machen. Also setzt er sich ab und reist zuerst nach Paris und schließlich nach New York. Dort hat Suleiman in den Achtziger- und Neunzigerjahren tatsächlich gelebt und seine ersten Filme gedreht. In Paris fällt der Blick dann auch erst mal auf sehr viel friedvollere Dinge: auf junge, aufreizende und gut gekleidete Menschen, zumeist Frauen, die vor ihm entlangflanieren, während er auf der Terrasse eines Straßencafés sitzt. Allerdings dauert es nicht lange, bis die Erinnerungen an die Spannungen in der Heimat von Suleimans Wahrnehmung Besitz ergreifen. In Paris rollt ein Panzer durch die Straßen (unterwegs zu einer Militärparade am Nationalfeiertag), auch die Polizei ist allgegenwärtig, stets damit beschäftigt, jemanden einzufangen. In New York sieht er bewaffnete Menschen, die einkaufen und spazieren gehen, als sei es das völlig normal. Und wie schon in Nazareth bleibt die Eskalation aus.

Zwischen Israel, Frankreich und den USA inszeniert sich Suleiman als Künstler, der überall und nirgends zu Hause ist. Er ist auf der Suche nach Geldern für eine Komödie, die vom Frieden im Nahen Osten handeln soll. Niemand will diesen Film produzieren, als sei schon die ein Witz. Bei aller Komik lautet die erschreckende Botschaft von Suleimans "Zitronenbaum", dass wir in einer Welt leben, die keine Komödien mehr will - und keinen Frieden. Die Komödie mag die Gewalt in Schach halten. Doch ein Blick auf das stumme und stoische Gesicht von Elia Suleiman genügt, um zu wissen, dass es die Gewalt ist, die dem Lachen längst den Garaus gemacht hat.

It Must Be Heaven , F/D/CAN/Türkei/Palästina, 2019 - Regie und Buch: Elia Suleiman. Kamera: Sofian El Fani. Mit: Elia Suleiman, Tarik Kopty, Gael García Bernal. Neue Visionen, 97 Minuten.

© SZ vom 16.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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