Autobiografischer Bericht:Zu viel im Ölschlamm gebadet

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Von Felix Stephan

Bevor Essad Bey im Alter von nur 16 Jahren auf der Flucht vor den Bolschewisten nach Berlin emigriert und dort zum Islam konvertiert ist, hieß er Lew Nussimbaum und verbrachte eine außergewöhnlich glückliche Kindheit in Baku, Aserbaidschan. Das hatte unter anderem damit zu tun, dass er der Sohn eines der größten Ölpatrone der Region war und in einem sagenhaften Palast lebte, unter der Aufsicht schwer bewaffneter Banden, die der Vater dafür bezahlte, sein Hab und Gut gegen Plünderer, die Polizei und die schwer bewaffneten Banden anderer Ölpatrone zu verteidigen. Sein autobiografischer Bericht "Öl und Blut im Orient", den er in Berlin schrieb und im Jahr 1929 veröffentlichte, ist gleichzeitig ein Coming-of-Age-Roman eines jungen Oligarchen und ein Augenzeugenbericht aus dem Kreißsaal des Ölzeitalters. Näher als hier kann man dieser Industrie kaum kommen. Die Sitten allerdings sind rau, der Umgang miteinander, nun, ergebnisorientiert: Nussimbaums Vater zum Beispiel beschäftigt am liebsten Arbeiter aus dem Orient, weil die sich nicht beklagen, wenn sie eng aneinander gedrängt in barackenähnlichen Verschlägen auf dem Boden schlafen müssen und sie auch sonst keine Widerworte geben. Außerdem, auch das ist praktisch, haben sie noch nie von Seife gehört. Wenn man ihnen deshalb anbietet, sich stattdessen einfach mit dem Ölschlamm zu waschen, der hier überall zu finden ist, und auf dessen heilsame Wirkung zu vertrauen, erspart das viel Aufwand. Die Russen hingegen zetteln unentwegt Streiks an, verlangen bessere Bezahlung, bessere Unterkünfte und vor allem: Seife. Von allen Volksgruppen sind die Russen auf den Ölfeldern von Baku deshalb mit Abstand die unbeliebtesten. Signifikant anders geht es auf den Baustellen in Katar heute auch nicht zu. Essad Bey war natürlich bewusst, dass er in Berlin ein bürgerliches Publikum vor sich hatte, das, weil es den Wilden Westen als Erzählraum noch kaum gab, die Zeit mit vormodernen Geschichten aus dem wilden Kaukasus überbrückte. Von denen hat Bey einige zur Hand: Seine Eltern etwa lernten sich kennen, weil Polizisten gerade eine junge Sozialistin verhaftet hatten, in die sich sein Vater im Vorbeireiten verliebte, weshalb er seine Garde anwies, den Gefangenentransport zu überfallen, die schöne Sozialistin freizukaufen und in seinen Palast zu bringen. Der Reiz dieser Anekdoten liegt erstens darin, dass sowohl die Selbstherrlichkeit der Oligarchie als auch Unterschiede zwischen Arm und Reich fast genauso so groß sind wie heute, mit allen Konsequenzen. Und dass sie zweitens so unglaublich lustig sind.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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