Authentizität:Der Sinn dahinter

Lesezeit: 2 min

Japan nach dem Reaktorunfall: In „Grüße aus Fukushima“ beschäftigt sich Doris Dörrie mit einem realen Ereignis, aber der Film weist darüber hinaus. (Foto: dpa)

Dokumentarfilme sind beliebter denn je. Dabei geht es in vielen Werken gar nicht um wahr oder falsch. Sondern um die Frage, wie man Wirklichkeit in Film oder Literatur transportieren kann.

Von Martina Knoben

Was ist heutzutage noch echt? Das Selfie auf Instagram ist wahrscheinlich bearbeitet; die begeisterte Hotelkritik im Internet wurde womöglich von eben diesem Hotel "bestellt". Fake News beeinflussen Wahlen. Und von Lippen- oder sonstigen Körperkorrekturen wollen wir erst gar nicht reden. Mit den Manipulationsmöglichkeiten im multimedialen Zeitalter ist auch die Sehnsucht nach dem Unverfälschten gewachsen. Authentizität ist ein Schlüsselbegriff geworden, gerade auch im Kino und in der Literatur. Das verschafft dem Dokumentarfilm mehr Aufmerksamkeit; gleichzeitig wächst die Skepsis, schließlich wird auch in dieser Gattung mehr oder wenig offen inszeniert.

Wo liegen die Grenzen zwischen Fakten, Fakes und Fiktion? Und, ganz grundsätzlich: Wie kann man Wirklichkeit in Film oder Literatur transportieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das von der Regisseurin und Autorin Doris Dörrie kuratierte Forum:Autoren unter dem Titel "Alles echt. Alles Fiktion". Eine zentrale Reihe darin untersucht, wie man Filme "lesen" kann. Dazu zeigt die Kuratorin in einer Masterclass drei ihrer Arbeiten: "Erleuchtung garantiert", "Kirschblüten-Hanami" und "Grüße aus Fukushima". Sie alle erkunden, eingebettet in Spielfilmhandlungen, Japan und japanisches Denken; "Grüße aus Fukushima" zeigt die teilweise noch verstrahlte Sperrzone um das beim Tsunami 2011 beschädigte Kernkraftwerk.

Wo liegen die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion? Wie kann man Wirklichkeit in Film oder Literatur transportieren?

Für diese und viele andere Filme gilt: Dokumentar- und Spielformen nähern sich einander an. Im Bemühen um Glaubwürdigkeit adaptieren Drehbuchautoren "wahre Geschichten", und vor allem im Independent Kino wird gern quasi-ethnografisch erzählt: mit einem Hauch von Zen wie bei Dörrie, gern auch von Underdogs - der fremden Welt in unseren eigenen Gesellschaften. Und wie Doris Dörries Japan-Filme belegen, machen ein kleines Team und eine kleine Kamera intime (Alltags)beobachtungen auch im Spielfilm möglich.

An der Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm bewegen sich die Mockumentaries - fiktionale Dokumentarfilme, die das Genre kritisieren oder parodieren. Als Beispiel ist Olli Dittrichs spaßige Satire "Schorsch Aigner: Der Mann der Franz Beckenbauer war" zu sehen. Mit spielfilmartigen Bildern nähert sich Alexander Riedel in "Draußen bleiben" der Lebenswirklichkeit zweier junger Asylbewerberinnen an, während Alexander Adolph in "Die Hochstapler" mit der Hilfe von verurteilten Betrügern den Mechanismen (und der Faszination) von Lügen auf den Grund geht.

Das Interesse am Dokumentarischen hat eine Vielfalt der Formen hervorgebracht, darunter zahlreiche, die den subjektiven Standpunkt der Regisseure und das "Gemachte" des Dokumentarfilms offenlegen. Filme lesen zu können heißt in diesem Zusammenhang, Argumentations- und Überzeugungsstrategien zu erkennen. Maya Reichert vom Dok.fest München bietet dazu einen Workshop an und begleitet die Screenings der von ihr ausgewählten Filme. Zu diesen gehört der mitreißende Dokumentarfilm "Stories We Tell" von Sarah Polley, in dem diese ihre Familiengeschichte ergründet. Sie entdeckt, dass es wahr oder falsch am Ende nicht gibt, dass es vielmehr darum geht, den oft widersprüchlichen Aussagen einen Sinn zu verleihen. Ob im Privaten oder der großen Politik - darum geht es bei einer guten Geschichte.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: