Ausstellungs-Marathon:Geld ist ein Chamäleon

Lesezeit: 4 min

Das Gallery Weekend lockt zahlungskräftige Kunstsammler aus der ganzen Welt nach Berlin. Eine Safari in sechs Stationen.

Von Astrid Mania

Erster Mai in Berlin: Während am Kottbusser Tor die Polizei ihre verbeulten "Wannen" in Formation fahren lässt und sich die Jugend für den Abend in Laune trinkt, rollen in Mitte, auf der Potsdamer Straße und anderswo schwarze Limousinen durch die Straßen, in denen Kunstsammler aus der ganzen Welt sitzen. Ihre Safari durch die Berliner Wildnis, das Gallery Weekend, wurde vor elf Jahren erfunden, um die potenten Kunstkäufer, die in Berlin fehlen, in die Stadt zu locken. Mittlerweile ist es das wichtigste Ereignis der Berliner Szene geworden. Wir haben aus den Ausstellungen der 47 teilnehmenden Galerien sechs ausgewählt.

Delmes & Zander: Adelhyd van Bender

Kreativität durch Kränkung? Adelhyd van Bender, 1950 als Harald Friedrich Bender geboren und 2014 verstorben, hinterließ Tausende Aktenordner und Tüten voller Zeichnungen. Aus Ordner #23 stammt jene Folge rätselhafter "U"s auf monochrom übermalten Fotokopien, die neben Einzelblättern in der Galerie zu sehen sind. Geremixte Kopien sind die Grundlage vieler Werke, manche davon farbig überzeichnet. Es vereinen sich die mathematisch anmutenden Texte des Künstlers, Schnipsel aus Apothekenzeitungen, Geometrisches und juristische Korrespondenz: Von der Berliner Hochschule der Künste zwangsexmatrikuliert, kämpfte van Bender seinen Fall - vergeblich - durch die Instanzen. Die Institutionen kapitulierten wohl vor jenem obsessiven Bilderuniversum, das dem Künstler magisch-religiöse Erlösung versprach und uns ein unenträtselbares Bilderreich zwischen Wahnsinn und Methode schenkt. Eine Ausstellung als späte Wiedergutmachung (bis 27. Juni 2015).

KOW: Renzo Martens & Institute for Human Activities

Das Geld ist ein Chamäleon. Es hat die Großmutter gebissen und infiziert sie nun mit seinen Pocken. Das erzählt die Skulptur von Thomas Leba, die sich Renzo Martens und seinem Institute for Human Activities verdankt. Martens stellt die Glieder der Wertschöpfungskette und des Warenkreislaufs einer sozial engagierten Kunst um: In der einstigen belgischen Kolonie hat er einen Bildhauerworkshop für (Kakao-)Plantagenarbeiter initiiert. Die Skulpturen werden über Umwege von einem belgischen Chocolatier in Kakaomasse gegossen und in den westlichen Kunstmarkt eingeschleust. Der Gewinnanteil ist für die Künstler. Anders als frühere Projekte Martens' dürften die aus teilweise bitterer Biografie und Mythos gespeisten Werke leichter zu verdauen sein - kommen die wahren Geschichten von Armut und Ausbeutung doch in einer skulpturalen Bildsprache daher, die weit von "poverty porn" entfernt, konzeptuell durchdacht und auch kunsthistorisch anschlussfähig ist (bis 26. Juli 2015).

Johann König/St. Agnes: Katharina Grosse

Es ist so oft gesagt wie wahr: Die Berliner Galerien gleichen vieles aus, was die öffentlichen Institutionen nicht leisten wollen oder können. Den spektakulären Auftritt der Berliner Malerinnen etwa. So hat auch Katharina Grosse an öffentlichem Ort Berlins lange nicht gezeigt. Dafür darf sie nun die heiligen Hallen von St. Agnes einweihen, jener brutalistischen Kirche, deren Umbau für Galeriezwecke gerade abgeschlossen wurde. Die unbetitelten, aktuellen Werke wirken in ihrer Farbschichtung und Überlappung fast, als bestünden sie aus zerfetzten, ausgerissenen Papierschichten - ihre Räumlichkeit entfalten sie von Ferne. Die Sorge, dass die Umgebung Erhabenheit oder Sakralität abstrahlen könnte, ist ungründet. Die sechs riesigen, abstrakten Leinwände sind im besten Sinne profan und haben genug mit ihrem eigenen Sein zu tun (bis 21. Juni 2015).

Croy Nielsen: Olga Balema

Olga Balema gehört zu jenen jungen Künstlern und Künstlerinnen, auf die sich der Kunstbetrieb gerade wie ein Schiffbrüchiger auf die rettende Insel stürzt. Der Erfolg ihrer prozessualen Skulpturen, die etwa Metall und andere Fremdkörper in durchsichtigen Kunststoffformen mit Wasser reagieren lassen, erklärt sich mit durch aktuelle philosophische Debatten. In sträflicher Verkürzung: Der sogenannte "spekulative Realismus" beschert uns eine Welt, die nicht mehr (nur) aus dem Denken des Menschen entsteht, sondern innerhalb derer der denkende Mensch ein Objekt unter vielen ist, eine Welt, auf die verschiedene abstrakte Zugriffe möglich sind. Die Kunst, die dazu passt, darf sich wieder ganz auf das Materielle konzentrieren. Im Olga Balemas Fall heißt das, auf die Fragilität des Organischen im Allgemeinen und des menschlichen Körpers im Speziellen. Derart von einer Philosophie gestützt, die ihre praktischen, sprich ethischen Belange ausblendet, kann sich auch die Kunst aller Bezüge auf politische und ökonomische Zusammenhänge entledigen. Matter over mind (bis 13. Juni 2015).

Meyer Riegger: Rosa Barba

Der Film produziert sich selbst. Wie von Geisterhand prägt eine Schreibmaschine Buchstabe für Buchstabe einen Text in Zelluloid, der zitternd und unentzifferbar über die Wand läuft. "Spacelength Thought" (2012) zerlegt, wie so viele der filmischen Arbeiten Rosa Barbas, Medium und Aufführungsmaschinerie in ihre Einzelteile. Doch es entstehen immer auch narrative Werke, die mittels Bildern Geschichten erzählen. "Time as Perspective" (2012), von innen auf das Fenster der Galerie projiziert, zeigt ein schier unendliches Ölfeld in Vogelperspektive und in Nahaufnahme. Das rhythmische Pumpen, die Förderung des fossilen Brennstoffs, der die Gegenwart befeuert und die Zukunft ruiniert, ist als Reflexion über die Zeit gedacht. Doch natürlich zeugt diese geschundene Landschaft auch von einer ökologischen Katastrophe, von der man nicht weiß, ob sie längst stattgefunden hat oder noch bevorsteht (bis 20. Juni 2015).

Francis Picabia, French Cancan, um 1941-43. (Foto: VG Bild-Kunst, Bonn; Galerie Michael Haas)

Galerie Michael Haas: Francis Picabia

Verglichen mit dem Vorjahr bietet das aktuelle Gallery Weekend wenig Künstler, die bereits in den Kanon und/oder die Gefilde der Seligen eingegangen sind. Eine der Ausnahmen, auf die beides zutrifft, stellt Francis Picabia dar. Dabei nimmt er es in punkto formaler Brüche, grenzkitschiger Überhöhung und popkultureller Referenzen mit jedem Zeitgenossen auf. In den späten Dreißigern etwa entdeckt er seine Motive auf Postkarten und in Magazinen - es entstehen Gemälde, mit denen sich Kritik und Markt lange schwertaten. So aber trifft bei Haas eine schrundige Gesichtsandeutung ("Châves et chauves", 1947) auf eine schmachtende Schönheit ("Femme au châle bleu", um 1940-44), findet sich eine glatt gemalte Landschaftsexplosion ("Talamus", ca. 1938/39) ebenso wie ein verhalten-fauvistischer Flusslauf ("Paysage au torrent", 1909). Tatsächlich ist die Picabia-Schau mindestens so energetisch-vibrierend wie viele der jüngeren Nachfahren. Sie macht, wenn man das sagen darf, einfach Spaß (bis 27. Juni 2015).

Bis Sonntag. www.gallery-weekend-berlin.de

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: