Ausstellung:Wunderkammer der Assoziationen

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Michael von Brentanos spielerisch-rätselhaftes "teatrum mundi" im Stadtmuseum Weilheim

Von Sabine Reithmaier, Weilheim

Rätselhafte rosafarbene Objekte gleich in der Vitrine am Eingang. Sind das Fangarme von Kraken oder überdimensionierte Korallen? Oder vielleicht Arterien oder andere Fragmente eines menschlichen Organs. Michael von Brentano schüttelt den Kopf. Die seltsamen Gegenstände sind Zucchinistrünke, die er abgeformt und mehrmals mit Silikon ausgegossen hat. Jetzt rekeln sie sich neben einer verstümmelten Figur, die ursprünglich vermutlich am Kreuz hing. Ihre Arme und Beine sind nur mehr als Stümpfe erhalten. Das korrespondiert auf irritierende Weise mit den Ausstülpungen des Zucchinistrunks, ebenso das Foto, das eine menschliche Hand mit Wundmalen zeigt. Das Kino im Kopf, die Kommunikation mit der Kunst startet sofort.

Glück für den Bildhauer Michael von Brentano, dass der Weilheimer Museumsleiter Tobias Güthner eine Leidenschaft mit ihm teilt: das Faible für Wunderkammern. Glück auch, dass das Museum, untergebracht im alten Rathaus Weilheim, nicht auf der Höhe des musealen Zeitgeistes ist, sondern sich noch so präsentiert, wie es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts üblich war. Noch, denn Umbau und Neugestaltung sind schon länger in Planung. Irgendwann werden sie vermutlich auch stattfinden. Jetzt aber gibt es noch alte Vitrinen, Intarsienschränke, grandiose Skulpturen der Weilheimer Bildhauer Georg Petel, Hans Krumper, Hans Degler und Bartholomäus Steinle sowie Gebrauchsgegenstände. Das alles kommt Brentano entgegen, der seine Objekte zu denen des Museums in Beziehung setzt.

Was wirkt wie ein wildes Sammelsurium, birgt ein subtiles Konzept. (Foto: Michael von Brentano)

In den frühen Wunderkammern der Renaissance, den Vorläufern der Museen, sammelten Fürsten und wohlhabende, standesbewusste Bürger alles, was ihnen wertvoll und bemerkenswert erschien: Objekte aus Natur, Kunst und Wissenschaft sowie Zeugnisse fremder Kulturen präsentierten sie unvermittelt nebeneinander, boten kein perfekt aufbereitetes Wissen, sondern eher ein Labor mit teils alchemistischen Gerätschaften. Hier knüpft Brentanos Konzept an. Auch er ist ein Sammler aus Leidenschaft. Als Künstler bewegt er sich seit Jahren an der Grenze zwischen Lebendigem, Natürlichem und Erstarrtem, zwischen Gewachsenem und Hergestelltem, agiert forschend, schauend, archivierend, manchmal auch sehr spielerisch, wie die fragile, abgeformte und auf den Kopf gestellte Dillpflanze belegt.

Seit 2013 experimentiert Brentano mit seinem bewusst ohne h geschriebenen "teatrum mundi", wie er seine Wunderkammer nennt. "Die Art und Weise, wie ich die gefundenen oder gemachten Fundstücke in Beziehung setze, zeigt, wie ich die Welt wahrnehme." Ein subjektives Gedächtnis aus Skulpturen, Readymades, Collagen, Entwürfen, Grafiken, verfremdeten Fotografien also. Nichts existiert allein, alles hängt irgendwie zusammen, ob formal, farblich, stofflich oder inhaltlich.

Michael von Brentano setzt im Weilheimer Stadtmuseum gemachte und natürliche Fundstücke in Beziehung zu Objekten aus der Sammlung des Hauses. (Foto: Michael von Brentano)

Brentanos Art, Spuren zu sammeln und sie sich ästhetisch anzueignen, ist ein stiller, kontemplativer Akt, wenn er auch ab und an das Gesehene mit einem gehörigen Schuss Ironie aufbereitet. "Das gelieferte Paradies entspricht nicht dem bestellten" nennt sich eine große Arbeit im Obergeschoss. Aale winden sich verzweifelt auf weißem Untergrund, hinter ihnen hängt ein Gemäldezyklus aus dem Leben Christi. "Floraland" nennt er eine fleischfarbene Stele aus abgeformten Königskerzenblättern, jede einzelne farblich gefasst, passend zum Inkarnat der dahinter hängenden Veronika. Neben dem berühmten gotischen Weilheimer Palmesel lagert ein abgeformter Baumstamm, wurmstichig, hohl, mit blauen Adern im Inneren, knüpft mühelos eine Verbindung zum drastisch dargestellten "Martyrium der hl. Agatha", einem Bildzyklus des Weilheimer Malers Jörg Greimolt aus dem Jahr 1523.

In einer der Fenstervitrinen hat Brentano "Ekstasen und kontemplative Geburten" vereint: Vogue-Models in ekstatischen Posen, die Mystikerin Theresa von Avila kann da ziemlich gut mithalten. Auf den Gesichtern funkeln Kristalle, der spirituelle Inhalt ist für Brentano zu Stein geronnen. Ein Engelskopf aus dem Bestand des Museums, völlig zerfressen vom sauren Regen, und jede Menge geschwungene Beine, ob auf Feinstrumpfhosenverpackungen - der Rest der Frau ist uninteressant - oder als Wurzeln. Fundstücke aus der Natur transformiert Brentano auch gern in Bronze, gießt sie aus - klassische Tätigkeiten eines Bildhauers eben, sagt er. Als solcher ist er ausgebildet. 1960 in Augsburg geboren, absolvierte er eine Schreinerlehre, bevor er an der Münchner Akademie studierte.

Die Ausstellung trägt den Namen "teatrum mundi". (Foto: Michael von Brentano)

Heute lebt er in Seeshaupt - viele der Strünke und Wurzeln stammen aus seinem Perma-Kulturgarten - und unterrichtet an der Berufsfachschule für Holzbildhauer in Garmisch-Partenkirchen. Und ja: mit dem Dichter der Romantik Clemens Brentano (1778-1842) ist er weitläufig verwandt, viel direkter aber mit dem ehemaligen deutschen Außenminister Heinrich von Brentano (1904-1964), seinem Onkel.

Die in Gläsern schwimmenden Objekte lassen an eingelegte Präparate anatomischer Sammlungen denken. Aber es sind beschnittene Wurzeln oder gar Zucchini-Blattadern. Eine Kilian-Kaffeedose aus dem Museumsdepot erinnert daran, dass in Weilheim einmal Kaffee geröstet wurde, während die Salatschleuder, die wie ein halbiertes Erdbeertier aussieht, aus der Schweiz stammt. Die Lockenwickler sind aus der Drogerie gegenüber. Die Assoziationsketten, die Brentano mit seinen Anordnungen in Gang setzt, sind vielschichtig.

Viele der Objekte funktionieren auch als Einzelskulptur. Doch im Verbund offenbaren sie ihre Lebendigkeit. "Was mich interessiert, ist das Leben an sich", sagt Brentano. Vermutlich der Grund, warum "Die Wunder des Lebens" in einer Knaur-Volksausgabe an der Wand sofort ins Auge springen. Gerade weil manches bewusst unsortiert ist und unerklärlich bleibt, ist die Ausstellung eine fabelhafte Gelegenheit, um in eine differenzierte, hochkomplexe Welt einzutauchen.

Michael von Brentano: teatrum mundi - eine Intervention , bis zum 23. Juni, Stadtmuseum Weilheim, Marienplatz

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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