Ausstellung:Unsterbliche Hüllen

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"Divine Design. Das Kleid der Antike" - und wie man es modern interpretiert. In einer wie verzauberten Glyptothek zeigen junge Designer, was ihnen zu Aphrodite und den Olympioniken einfällt, wenn die Muse sie küsst

Von Susanne Hermanski

Sie ist schön wie eine Göttin. Wie sie da steht und in Anmut ihre Flügel ausbreitet, den Rücken fein verschnürt mit einem dünnen Lederriemen, den Leib umflossen von feinstem Leinen, das lässt den Betrachter gleichsam abheben mit ihr. Nur wer der Schönen nahe kommt, sieht, wie das zarte Gefieder, das ihre Arme säumt, mit Wachs überzogen ist. Und er erinnert sich dann an Ikarus. Als der mit seinen selbst gebauten Flügeln voller Übermut der Sonne zu nahe gekommen war, ist der Sohn des Ikarus abgestürzt und im Meer zerschollen.

So vermischt sich alles in diesem einen Bild: die griechische Sagenwelt mit dem Zeitalter der Fake News, die göttliche Isis mit dem sterblichen Knaben, die Mahnung an die Vergänglichkeit der Schönheit mit der Feier ewig gültiger Ideale, und schließlich die Kunst des Malers, der vor Jahrtausenden sein Bild der Totengöttin auf einem formvollendeten Gefäß festhielt, mit der Kunst einer virtuosen Schneiderin dieser Tage.

Denn die Fotografie von Peter Schreiber (rechts im Bild) ist Teil einer bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen der Münchner Akademie für Mode und Design (AMD) mit den Staatlichen Antikensammlungen und der Glyptothek. Diese währte zwei Jahre und gipfelt nun in einer Ausstellung, die Mode und antike Kunst kombiniert, in einem ambitionierten Katalog und einem facettenreichen Rahmenprogramm.

Die Aufgabe, der sich die Studenten gestellt haben, war anspruchsvoll: Sie sollten antike Kleidung nicht etwa nachschneidern, sondern sie mit zeitgenössischem Modedesign in einen Dialog treten zu lassen. Und so sprechen die fließenden Gewänder, die neo-archaischen Rüstungen und die gezopften Helme nun aufs Magischste mit Skulpturen und Kultgefäßen in den heiligen Hallen der beiden Museen. Die jungen Kreativen haben sich nicht nur bei den Formen, Techniken und Optiken der alten Griechen wie dem "Chiton" bedient. Sie haben mit den heute geradezu geheim erscheinenden Codes der Darstellungen von Kleidern an Statuen und auf anderen Kunstwerke gearbeitet. Sie haben deren Chiffren gelesen und sie in neue Symbole umgeschrieben. So dient einer syrischstämmigen Designerin Mars selbst als Vorbild für ein modernes, geharnischtes Leder-Damenkostüm. Eine Kollegin entwirft einen wattierten Anzug, der sehr frei den muskulösen Formen der Kouros-Statue eines nackten jungen Mannes nachempfunden ist. Und wer in der jüngeren Kostümgeschichte ein wenig bewandert ist, der wird darin wiederum die Anspielung an Rei Kawakubos legendäre Wulst-Entwürfe für Comme des Garçons erkennen, die menschliche Körperformen gezielt verzerrten. Für den Katalog haben die Studenten des Faches Modejournalismus- und Medienkommunikation der AMD die Kreationen zudem in beeindruckenden Tableaus vivantes inszeniert, die in der Glyptothek als Fotografien zu sehen sind.

Doch der Besucher nimmt aus dieser Ausstellung auch archäologisches Basiswissen über die tatsächliche Kleidung der griechischen Antike mit. Wie Frauen und Männer im Alltag, bei Festlichkeiten, beim Sport, bei der Jagd und im Krieg angezogen waren, wie sie mit Kosmetik, Frisuren und Accessoires umgingen, wird gezeigt. Weil freilich kaum Textilreste aus der griechischen Zeit erhalten sind, wird dieser Teil anhand der Vasenbilder, mit Hilfe von Statuetten aus Ton und Bronze sowie mit Schmuck und Zeichnungen sichtbar gemacht. In einem Raum der Antikensammlung schlagen die modernen Entwurfsskizzen der Studenten sichtlich den Bogen zu den Vitrinen mit ihren historischen Schätzen.

Das Begleitprogramm mit Kuratorenführungen, Workshops und musikalischer Soiree (12. Mai mit Stücken von Debussy, Ravel und anderen) zeigt noch viel mehr Facetten des Themas auf. Und Ekkehart Baumgartner, Vizepräsident der Hochschule Fresenius, zu der die AMD gehört, nutzt die Kooperation sogleich für ein fundamentales, flammendes Plädoyer. In seiner Eröffnungsrede der Ausstellung betont er, wie viel enger die Zusammenarbeit zwischen den Museen und den Hochschulen werden solle. Denn "im heutigen Zukunftsrausch unseres Denkens" würde Bildung zu oft "nur in der aktuellen Perspektive wahrgenommen", sagt er, dabei sei die "Aktivierung des Gedächtnisses" für jedes Verstehen des Heute so wichtig. Bei "Divine Design" jedenfalls gelingt es: das kreative Erinnern.

Divine Design. Das Kleid in der Antike , Glyptothek und Staatliche Antikensammlungen, Königsplatz 1 und 3, tägl. außer Mo. 10-17 Uhr, Mi. und Do. 10-20 Uhr; bis 8. Oktober

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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