Ausstellung:Ohne Weichspüler

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Das Münchner Duo "Empfangshalle" beschäftigt sich in seinem Kunstprojekt "Wäsche" mit der Lebensrealität der Stadt

Von Jürgen Moises, München

In wenigen Tagen werden die ersten Bierleichen hier liegen. Hier auf den grünen Rasenflächen rund um die Kirche St. Paul. Diese wurden auch schon in den vergangenen Jahren als Schlafstätte genutzt, und das nicht nur von besoffenen Münchnern und Touristen, sondern auch von Wanderarbeitern aus Osteuropa, die sich unter den Fenstern der römisch-katholischen Kirche von der Arbeit auf der Baustelle oder einem anderen Ort erholen. Von deren nächtlichen Besuchen zeugen aktuell noch ein verschlissenes Sofa, Pappkartons, eine Matratze sowie eine alte Decke, sowie zurückgebliebene Kleidungsstücke, die zusammen mit liturgischen Gewändern und gesammelten Altkleidern der Kirchengemeinde in etwa fünf Meter Höhe in der Galerie der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst (DG) an mehreren Wäscheleinen hängen.

Die Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst zeichnet sie mit einem Preis aus

Wie die Kleidungsstücke dort hinaufgekommen sind? Das hat mit Corbinian Böhm und Michael Gruber zu tun, die sich seit 2000 als Künstlerduo "Empfangshalle" nennen und aktuell in der Galerie am Wittelsbacher Platz ausstellen. "Wäsche" heißt die Ausstellung der beiden Münchner Künstler, die sich vom Studium der Bildhauerei an der Kunstakademie her kennen und denen am 24. Oktober auch der "Kunstpreis der DG" verliehen wird. Als Empfangshalle machen Böhm und Gruber Skulpturen, Installationen und performative Arbeiten, in die sie in der Regel konkrete Orte wie St. Paul und die Menschen dort miteinbeziehen und diese mit anderen Orten und Menschen konfrontieren. In dem Fall ist das die teure Gegend rund um den Wittelsbacher- und Odeonsplatz, die mit der Wohngegend um den St.-Pauls-Platz ein Stück weit im Kontrast steht.

Die beiden Orte sind aber nicht nur durch die Kleidung verbunden, die von Böhm und Gruber in einer mitausgestellten Industriewaschmaschine gewaschen wurde. Sondern auch durch Videoarbeiten, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt werden. Die eine besteht aus Filmaufnahmen von der Waschvorgängen in der Galerie, die auf das Rosettenfenster über dem Westportal von St. Paul projiziert werden. Die andere aus filmischen Sequenzen, die das Duo in St. Paul aufgenommen hat. Darin zu sehen sind jeweils zwei verschiedene Hände, die sich ganz nach dem Motto "Eine Hand wäscht die andere" gegenseitig waschen. Das sind Bilder, die ein Stück weit irritieren, aber irgendwie auch sehr intim und fast erotisch wirken. Und an deren Entstehung man übrigens auch selbst mitwirken kann, indem man an einer "Waschstation" in St. Paul aktiv wird.

Unter der Decke des Ausstellungsraumes hängen frisch gewaschene Altkleider neben Messgewändern. (Foto: Empgangshalle/ Galerie der DG)

Feuchte Hände sieht man auch in der Zweikanal-Videoinstallation "Gläubiger und Schuldner". In dem Fall gehören sie Böhm und Gruber, die diese in das Weihwasserbecken in Sankt Bonifaz und in den Brunnen vor den Lenbach Gärten tauchen. Zwischen beiden Orten sieht man die Künstler in einer Endlosschleife hin und her laufen, das heißt: zwischen einer Kirche, die mit Kleiderkammer und Suppenküche einen Anlaufpunkt für Obdachlose darstellt, und einem hochexklusiven Gebäudeensemble mit 5-Sterne-Hotel und Butler-Service, das vor allem der Kapitalvermehrung dient. Also auch hier geht es um Arm und Reich, um gesellschaftliche Kontraste. Und man darf annehmen, dass deren Thematisierung in die Entscheidung der DG für christliche Kunst mit hineingespielt hat, dem Duo Empfangshalle ihren Kunstpreis zu verleihen.

Tatsächlich ging es Böhm und Gruber, die zusammen mit anderen Künstlern und Designern in der Katharina-von-Bora-Straße eine Ateliergemeinschaft betreiben, auch schon in zahlreichen früheren Projekten um soziale Relevanz. So haben sie etwa vor drei Jahren mit "Hinterm Horizont" ein Projekt in einer Berliner Justizvollzugsanstalt realisiert, haben sich mit der Videoarbeit "As If We Were Alone", die 2007 in Venedig gezeigt wurde, mit der Handy-Kommunikation in der Öffentlichkeit beschäftigt und bereits 2003 mit "Woher Kollege Wohin Kollege" eine mobile Ausstellung in einem zum Wohnmobil umfunktionierten Müllwagen kreiert, die das "Heimatbild" von Münchner Müllmännern zum Thema hatte.

Eine Hand wäscht im Video die andere. (Foto: Empgangshalle/ VG Bild-Kunst Bonn, 2017)

Empfangshalle - Wäsche , bis 11. Nov., Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst, Finkenstraße 4

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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