Ausstellung:Nächster Halt: Zukunft

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Eine kleine Schau im Münchner AIT-Architektursalon erinnert an die Zeit, als die Moderne auch die Modelleisenbahnen Deutschlands prägte

Von Christian Jooß-Bernau

Verblüfft dürften manche 1972 vor dem Plakat gestanden haben, das Klaus Staeck zur Bundestagswahl gestaltete: "Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen" war der Slogan, dessen Witz heute noch zündet. Die abgebildete Villa kam vielen bekannt vor. Wenn auch in Plastik. Für 39,99 Euro kann sich noch heute jeder eine Villa im Tessin leisten. Für den Preis muss man sie nur noch selbst zusammenkleben: aus 106 Einzelteilen in zehn Farben und einer Gardinenmaske. Direkt an der Hauptstraße des Schweizer Örtchens Ambrí steht seit 1958 ein Haus: zwei Baukörper, gegeneinander versetzt auf Natursteinsockeln, schwebende Kästen mit Panoramaglasfronten, entworfen von Alberto und Aldo Guscetti. Wer aus der Schweiz in den Süden fährt, kommt durch Ambrí. So, wie auch Hermann Faller, Inhaber einer Modellbaufirma. Den begeisterte die Villa im Tessin derart, dass er für sich selbst eine ähnliche bauen und gleichzeitig einen Bausatz für Faller entwickeln ließ, der von 1961 an die Modelleisenbahnen der Republik schmückte. Damals allerdings noch für nur 4,75 D-Mark.

"Märklinmoderne. Vom Bau zum Bausatz und zurück" heißt die Ausstellung mit Modellen und erklärenden Tafeln, die, aus dem Frankfurter Architekturmuseum kommend, gerade in München gastiert. Kuratiert wurde die Ausstellung des Onlinemagazins Moderneregional von Karin Berkemann und Daniel Bartetzko. Zu sehen ist sie im Architektursalon im Keller des Museum of Urban and Contemporary Art, der mit seiner Hobbykelleranmutung bestens zum Thema passt.

In der Klischeevorstellung rangiert der Heimlokführer, angetan mit Schaffnermütze und Kelle seine Züge durch ein Miniaturbutzenscheibendeutschland mit Almhütten, Zierbrunnen und Zwiebelkirchtürmen. Fallers Bausatz "Moderne Kirche" war anders: ein Turm in Betonoptik, die ausladende Glasfront des Kirchenschiffs, ein Glaskreuz im Dach eingelassen. Vorbild war die Kirche St. Katharina, erbaut in den frühen Sechzigerjahren gleich neben dem Faller-Firmensitz in Gütenbach. Mit der Nachkriegsarchitektur drang die Idee von Zukunft vor bis in die Beschaulichkeit des Schwarzwaldes. Und wie bei der Villa im Tessin ist die Modellbauanlage nicht Ort des Rückzuges, sondern balanciert auf dem feinen Grad zwischen Realität und Wunschbild - mit starken Sympathien für die dampfende Maschinenästhetik der Industrialisierung.

Der Kibri-Bausatz "Postamt Badenweiler" hatte durchaus heimelige Blumenkästen vor den Fenstern, in feiner Geranienanmutung mit Schaumstoff beflockt. Das Gebäude selber aber war eine Ahnung von Mies van der Rohe gespiegelt in die Ausläufer des Schwarzwaldes. Ein massiver Baukörper, schwebend auf einem stark zurückgenommenen Sockel. Die Idee von moderner Architektur bleibt nicht nur auf der Modellbahn gerne im Vagen zwischen Bauhaus, neuer Sachlichkeit und Nachkriegsmoderne.

Waren es in der Bundesrepublik Faller, Kibri und Vollmer, die den Hobbybahner zum Bauherrn mit Klebstofffingern machten, gab es in der DDR beispielsweise das VEB Kombinat Holzspielwaren Vero. "Wohnhausgruppe" und "Hochhaus" hießen die Modellbausätze aus deren Produktion. Im Land der Einheitspartei versuchte man sich an Einheitsmodellen für jede Spurweite. Das Erdgeschoss orientierte sich an der Spurgröße HO, die darüberliegenden Geschosse waren für kleinere Bahnen. Das Ergebnis war trotzdem apart in seiner Eigenwilligkeit. In den Achtzigerjahren begann die Zukunft ranzig zu werden. Die realen Hochhäuser setzten Patina an, die ihrer reduzierten Formsprache nicht bekam. Faller nahm seine Hochhäuser aus dem Programm. An ihre Stelle traten die Häuser des Frankfurter Römerbergs. Giebel, Erker, Fachwerk. Und die Züge auf den Modelleisenbahnanlagen zuckelten zurück in ein Deutschland, so schön, wie es nie gewesen sein wird.

Märklinmoderne. Vom Bau zum Bausatz und zurück , AIT-Architektursalon München, Hotterstraße 12, Mi. bis Mo., 10-20 Uhr, bis 4. Feb.

© SZ vom 18.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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