Ausstellung:Entblößte Dummheit und Brutalität

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Blatt 49 aus Hrdlickas Zyklus "Wie ein Totentanz..." zeigt die Hinrichtung des Politikers Carl Friedich Goerdeler in Plötzensee. (Foto: Alfred Hrdlicka-Archiv/Wien)

Alfred Hrdlickas Radierzyklus über Stauffenbergs "Hitlerattentat" im NS-Dokumentationszentrum

Von Evelyn Vogel, München

Für die Jüngeren und diejenigen, die ihr historisches Wissen aus Filmen beziehen, ist Claus Schenk Graf von Stauffenberg der Mann mit der Augenklappe und dem Gesicht von Tom Cruise oder auch Sebastian Koch. Zwei der Hauptdarsteller aus den unzähligen Verfilmungen des sogenannten "Hitlerattentats", mit dem Stauffenberg und ein paar andere am 20. Juli 1944 versuchten, Adolf Hitler mit einer Bombe zu töten und dem Nationalsozialismus durch einen nachfolgenden Staatsstreich ein Ende zu setzen. Für die Älteren und die, deren Geschichtskenntnisse sich auch aus anderen Quellen speisen, war oder ist Stauffenberg entweder ein Landesverräter und Feigling - oder ein Widerständler und Held. Eine ambivalente Rezeption, die sich lange durch die Nachkriegsgeschichte in West und Ost zog und erst spät zu Gunsten des Widerständlers entschieden wurde.

Der österreichische Künstler Alfred Hrdlicka schuf 1974 einen Radierzyklus in 53 Blättern mit einer 30er-Auflage, in dem er sich mit den Geschehnissen des "Hitlerattentats" künstlerisch, aber auch gesellschaftskritisch, mitunter polemisch auseinandersetzte. Sein Zyklus "Wie ein Totentanz - Die Ereignisse des 20. Juli 1944" wurde zu einer Abrechnung mit dem preußisch-deutschen Militarismus, mit Gehorsam und Korpsgeist, mit Männlichkeitskult, Größenwahn, ideologisch verbrämtem Sexismus und purer Barbarei.

Vor einigen Jahren wurde der Zyklus anlässlich des 60. Jahrestags des 20. Juli auf dem ehemaligen Reichsparteitaggelände in Nürnberg gezeigt, die Mappe stammte aus einer Privatsammlung. Und jüngst präsentierte das Kunstmuseum in Bayreuth ebenfalls den Zyklus - eine 2001 in Stuttgart durch den "Förderkreis Skulpturenmeile" erworbene Mappe. In München waren nach Auskunft von Museumsdirektor Winfried Nerdinger bislang nur einzelne Blätter zu sehen. Nun wird der druckgrafische Zyklus "Wie ein Totentanz - Die Ereignisse des 20. Juli 1944" von Alfred Hrdlicka als Leihgabe aus dem Museum in Morsbroich im NS-Dokumentationszentrum vollständig gezeigt.

Hrdlicka hat die verschiedensten Radiertechniken angewandt, hat die Motive mit Kaltnadel, Aquatinta und Mezzotinto auf Kupfer und Zink geritzt, gekratzt, gestochen, gestichelt, geschabt und geätzt. Manche Blätter wirken technisch ungemein zart und detailliert, andere konvulsivisch und wirr, wieder andere flächig und düster, manche fast malerisch. Zu jedem Blatt hat der 2009 gestorbene österreichische Künstler einen erläuternden Text verfasst. Denn Hrdlicka war immer bemüht, politisch-gegenständlich zu arbeiten und eine eindeutige Botschaft zu vermitteln. Dabei wählte er die verschiedensten stilistischen Mittel, entblößte die Dummheit und Brutalität des NS-Regimes und seiner Schergen auf drastisch-dokumentarische Weise, setzte mitunter selbst die größten Grausamkeiten mit Witz und Ironie bis hin zur karikaturesken Verzerrung in Szene. Auf etlichen Blättern sind Folter und Tod der Männer des 20. Juli 1944 und ihrer Familien zu sehen, die man oft nicht nur schnell hinrichten, sondern sie aufgehängt an Fleischerhaken langsam und qualvoll sterben lassen wollte - und sie dabei auch noch auf jedwede Weise ihrer Würde beraubte.

Die größte inhaltliche Qualität dieses Zyklus' liegt in der Erweiterung des Themas. Alfred Hrdlicka ging es nicht allein um das gescheiterte Attentat und seine Folgen. Er suchte vielmehr den Geist des NS-Regimes und seine Auswüchse in individueller Geisteshaltung und politischer Ideologie, Recht und Gesetzt, Familie und Freundschaft zu thematisieren. Der 1928 geborene Künstler hatte durch den Vater, ein Kommunist und Gewerkschafter, schon als Kind in Wien politische Verfolgung erlebt. Er sah die Wurzeln des Nationalsozialismus in der Tradition des preußischen Militarismus und dessen Hang zu unbedingtem Gehorsam.

So fängt der Zyklus folgerichtig mit Friedrich dem Großen an. Allerdings gibt die Szene - Casanova am Hof des Alten Fritz - schon den ironischen Grundton an, der immer wieder zum Tragen kommt. Und dass diese Tradition mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht endete, versinnbildlichte er, indem er den Zyklus mit der Militärdiktatur in Chile enden ließ. Dort leistete der als Kriegsverbrecher gesuchte ehemalige SS-Offizier Walter Rauff 1974 im Unrechtsregime Pinochets wohlgefällige Dienste - nicht ohne vorher ein paar Jahre auf der Gehaltsliste des BND gestanden zu haben. Wen wundert das, bei dem ambivalenten Umgang nach 1945 mit der gesamten NS-Zeit.

Alfred Hrdlicka. Wie ein Totentanz - Die Ereignisse des 20. Juli 194 4 ; NS-Dokumentationszentrum München, Brienner Straße 34, Di-So 10-19 Uhr; bis 27. August

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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