Ausstellung:Die Legende lebt

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München feiert den fast vergessenen Künstler Michael Buthe mit Ausstellungen im Haus der Kunst und in der Sammlung Goetz

Von Evelyn Vogel

Er inszenierte sich als Märchenprinz, nannte sich selbstironisch "Michel de la Sainte Beauté" und ragte schon zu Lebzeiten wie ein Solitär aus dem Kunstbetrieb heraus: Michael Buthe war eine künstlerische Ausnahmeerscheinung, ein Gesamtkunstwerk und eine menschliche Legende, die seine Mitmenschen in den Bann zog. Um ihn herum scharten sich in den Siebziger- und Achtzigerjahren Künstler, Kuratoren, Museumsleute und Sammler, die den "Wanderer zwischen den Welten", wie er wegen seiner vielen Reisen zwischen Deutschland und Marokko oft genannt wurde, verehrten. Mit dem Schauspieler Udo Kier und dem Videokünstler Marcel Odenbach lebte er wie in einer WG zusammen, Harald Szeemann stellte ihn 1969 in der bedeutsamen Schau "When Attitudes Become Form" und 1972 auf der nicht weniger wichtigen Documenta 5 aus, der belgische Kurator und Museumsleiter Jan Hoet pflegte Buthes Werk - sogar Beuys soll seinen Schülern empfohlen haben, mal bei ihm vorbeizuschauen.

Als Michael Buthe 1994 im Alter von nur 50 Jahren starb, schien sein Werk vom Zeitgeist hinweggefegt zu werden. In den selbstreferenziellen Jahren nach der Wiedervereinigung konnte man mit seinen mythologisch und religiös aufgeladenen, mit der Opulenz des Orients inszenierten, die Tür zu einer anderen Welt aufstoßenden Arbeiten kaum etwas anfangen. Wie zeitlos diese Arbeiten jedoch sind, lässt sich nun in einer großen Retrospektive im Haus der Kunst und in einer Werkschau in der Sammlung Goetz erkunden.

Das Zusammenspiel zwischen den beiden ganz unterschiedlichen Ausstellungen könnte nicht schöner sein. Damit hat München zudem einen unschätzbaren Vorteil gegenüber Luzern und Gent, wo die Retrospektive in ganz ähnlicher Form zuvor gezeigt wurde. Wo die groß inszenierte Schau im Haus der Kunst vom Frühwerk hin zum Spätwerk durch das viel zu kurze Leben Buthes führt, ergänzt die Sammlung Goetz diese fulminante Reise durch sehr persönliche Momente einer Sammlerin, die Buthe schon als Galeristin kannte und als Sammlerin Zeit Lebens wertschätzte und verehrte. Oder wie Ingvild Goetz es bei der Vorstellung der Ausstellung formulierte: "Es war Liebe auf den ersten Blick".

Michael Buthe "My Love to Etienne" von 1969, aus der Serie der übergroßen Stoffarbeiten. (Foto: Andri Stadler)

Das zeigen auch die vielen privaten Fotos, die die Freundschaft dokumentieren zwischen Buthe und dem Ehepaar Goetz, für das er im Ferienhaus in Spanien unter anderem einen Meditationstempel errichtete. Als er diesen mit einer spektakulären Performance einweihen ließ, rannten die Männer unter den Einheimischen schreiend davon, wie Goetz erzählt, "weil die so abergläubisch waren", während die Frauen sofort einen Zugang zu der magischen Welt Michael Buthes fanden.

Diese Welt lebte von farb- und formintensiven Einfällen, die sich als Papier- und Stoffarbeiten, als Collagen und Assemblagen sowie Installationen materialisierten, ornamentale und dekorative Momente sowie goldglänzende Muster mit schäbigen Alltagsformen kombinierte. Es ist bedauerlich, aber auch typisch für Buthe, dass beispielsweise sein spirituell-leuchtender "Sonnenraum", den er 1976 in Köln installierte, nicht mehr vorhanden ist. Er entwickelte seine Arbeiten immer weiter, verwendete Teile einer Installation für spätere Arbeiten, wie er gefundenes Material mit künstlerisch geschaffenen Objekten kombinierte. Junge Künstler, die heute Found Footage als letzten Schrei entdecken, sollten mal einen Blick auf die Objekte Micheal Buthes werfen.

Gegen die Strenge des Minimalismus in den Sechzigerjahren lehnte er sich mit seinen geschlitzten, zerfetzten, verschlungenen und sehr physisch wirkenden, großformatigen Stoffbilder auf. Farblich inspiriert von den marokkanischen Stofffärbern leuchten sie im Haus der Kunst mal intensiv, dann wieder zart und blass neben den Zeichnungen, die ebenfalls eine große Werkgruppe darstellen. Papierarbeiten finden sich in beiden Ausstellungen, ebenso Objekte und große Wandarbeiten. Und eine weitere Arbeit aus Privatbesitz ist in der Kirche St. Paul zu erleben.

Das Foto aus dem Privatarchiv von Ingvild Goetz zeigt sie und Michael Buthe 1983 in Spanien. (Foto: Sammlung Goetz)

Zwei große Raumeinrichtungen ragen aus der Ausstellung im Haus der Kunst heraus: Da ist die 1992 für die Documenta 9 geschaffene Installation "Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit", die mit ihren 14 umgebenden Bildtafeln an einen Kreuzweg aus der katholischen Ikonografie erinnern. Doch die mit erhobenen Armen, wie hilflos wirkenden, zum Teil wie mit Stacheldraht umgebenen Figuren, erinnern frappant an das aktuelle Flüchtlingsdrama. Und auch bei der zweiten Rauminstallation, der "Taufkapelle mit Papa und Mama", denkt man vor der aktuellen Debatte über muslimische Glaubensbekenntnisse bei dem mittig gesetzten Würfel eher an die Kaaba in Mekka, denn an christliche Symbolik. Buthe, der das erzkatholischen Köln - neben Marrakesch - als Heimat empfand, war mit dem Katholizismus ebenso gut vertraut wie mit anderen Religionen, darunter dem Islam und dem Buddhismus. Als Weltenwanderer eignete er sich verschiedene Universen an, reale wie irreale, und beschritt furchtlos deren Pfade.

Michael Buthe, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, bis 20. November, Mo-So-10-20 Uhr, Do bis 22 Uhr und Michael Buthe und Ingvild Goetz - Eine Freundschaft, Sammlung Goetz, Oberföhringer Str. 103, bis 3. Dezember, Do/Fr 14-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr (Anmeldung: www.sammlung-goetz.de) und Michael Buthe in St. Paul, bei der Theresienwiese, bis 3. Dezember

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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