Ausstellung:Die Gier des roten Drachen

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Der rote Drache aus China droht mit seinem Machtgebaren dem goldgegürteten Khmer-Wesen aus Kambodscha: Szene aus Khvay Samnangs Installation "Popil", die für das Haus der Kunst entstanden ist. (Foto: Courtesy of the artist / Haus der Kunst)

Mit einer hochpolitischen Arbeit ist der kambodschanische Künstler Khvay Samnang im Haus der Kunst zu Gast. Assoziative Spaziergänge inszeniert Raphaela Vogel in ihren Bild- und Tonwelten an gleicher Stelle

Von Evelyn Vogel

Seine Arbeit ist ein einziger großer Aufschrei. Ein Protest gegen den aktuellen Ausverkauf seines Landes. Während die westliche Welt durch die in Kolonialzeiten erbeutete Kunst aus afrikanischen Staaten und aktuelle Rückgabeforderungen gezwungen wird, sich längst zurückliegenden Zeiten zu stellen, ist es für Länder wie Kambodscha weniger vordringlich, sich mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und deren Plünderungen in Angkor auseinander zu setzen. Für sie geht es aktuell um ihre gesamte Identität. Ob Myanmar, Laos, Vietnam oder Kambodscha, seit Jahren werden diese Länder vom großen Nachbarn China durch Investitionen wirtschaftlich abhängig gemacht, ökologisch ausgebeutet und in der Folge auch politisch beeinflusst. Und die eigenen Politiker treiben in ihrem Streben nach Macht und Geld den Ausverkauf ihrer Länder auch noch voran.

Den Westen interessiert das in der Regel wenig. Kambodscha, ganz Südostasien ist ja weit weg. Doch allmählich wird dem Westen mulmig angesichts der Wirtschaftspolitik Chinas auch außerhalb Asiens. Das Allmachtsstreben des roten Drachens hat sich bis vor die eigene Haustür ausgebreitet - wenn es sich nicht schon fast unbemerkt im Haus breitgemacht hat. Gerade beherrschen Berichte, in denen es um Spionageverdacht gegen chinesische Telekomunternehmen geht, die Schlagzeilen.

Angesichts des China-freundlichen Machtapparats des seit Jahrzehnten das Land regierenden Ministerpräsidenten Hun Sen ist es fast erstaunlich, wie intensiv der zeitgenössische Künstler Khvay Samnang aus Kambodscha Kritik an den Allmachtsfantasien Chinas üben kann. Für den westlichen Betrachter mögen seine Mehrkanal-Videoinstallationen, wie sie 2017 auf der Documenta 14 zu sehen waren und nun im Auftragswerk "Popil" in der aktuellen Kapselausstellung 10 im Haus der Kunst gezeigt werden, auf den ersten Blick traditionell wirken. Tatsächlich aber spricht der 1982 im Südosten des Landes geborene, in der Hauptstadt Phnom Penh lebende Khvay mit seiner Kunst das aus, was sich viele seiner Landsleute nicht zu sagen trauen - oder die verhaftet werden, wenn sie es doch tun.

In dem Reigen der beiden mit riesigen Fabelwesenköpfen aus Wurzelwerk geschmückten Tänzer bringt er das Ringen der beiden Nationen zum Ausdruck: Der mit roten Bändern gekennzeichnete chinesische Drache umschmeichelt das mit goldenen Schals umwundene Khmer-Wesen, das erst zögerlich, dann freudig dem Werben nachgibt. Zugleich symbolisieren die einzelnen Gesten, die im traditionellen "Robam kbach boran"-Tanz der Khmer für bestimmte Elemente der Natur stehen, die gesamte Geografie eines Landes, dessen Neukartografierung in Form eines Ausverkaufs an den roten Drachen unaufhaltsam voranschreitet.

Um ein Werben ganz anderer Art geht es in der zweiten Ausstellung, der Kapsel 9 von Raphaela Vogel. Unter dem Titel "A Woman's Sport Car" lässt sie aus den Scheinwerfern eines rotierenden, knallgelben Triumph Spitfire den Raum erkunden. Die Doppelprojektion in den Lichtkegeln, die wie ein Augenpaar über die Wände wandern, geben Einblicke in eine durch eine 360-Grad-Optik verzerrte, kugelförmige Welt. Diese ist nicht politisch, sondern vor allem persönlich geprägt. Darauf deuten schon das Kennzeichen M-AMA... und der schwarze Haarkranz auf dem Fahrersitz hin: eine Hommage an ihre Mutter, die einst einen ähnlichen Flitzer besaß. Einer der Protagonisten der bewegten Bilder ist ihr Hund. Aber auch ein Glücksrad, Natur, Werbung und eine Fetisch-Veranstaltung tauchen im Reigen der Bilder auf, mit dem Raphaela Vogel die Gesellschaft vermisst. Der assoziative Spaziergang ist mit teils bombastischer Musik und dem Dröhnen eines Motors unterlegt.

Eine Parallelität zu Khvay Samnangs Arbeit ist die Bewegung, obwohl die beiden Kapsel-Ausstellungen immer unabhängig voneinander entstehen. Aber bei Raphaela Vogel, die 1988 in Nürnberg geboren wurde und mittlerweile in Berlin lebt, spielt die Musik eine viele stärkere Rolle als bei Khvay. So ist sie selbst in einem Video, das gleich am Auftakt der Ausstellung installiert ist, als Akkordeonspielerin zu erleben. Im Garten einer italienischen Villa inszeniert sie sich fast märchenhaft, wie ein Dornröschen, das sirenengleich den Betrachter lockt und verführt. Die Welt, die sie ihm eröffnet, ist ebenso semi-permeabel wie der Käfig, aus dem heraus das Video projiziert wird. Ungewöhnlich mächtig können sich die bemalten Tierhäute als hängende Leinwände rundum behaupten. Ihre Archaik strahlt eine Kraft aus, die im hohen Treppenaufgang zur Südgalerie gut zur Geltung kommt.

Bei all den Absagen und dem reduzierten Programm, die das Haus der Kunst zuletzt verzeichnen musste, ist die fünfte Ausgabe dieser jungen Künstlern gewidmeten Kapsel-Reihe ein echter Lichtblick. Es sind zwei sehr unterschiedliche, aber sehr spannende Positionen, die hier zusammen gekommen sind.

Kapsel 9: Raphaela Vogel, A Woman's Sports Car, Kapsel 10: Khvay Samnang, Popil, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, bis 30. Juni, Mo-So 10-20 Uhr, Do 10-22 Uhr

© SZ vom 18.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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