Ausstellung:Der Zufall hilft

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So könnte die "Große Landschaft I" ursprünglich ausgesehen haben, bevor Franz Marc sie beschnitt und nur mehr das Gemälde rechts unten gelten ließ. Das Doerner-Institut überlagerte für die Rekonstruktion die Vorstudie mit den drei vorhandenen Bildteilen. (Foto: Doerner Institut der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen)

Dem Doerner Institut ist es gelungen, die ursprüngliche Fassung eines Bildes von Franz Marc zu rekonstruieren. Zu sehen ist die Arbeit derzeit im Museum in Kochel

Von Sabine Reithmaier

Manchmal braucht man Glück. Was wäre gewesen, wenn sich Annegret Philipps, Gemälderestauratorin im Kochler Franz-Marc-Museum, bei der Untersuchung von Marcs "Großer Landschaft I" nicht an ein Fragment erinnert hätte, das sie an ihrem früheren Arbeitsplatz, der Staatsgalerie Stuttgart, schon in Händen gehabt hatte: Ein knapp 50 Zentimeter breites Leinwandstück, im Werkverzeichnis als Teil einer "Großen Landschaft II" aufgeführt. Was sie damals ahnte, ist nach aufwendigen Untersuchungen durch das Doerner Institut der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen inzwischen Gewissheit: Die beiden Leinwände gehörten einmal zusammen.

Vermutlich gehört zum ursprünglichen Bild sogar noch ein weiteres Fragment, im Werkverzeichnis als "Voralpenlandschaft" erwähnt und inzwischen in einer Privatsammlung in New York beheimatet. Derzeit freilich hängt es neben der "Großen Landschaft" im Kochler Museum und dokumentiert eine Recherche, die fast wie ein Krimi klingt.

Im September 2016 war es gelungen, die "Große Landschaft I" für das Kochler Museum zu erwerben. Ein Bild in warmen Farben, das vier Pferde zeigt, die eine Hügellandschaft zu betrachten scheinen. Franz Marc malte es 1910 in Sindelsdorf. Auf dieses Jahr datiert zumindest Cathrin Klingsöhr-Leroy, die Leiterin des Kochler Museums, das Gemälde, während es im Werkverzeichnis noch mit der Jahreszahl 1909 versehen ist. Marc habe "im Frühjahr mit lichten Farben begonnen", erinnerte sich Maria Marc 1936, versah ihre Datierung 1910 allerdings mit einem dicken Fragezeichen. "Den ganzen Sommer bis tief in den Herbst hinein in den veränderten Farben der Natur weitergemalt und dann zerschnitten."

Zerschnitten hat Franz Marc das Gemälde aber nicht, ganz im Gegensatz zu dem 1908 entstandenen "Großes Pferdebild Lenggries I". Doch beschnitten hat er es auf jeden Fall. Dass er sich überhaupt so richtig mit dem Gemälde abgequält hat, ist auch an den Malschichten abzulesen. Hilfreich, um das zunächst intendierte Bildformat wieder herzustellen, war die Vorstudie "Landschaft mit Pferden", die Marc 1909 angefertigt hatte. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, ist aber als Schwarzweiß-Abbildung noch vorhanden. Darauf erheben sich links und rechts Tannen auf großen Hügelkuppen, wie eine schematische Rekonstruktion des gesamten Originalbildes durch das Doerner Institut jetzt zeigt.

Franz Marc reduzierte das Landschaftsbild in Höhe und Breite, schnitt links und am oberen Rand große Streifen ab, unterstrich damit die Bedeutung der Pferdegruppe. Er hatte natürlich recht, denn dadurch ist die Wirkung des Gemäldes deutlich intensiviert. Dass er sich in dieser Zeit unentwegt mit Pferdebildern auseinandersetzte und nach Kompositionsmöglichkeiten suchte, verdeutlichen weitere Bilder in der Studioausstellung. Blätter aus dem Skizzenbuch belegen seine Experimente mit der Pferde-Vierer-Kombination. Später reduziert er die Gruppe meist auf drei Tiere. Auch die Landschaft stilisierte er weiter, bis sie schließlich nur mehr rudimentär vorhanden war und mehr als dynamisches Farbenspiel wirkt.

Das Fragment der Staatsgalerie Stuttgart hat Risse und Ausbrüche, ist wohl nicht immer gut behandelt worden. Angeblich verwendete Marc es schon in Sindelsdorf, um die undichte Decke seines "Malspeichers" abzudichten. Die Stuttgarter kauften es 1962 von den Erben Alois J. Schardts. Der Kunsthistoriker und Museumsdirektor hatte 1934 begonnen, eine Monografie über Franz Marc zu schreiben. Zeit besaß er genug, denn die Nationalsozialisten hatten ihn als Direktor der Galerie der Moderne in Berlin entlassen. Vermutlich erwarb er direkt von Maria Marc die "Große Landschaft I" und die diversen Fragmente. Seine Monografie wurde kurz nach ihrem Erscheinen im Jahr 1936 wieder eingestampft, er selbst emigrierte 1939 in die USA. Doch sein Fragment ermöglicht es, den künstlerischen Entstehungsprozess eines Bildes nachzuvollziehen.

Franz Marc - Wie sieht ein Pferd die Welt? ; bis 18. Februar, Franz-Marc-Museum, Kochel

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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