So hat man das Mittelalter noch nicht erlebt. Was Christoph Brech derzeit im Bayerischen Nationalmuseum inszeniert, ist eine mit den historischen Ausstellungsstücken sorgfältig umgehende und zugleich radikal zeitgenössisch interpretierende Schau. Eine Präsentation, streng konzeptuell und überaus sinnlich zugleich. Da schwimmen goldglänzende Schwäne zum Vorspiel von Wagners "Lohengrin" und untermalt vom Sound der Berliner Großstadt über spätgotische Betten, Kisten und Kästen des Passauer Zimmers. Klangteppiche, deren Ursprünge in der Marienmotette von Palestrina liegen, und Farbbänder, generiert aus den extrem verlangsamten Filmaufnahmen eines Spielautomaten in einem englischen Seebad, ziehen über die Säule der von Kirchenfenstern umgebenen neoromanischen Rotunde und korrespondieren aufs Schönste mit dem Farbenspiel der Gläser.
Die Stimme von Jörg Hube, der aus einem Reisebericht Brechs durch Israel liest, lockt wie in einem mehrstimmigen Kanon in die mit Bildgeschichten von geknechteten Arbeitern ausgestattete spätgotische Augsburger Weberstube, wo man auf Schaffellen verweilt, während Hube vom Müll und Schweiß des gelobten Landes im 21. Jahrhundert spricht. Und im Waffensaal starrt man amüsiert auf die martialischen Rüstungen und Lanzen, die sich in den silbrig glänzenden Oberflächen der mit Helium gefüllten Ballons spiegeln, die von den Rüstungen aufsteigen und zugleich gehalten werden. Verlieren die Ballons Helium, verlieren sie auch Glanz - ganz wie die Rüstungen, die Ritter und letztlich ihre gesamte Epoche.
Christoph Brech ist mit der Ausstellung "Überleben" im Bayerischen Nationalmuseum - und in Fortsetzung mit etwas anderen Mitteln und in kleinerem Rahmen in der Galerie der DG - gelungen, den Blick auf eine kunstgeschichtliche Epoche zu weiten, die überlebt hat, weil sie im Museum gelandet ist. Aber wie das oft so ist: Museal ist für manche gleichbedeutend mit angestaubt. Und auch wenn sich das Nationalmuseum gerade in der Vermittlungsarbeit enorm bemüht, die Kunstschätze der vergangenen Jahrhunderte lebendig zu erhalten, so hat der Münchner Fotograf, Video- und Installationskünstler Christoph Brech hier eine Überlebensstrategie vorgelegt, die von tiefem Verständnis für den künstlerischen Gegenstand und dessen Durchdringung gekennzeichnet ist, ohne deshalb didaktisch zu sein.
Man muss sich also nicht belehrt fühlen, wenn man durch die Säle des Nationalmuseums flaniert. So wie Brech es schon zu Studienzeiten stundenlang tat und dabei - so schreibt er im Katalog - den Geruch der Räume aufsog, die Unregelmäßigkeiten der Stein- und Fliesenböden mit den Füßen ertastete, die Stille hinter den Mauern und Eisentoren erspürte. Zeit sollte man sich allerdings nehmen. Erst dann können die Arbeiten von Christoph Brech ihre oft geradezu meditative Wirkung entfalten.
Dabei fängt die Ausstellung mit kleinen Arbeiten zurückhaltend an und steigert sich über größere Objekte raumgreifend bis zum Schluss. Da findet sich der Ausschnitt eines Video-Loops von einer totalen Sonnenfinsternis, der mit einem Türsturz aus einem ehemaligen Benediktinerkloster korrespondiert, auf dem Christus als Herr des Universums Sonne und Mond hält. Einer Darstellung der Kreuzigung Jesu auf einer kleinen, feinen Elfenbeintafel aus dem frühen Mittelalter stellt er das Foto einer Mondfinsternis gegenüber und interpretiert so mit dem "Blutmond" die Heilsgeschichte. Eine Marienstatue aus dem 14. Jahrhundert zersplittert und dupliziert er mit Hilfe von Spiegeln, womit er nebenbei auf die mitunter schwierigen Lichtverhältnisse des Hauses verweist. Die Locken am abgeschlagenen Haupt Johannes des Täufers interpretiert er mit einem Video von Wasserstrudeln neu.
Amüsiert schaut man auf eine Büste des Heiligen Christophorus (des Patrons aller Reisenden), in dessen Reliquiar-Aussparung Brech ein Spielzeugauto eines SUV platziert hat. Und staunend steht man vor dem Löwen mit reitendem Skelett aus dem 16. Jahrhundert - ein irres Ding! -, aus dessen Maul dem Betrachter nun aber ein Video des Petersdoms in der Dämmerung entgegenleuchtet, akustisch untermalt von Glockenschlägen. Diese Interpretation versteht freilich nur, wer weiß, dass das Skelett einst als Schlagfigur einer Uhr mit einer im Löwenkopf angebrachten Glocke gedacht war. Brech hat beiden wieder zu einem Klang verholfen.
Wer am Ende das Nationalmuseum mit einem ganz neuen Blick auf das Mittelalter verlässt, sollte auf jeden Fall noch einen Abstecher zur Galerie der DG machen. Dort sind Aufnahmen verschiedener Säle des Museums zu sehen, die mit Hilfe von Licht- und Schattenspielen Räume wie Objekte vielschichtig aufschlüsseln. Ein Video interpretiert die Totenreise eines Heiligen neu und verwendet in dieser, ebenso wie in einer anderen Installation, Leihgaben des Museums. Die schönste Arbeit aber ist "Paradise Lost", in der Brech den Sündenfall herrlich ironisch vor dem Hintergrund der Unendlichkeit kommentiert. Besser kann Vergangenheit nicht überleben.
Überleben - Christoph Brech. Installationen im Dialog mit dem Mittelalter. Teil 1: Bayerisches Nationalmuseum, Prinzregentenstr. 3, bis 10. Juli, Di-So 10-17 Uhr, Do bis 20 Uhr; Teil 2: Galerie der DG, Türkenstr. 16, bis 9. Juli, Di-Fr 12-19 Uhr. Katalog (Deutscher Kunstverlag) 24,90 Euro.