Ausstellung:Als wir Roboter waren

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Furchtbar und schön: Zwei Ausstellungen in Essen untersuchen, wie Mensch und Technik zusammen gebracht werden können.

Von Alexander Menden

Vor kurzem veröffentlichte die US-Armee eine Studie, die den Kampfeinsatz von "Cyborg-Soldaten" innerhalb der kommenden drei Jahrzehnte voraussagt. Zu den mechanischen und digitalen Verbesserungen menschlicher Krieger könnten dann auch ultraschallsensitive Ohrimplantate gehören, Augen, die im Infrarot- und Ultraviolettspektrum sehen, sowie eine programmierte Muskelkontrolle durch "optogenetische Bodysuit-Sensorbahnen".

Anscheinend schließt die Realität langsam zu jenen Fantasien von einer Konvergenz der Organismen und Technik auf, die schon seit Jahrhunderten existieren, aber im 20. Jahrhundert zu besonderer Blüte kamen. Da trifft es sich, dass die Ausstellung "Der montierte Mensch" im Essener Museum Folkwang sich eine Bestandsaufnahme der künstlerischen Reflexionen über das Verhältnis von Mensch und Maschine in den vergangenen 120 Jahren vorgenommen hat. Die Schau ist damit auch ein weiteres Beispiel für die den relevanten Fragen der Gegenwart zugewandte Planung, die der neue Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr verfolgt.

Der Futurismus freute sich schon auf den mechanischen Arbeiter mit Ersatzteilen

Was die Fülle und Qualität der Exponate angeht, ist auch diese eine beeindruckende Ausstellung geworden: Mehr als 200 Werke von 124 Künstlern sind hier nun zu sehen, Fotografie, Gemälde, Skulpturen, Installationen. "Der montierte Mensch" umfasst einen riesigen Stil- und Materialmix. Sie beginnt bei Umberto Boccionis dynamistischer Plastik "Forme uniche della continuità nello spazio", jener Manifestation des futuristisches Fanals zur Schaffung des "mechanischen Menschen mit Ersatzteilen".

Und sie führt über Fritz Kahns Grafik "Der Mensch als Industriepalast" aus dem Jahr 1926 und Bettina von Arnims schlauchig glänzende Technomonstrositäten aus den Sechzigerjahren hin zu Zeitgenössischem wie Trevor Paglens verschmolzene Digitalbildarchetypen.

Dabei geht es nicht allein um die "Cyborgisierung" des Menschen, also um die Verschmelzung von Biologie und Technik, sondern auch um die Analyse des Körpers als Apparat, also gleichsam um den demontierten Menschen. Parallel dazu wandelt sich auch seine Rolle in der technisierten Welt - man sieht den Menschen bei der Montage von Techn ologie. Dokumentarfotos der Munitionsproduktion in den Essener Krupp-Werken aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert etwa vermitteln mit ihren glänzenden Granaten eine unheilverheißende Technik- und Zukunftsgläubigkeit, die schließlich in den Ersten Weltkrieg mündete. Der Missbrauch des Menschen als Teil einer Staats- oder Kriegsmaschinerie wird dann in der Propaganda der Nazis, Faschisten und Sowjets glorifiziert.

Die Populärkultur vermittelt, wie man sich mit der Hyperrealität des Menschen auseinandersetzt

Der Ehrgeiz zur Vollständigkeit, der "Der montierte Mensch" zugrunde liegt, ist respektabel, besonders in einer Zeit, in der immer spezialisiertere Ausstellungen zu einer zersplitterten Betrachtungsweise führen. Aber gerade in diesem Fall lässt die Menge den Besucher mit einem Gefühl von Ausuferung und Zerfaserung zurück. Wo Techno-Anatomisches wie die Skulptur Rudolf Bellings ebenso prominent einbezogen ist wie Jean Tinguelys selbstvernichtende Apparaturen und Richard Hamiltons "Man, Machine & Motion", eine Installation von Fotos früher Radsportaufnahmen, stellt sich die Frage nach dem Kern des Ganzen. Hätte sich die Schau auf die Schnittstelle zwischen Technik und Mensch konzentriert, wäre etwas Kleineres, aber womöglich konzeptionell Triftigeres zustande gekommen.

Dabei bietet das Museum Folkwang gleich nebenan eine Komplementärschau, in der zwar keine Originale zu sehen sind, die aber für die Untersuchung des "montierten Menschen" relevanter erscheint. Sie ist "I was a Robot" betitelt und versammelt in Plakaten und Comics aus der gigantischen Sammlung des Schweizer Science-Fiction-Museums "Maison s'Allieurs" viele große Werke der Populärkultur, die sich mit der Hyperrealität des synthetischen Menschseins auseinandergesetzt haben: "Metropolis" und "Star Wars", "Iron Man" und "Terminator", "Astroboy", "Ghost in the Shell", "Westworld".

Was man nach der Begehung beider Ausstellungen mitnimmt, ist der Eindruck, dass die Genrekunst sich dem Problem von Hypertechnisierung und Künstlicher Intelligenz nicht nur zugänglicher, sondern vor allem oft auch weit visionärer genähert hat als die Hochkultur.

Der montierte Mensch und I was a Robot - Science Ficiton und Popkultur , Museum Folkwang, Essen, bis 15. März 2020, museum-folkwang.de. D ie Kataloge kosten 38,90 Euro und 20 Euro.

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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