Ausstellung:Alltag am Nil

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Die "Pharao"-Schau im Rosenheimer Lokschuppen lässt die Besucher tief in die Gesellschaftsstrukturen im alten Ägypten eintauchen

Von Sabine Reithmaier

Ein Uschebti war wirklich ein praktischer Helfer. Verhinderte er doch, dass einem Toten im Jenseits Arbeit angeschafft werden konnte. Falls also eine Gottheit dem Verstorbenen befahl, Kanäle zu wässern oder Felder zu bestellen, musste der Diener an seiner Stelle vortreten und den Job übernehmen. Kein Wunder also, dass die besorgten Hinterbliebenen ihren teuren Toten jede Menge Figuren ins Grab mitgaben, manchmal sogar bis zu 365, für jeden Tag eine. Natürlich sparten sie auch nicht an Speisen und Getränken. Prinz Junu jedenfalls sitzt auf seiner fantastisch farbig erhaltenen Grabplatte vor einem Tisch mit Brot, Wein und allerlei Getier.

Wer im Lokschuppen bei den Uschebtis ankommt, hat schon einen weiten Weg durch Altägypten hinter sich. Er ist am Nil entlang gewandert, hat sich den Wüstenwind um die Nase blasen lassen, dank Computersimulation das komplizierte Gangsystem einer Pyramide verstanden und die Tierskulpturen studiert. Nilpferde, Krokodile, Ibisse machen gleich eingangs klar, dass Kurator Christian Tietze in Zusammenarbeit mit dem Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim sowie dem Universitätsmuseum Aberdeen sehr exquisite Exponate für die Ausstellung "Pharao" zusammengetragen hat und diese gezielt und angenehm reduziert einsetzt.

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(Foto: Uwe Lein/dpa)

Eine Mitarbeiterin des Lokschuppens staubt den Kopf einer Sphinx der Königin Hatschepsut ab.

Die Figur aus der 18. Dynastie (1479 - 1458 v. Chr.) ist ein Exponat der Rosenheimer Pharao-Ausstellung.

Hinter Glas liegt der Innensarg und die Mumie (vorne) der Herrin des Hauses Ta-cheru. Die außergewöhnlich gewickelte Mumie aus der Zeit des 6. bis 5. Jahrhundert vor Christus ist eines der Highlights.

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(Foto: Andreas Jacob/Museum)

Die Erlebnisausstellung präsentiert Wissenswertes über eine der ältesten Hochkulturen der Welt: Modell eines Speichers.

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(Foto: Andreas Jacob/Museum)

Opfertafel des Prinzen Juno.

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(Foto: Andreas Jacob/Museum)

Die Besucher können tief in die Gesellschaftsstrukturen im alten Ägypten eintauchen.

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(Foto: Andreas Jacob/Museum)

Sie sehen diese Katzenstatuette,...

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(Foto: Andreas Jacob/Museum)

...das Gesicht eines Sarges oder...

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(Foto: Andreas Jacob/Museum)

...das Modell eines Bootes mit Segel.

Das alles wie auch die Figur eines Rahotep, königlicher Urkunden- und Aktenschreiber, ist bis Dezember zu sehen.

Genau genommen führt der Titel ja ein wenig in die Irre, auch wenn die von den Göttern legitimierten Herrscher Ägyptens in der Ausstellung nicht vernachlässigt werden und es prachtvolle Köpfe und Statuen zu sehen gibt. Das Ungewöhnliche an der Schau ist aber das Alltagsleben, die differenzierte Sozialstruktur, die der Archäologe und Architekt eingefangen hat. Sein Konzept basiert auf Landschafts- und Lebensräumen, verdeutlicht, wie ungeheuer komplex und hoch entwickelt die Gesellschaft in Altägypten war. Götter, Tempel, Pyramiden - all das wird vorgestellt, aber eben auch simple Wohnhäuser der Unterschicht oder Arbeitersiedlungen.

Welche soziale Position ein Mensch in seiner Stadt einnahm, lässt sich, so Tietzes These, an der Dicke der Lehmziegelmauern ablesen. Je dünner die Wand, desto geringer die ökonomische Potenz des Bewohners. Ein Arbeiter leistete sich bestenfalls 13 bis 18 Zentimeter dicke Mauern, bei der Mittelschicht dagegen waren sie 30 bis 38 Zentimeter stark, bei Reichen sogar zwischen 50 bis 118 Zentimeter. Ein weiteres Kriterium ist die Grundrissgröße. Bauern und Handwerker begnügten sich mit einem quadratischen Wohnraum und höchstens zwei Kammern. Wohlhabende dagegen umgaben ihren zentralen Raum mit bis zu 20 Kammern, lebten in großen Gehöften mit Gärten, Getreidespeichern, Ställen, Brunnen, Backofen.

Auch wenn prozentual die meisten Häuser von Arbeitern bewohnt wurden, spielte die Mittelschicht eine wichtige Rolle. Für Tietze sicherten Verwaltungsbeamte, Offiziere, Priester, aber auch leitende Handwerker die ökonomische Wirksamkeit der Gesellschaft. "Ähnlich wie heute", findet er. Ein prominenter Bewohner in der Südstadt von Amarna - Tietze hat an dieser archäologischen Fundstätte am Ostufer des Nils in Mittelägypten 532 Häuser untersucht - war der Bildhauer Thutmoses, berühmt wegen seiner Nofretete-Büste. Sein Gehöft, eines der elf Modelle in der Ausstellung, umfasst nicht nur ein Wohnhaus, sondern auch Werkstätten, Ställe, Brunnen und, ganz wichtig, weil die Währung schlechthin im alten Ägypten, Getreidespeicher. Ein besonders hübsches Modell eines Getreidespeichers fand sich sogar in einem Grab, wieder ein Beleg dafür, dass der Tote im Jenseits nicht hungern sollte. Weil es sich um eine Eventausstellung mit 22 Medienstationen handelt, erzählen auf Knopfdruck auch drei Bewohner des Thutmoses-Gehöfts von ihren unterschiedlichen Tätigkeiten. Alles sehr anschaulich, auch wenn der Arbeiter fast ein wenig zu betulich von seinem tollen Chef schwärmt.

Die Bezahlung erfolgte in der Regel mit Getreide. Verständlich, dass Katzen als Mäusefänger hoch angesehen waren, allen voran die meist sitzend dargestellte Katzengöttin Bastet. Ihr obliegt es im Lokschuppen, die Kinder auf einem eigenen Pfad durch die Ausstellung zu lotsen bis hinab in die halbdunklen "geheimen Räume", in die Grabkammern. Dort warten einige besondere Highlights, etwa der 4000 Jahre alte farbige Kastensarg des Herrn Nacht, der über und über mit Jenseitstexten beschriftet ist. Einer davon - die Untersuchung läuft noch - ist vermutlich bisher unbekannt gewesen. Ein anderes Exponat ist die hervorragend erhaltene, ganz eigen gewickelte Mumie der "Ta-cheru" nebst Sarg. Die circa 60 Jahre alte Frau, die im vierten Jahrhundert vor Christus in der Nähe von Luxor lebte, besaß - das ergab eine computertomografische Untersuchung - nur noch fünf Zähne, dafür wies ihr Skelett kaum Abnützungserscheinungen auf. Aber nicht nur wegen dieses Mitglieds der Oberschicht lohnt sich der Ausstellungsbesuch, sondern vor allem wegen der faszinierend präsenten Alltagswelt.

Pharao - Leben im Alten Ägypten. Erlebnisausstellung im Lokschuppen Rosenheim, bis 17. Dezember

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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