Ausländer gegen Inländer:Bloß nicht werden wie die Deutschen!

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Bei Deutschen wächst die Angst, bei Ausländern wächst die Angst - die Gesellschaft ist in der Sackgasse: Die Konfrontationen um den Zugang zum angeblich übervollen Boot, in dem wir alle sitzen, offenbaren nur eines: die Konkurrenz der Verlierer.

SONJA ZEKRI

Es wären auch ohne den 11. September keine rosigen Zeiten geworden, aber seit die Terror-Angst die Welt in Atem hält, haben alle Vorbehalte gegenüber Ausländern - und Vorbehalte gab es immer - einen neuen, alarmierten Ton angenommen. Seit Madrid und London, seit die Gefahr näher zu rücken scheint, ist das Verhältnis zwischen Ausländern und Deutschen mehr als nur ein Verteilungskampf: Auf beiden Seiten wächst die Angst - um Werte, um Freiheit, ums nackte Leben, und es ist diese Angst, die den Graben zwischen Ausländern und Deutschen unter allen Gräben, die die Republik durchziehen , vielleicht zum gefährlichsten von allen macht. Importbräute und Schulklassen, in denen kaum ein Schüler deutsch spricht, hat es lange vorher gegeben. Es war der Republik herzlich gleichgültig. Nun aber werden die Nischen der Parallelgesellschaft als undurchschaubare Krisengebiete gesichtet.

Noch herrschen hierzulande paradiesische Zustände verglichen etwa mit jenen in Paul Haggis' Film "L.A. Crash". Dort, in Los Angeles, hassen Weiße Schwarze und Schwarze Weiße, hassen Chinesen Iraker und Latinos Chinesen, Rassismus ist in der Luft, die sie atmen, und in dem Boden, auf dem sie stehen, er ist so gnadenlos offen und so unausrottbar, dass man sich im Kino ein paar Minuten akklimatisieren muss. Das ist Amerika, es ist weit weg. Nur: Wird das so bleiben?

Es gibt seit Jahren "National Befreite Zonen" in Deutschland, in die sich besser kein Ausländer wagt, und es gibt neuerdings Jugendliche, die sich die Stimme Adolf Hitlers als Klingelton auf ihr Handy laden. Zwanzig Prozent der Deutschen, so eine Studie der Universität Bielefeld, stimmen dem Satz zu: "Es leben zu viele Ausländer in Deutschland". Der niedersächsische CDU-Ortsvorsitzende Jürgen Bregulla aus Pohle nannte Ausländer in Deutschland einen "Tumor", der "wegoperiert" werden müsse. Gelegentlich klagen selbst vermeintlich liberale Publizisten darüber, dass Ausländer dem Staat auf der Tasche liegen und massenhaft in die "Sozialsysteme" einwandern. Gewerkschaftsmitglieder aus der Mittelschicht sind anderthalb mal häufiger rechtsextrem als Nicht-Gewerkschafter, so eine Studie der Hans-Böckler- und der Otto-Brenner-Stiftung. Xenophobie ist kein sozialer Defekt von Unterprivilegierten, sondern eine Stimmung in der Mitte der Gesellschaft.

Auf der anderen Seite gibt es Männer, die ihre Schwestern ermorden, weil diese das Versprechen von Selbstbestimmung in diesem Land ernst genommen haben, und es gibt Moscheen, in denen religiöse Eiferer das Ende des sittenlosen Westens herbeipredigen. In einer Umfrage des Zentrums für Türkeistudien stimmten 47 Prozent der befragten Türken der Aussage zu: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht wie die Deutschen werden." In Großbritannien, so schrieb die Zeit im November noch neidvoll, "empfinden sich um die 80 Prozent der Einwanderer als ,britisch und stolz darauf'". Heute weiß man, dass dies London nicht geschützt hat.

Rational betrachtet haben die Ehrenmorde zwar nichts mit dem Terror zu tun, und gerade die Türken, die größte Gruppe der Ausländer in Deutschland, stehen dem islamistischen Terror fern. Aber Xenophobie hat mit Rationalität nichts zu tun. Die Illusion multikultureller Harmonie wird nicht mit der rot-grünen Bundesregierung untergehen. Sie ist schon lange Vergangenheit, und man könnte streng genommen nicht einmal von Desintegration sprechen, weil es in weiten Bevölkerungsgruppen eine wirkliche Integration nie gegeben hat.

Und doch, es gab eine Zeit, in der gemeinsame wirtschaftliche Interessen einen gewissen Pragmatismus erlaubten, ein Nebeneinander, desinteressiert, aber weitgehend friedlich. Das ist vorbei, und man muss schon sehr naiv sein, um auf eine Versöhnung zwischen den in- und ausländischen Wirtschaftswundergenerationen zu warten, auf die selbstbewusste Erkenntnis, dass man zusammen einiges geschafft hat. Ausländer gelten heute als Wohlstandsrisiko - und dies gleichermaßen, wenn sie nur für die Gurkensaison in den Spreewald kommen oder bereits Jahrzehnte in Deutschland leben, wenn sie Arbeit haben oder nicht.

Gerade die polnischen Klempner und tschechischen Krankenschwestern, die seit der Erweiterung der Europäischen Union in Deutschland arbeiten, oder die Kfz-Monteure und Textilarbeiter, die deutsche Unternehmen durch ein phantastisches Lohnniveau nach China oder Vietnam locken, stellen das deutsche System der Tarifautonomie, der Unternehmer-Verantwortung, der sozialen Marktwirtschaft schlechthin in Frage. Wirtschaftsexperten mögen darauf hinweisen, dass Deutschland Exportweltmeister ist und damit angewiesen auf Handel und Wandel und offene Grenzen. Man kann darüber grübeln, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen ausgelagerten und verbleibenden Arbeitsplätzen - weil ein Unternehmen manchmal nur wettbewerbsfähig ist, wenn die Produktion im Ausland die Entwicklungsabteilung im Inland sichert. Und doch will sich Deutschland partout als Globalisierungsverlierer sehen, und dass die Globalisierung in Gestalt eines ukrainischen Monteurs eine feine Sache ist, weil die Heizung dringend überholt werden muss, bevor der Winter kommt, aber bitte ohne Rechnung, ändert an dieser tiefempfundenen Hilflosigkeit wenig.

"Meine Lieblingsnovelle", hat Oskar Lafontaine gesagt, "ist ,Der Fremde' von Albert Camus. Insofern verbinde ich mit diesem Begriff überhaupt nichts Negatives." Da hatte er gerade den Begriff des "Fremdarbeiters" ins Wahlkampfrepertoire der Linkspartei aufgenommen, mit dem bis dahin die NDP operierte, und eben dies - nicht der ältere, der Nazi-Hautgout - war das Entlarvende. Lafontaine wirbt um die Stimmen der äußersten Rechten - die sich dort wieder mit der äußersten Linken treffen - mit einer folgenschweren Kombination aus Ökonomie und Nationalismus. Er mobilisiert die Ohnmachtsgefühle im Angesicht einer unaufhaltsamen Entwicklung und führt sie gezielt in eine Sackgasse.

Er ist allerdings nicht der Einzige und nicht mal der Erste. Der schillernde Heuschrecken-Diskurs Franz Münteferings, die Hinweise Bundeskanzler Gerhard Schröders, wenn er in China um Aufträge werbe, dann sei das "wahrer Patriotismus" - im Gegensatz zur Leitkulturdebatte der CDU -, das alles darf man als Versuch begreifen, einer unbeherrschbaren globalen Dynamik den Anspruch nationaler Gestaltungskraft entgegenzusetzen. Dass diese Bemühungen vergeblich sind, dass der Kontrollverlust der Politik das Gefühl des Ausgeliefertseins und die Suche nach Antworten und Orientierung eher noch steigert, gehört zu den fatalen Nebenwirkungen dieses Diskurses.

Manchmal - und das sind die besonders unschönen Momente - argumentieren allerdings nicht nur xenophobe Scharfmacher ökonomisch, sondern auch die Befürworter eines ausländerfreundlicheren Klimas: Nichts sei so schädlich für den Standort Deutschland wie ein ausländerfeindliches Image. Dabei kann man ihnen nicht mal widersprechen. Die Green-Card-Initiative, der letzte Versuch, Ausländer als Leistungsträger eines neuen deutschen Wohlstandes zu etablieren, ist unter anderem daran gescheitert, dass sich die High Potentials aus Bangalore hierzulande nicht recht willkommen fühlten.

So weitet sich das Spektrum der Ablehnung mit jedem Jahr: Inzwischen sind Muslime und Osteuropäer, Türken und Polen, Inder und Vietnamesen gleichermaßen suspekt. Inzwischen aber - und das ist das Neue - legen viele der 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland gar keinen Wert mehr darauf, geliebt zu werden - und auch diese Selbstisolation hat ihre Wurzeln in einem härter werdenden Verteilungskampf, in ökonomischer Frustration.

Deutsche Bürokratie blockiert Inländer und Ausländer

Gewiss, türkische Filmemacher gewinnen Preise auf Festivals, Fußballer aus Einwandererfamilien erobern die Bundesliga. Aber jeder vierte Ausländer in Deutschland lebt unterhalb der Armutsgrenze (vor sieben Jahren war es jeder fünfte), zwanzig Prozent sind arbeitslos, und unter diesen Arbeitslosen haben fast zwei Drittel keine Ausbildung. Prosperierende Einwanderungsgesellschaften verdanken ihren Erfolg dem Umstand, dass sie Migranten den Aufstieg ermöglichen. Deutschland aber, ein blühender Garten der Bürokratie, blockiert selbst Inländer. Ausländer sind von allen Ressourcen abgeschnitten, die ihnen überhaupt erst die Voraussetzung für den Aufstieg schaffen würden - Bildung, Sprachkenntnisse, Kontakte. In Berlin-Neukölln und im Münchner Hasenbergl wächst tausendfach ungebrauchtes Leben heran, das sich mit der Verachtung der Mehrheitsgesellschaft tröstet und Ablehnung mit Ablehnung vergilt.

Wer unter diesen Bedingungen den Spracherwerb weiterhin allein ins Ermessen der Einwanderer stellen will, vergeht sich an den nachwachsenden Generationen. Vor dreißig, vierzig Jahren mag es möglich gewesen sein, ohne den elaborierten Code der Mehrheit ein Auskommen zu finden. Die Kinder und Enkel dieser Einwanderer aber finden bestenfalls Unterschlupf im väterlichen Betrieb, niemals auf dem ersten Arbeitsmarkt. Eben dort aber, auf dem Markt für Tagelöhner und gering Qualifizierte treffen sie auf die Billigkonkurrenz aus dem Osten, auf Tschechen, Polen, Ukrainer, auf Rumänen, Bulgaren, Pakistanis, die dorthin wollen, wo sie schon sind. Die pauperisierten Migrantenkinder werden selbst zu Globalisierungsopfern. Ausländer gegen Deutsche - das ist nur der Anfang.

© SZ vom 12.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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