Auf US-Tour:Der Mann, den sie nicht einmal mehr "Prince" nannten

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Nichts Böses, nichts Schmutziges kommt über seine Lippen: Auf seiner Amerikatournee lässt sich der Mann, der früher nicht mehr Prince heißen wollte, jetzt aber doch irgendwie wieder Prince heißen darf, aber niemanden interessiert das noch, ... äh... der also tourt gerade und lässt sich als Traditionalist feiern.

ANDRIAN KREYE

Als Prince vergangenen Samstag im Mississippi Coast Coliseum in Biloxi von einem hydraulischen Lift aus der Tiefe des Bühnenuntergrunds in das Licht der kreuzförmigen Scheinwerferbatterien emporgehoben wurde, zeigte die Auferstehungssymbolik sogleich die gewünschte Wirkung.

Vor einarmigen Banditen fand man später am Abend auch bejammernswerte Gestalten, für die Zahnersatz ein unerreichbarer Luxus ist und die trotz der frühsommerlichen Schwüle T-Shirts mit Motiven längst vergangener Weihnachtsfeste trugen. (Foto: Foto: AP)

Mit frenetischem Jubel begrüßten die zwölftausend Zuschauer den inzwischen Fünfundvierzigjährigen wenn nicht wie einen Messias, so doch zumindest wie den sprichwörtlichen verlorenen Sohn.

Der begann das Konzert mit dem Titelsong seines neuen Albums "Musicology", einem altmodisch stampfenden Rhythm-and-Blues-Monster voll trocken angerissener Gitarrenakkorde, hymnisch anschwellender Orgelakkorde und gestochen scharfer Bläsersätze.

Damit setzte er das Energielevel gleich ganz oben an, um es dann ohne einen Takt Pause mit "Let's Go Crazy" noch weiter anzuheben. Und als ihm seine Bühnenhilfe danach eine Telecastergitarre umhängte, die Band innehielt und er den Rhythmus einen ganzen Zwölftakter lang ohne Begleitung weiterführte, hatte er auch schon bewiesen, was seine wahre Stärke ausmacht.

Prince kann die Essenz seines opulenten Lebenswerkes auf einen einzigen Ostinatoakkord aus dem Handgelenk reduzieren, ohne dass die Musik dabei auch nur ein Quentchen ihrer Wucht verlöre.

Vergessen wir also für einen Moment die Skandale und Kontroversen um den Popstar Prince, seine lilafarbenen Geschmacksverirrungen, seine präpubertäre Subversion der Orthografie, die theatralische Larmoyanz, mit der er seinen aristokratischen Taufnamen gegen ein unaussprechliches Symbol austauschte, um gegen den Knebelvertrag seiner Plattenfirma zu protestieren, und seine Konvertierung zum Zeugen Jehovas.

Der Musiker Prince ist besser, als je zuvor in seiner Laufbahn. Von der Ballade über Blues und Rock bis hin zu ausufernden Improvisationen gibt es keine popmusikalische Form, die er mit seinem Gespür für jene Mischung aus verschleppten Synkopen und Dynamik, die im englischen Groove genannt wird, seinem Talent für große Popmelodien und seinem Bühnencharisma nicht zu einem großen Moment machen könnte.

Seine neue CD lässt das nur ahnen: "Musicology" ist ein gutes Album, nicht mehr. Im Vergleich zu seinem Repertoire sogar nur Durchschnitt. Der rasche Erfolg von "Musicology" ist auch auf den Norah-Jones-Effekt zurückzuführen, der bewirkt, dass derzeit solides Pophandwerk schon alleine deswegen auf den oberen Chartplätzen landen kann, weil ältere Popfans oft froh sind, sich nicht auf moderne Musikmoden und Elektroklänge einstellen zu müssen.

Auf der Bühne schafft es Prince, einen Stadionauftritt zu einem jener Ereignisse zu transformieren, das amerikanische Kritiker gerne als "quasi religiöses Konzerterlebnis" beschreiben. Damit ist prinzipiell die hohe Kunst der Massenhysterie gemeint.

Nach dem furiosen Einstieg folgte Prince über einen Zeitraum von immerhin zweieinhalb Stunden einem fast gauklerhaften Prinzip, nach dem auf jeden Höhepunkt eine weitere überraschende Steigerungsmöglichkeit folgte: Selbst die dynamischen Bremsen wie die wenigen Balladen oder die Gitarren- und Saxophonsoli hatten nur die Funktion, den nächsten Spannungsbogen noch stärker wirken zu lassen.

Ursprünglich hatte der Rhythm and Blues diese Form der gesteuerten Ekstatik ja auch den Gottesdiensten der Gospelkirchen im amerikanischen Süden entlehnt.

Das wusste das Publikum in Biloxi wahrscheinlich besser, als jedes andere auf der aktuellen Tournee, die Prince noch bis zum Juli kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten führt.

Biloxi selbst ist zwar kein sonderlich bemerkenswerter Ort. Es gibt einen Armeestützpunkt und ein paar Kasinos, in denen die Gäste aus den umliegenden Motels sitzen und ihr Kleingeld verspielen. "Redneck Riviera" wird die Golfküste hier genannt, weil dort die weißen Verlierer des amerikanischen Traums ihren Strandurlaub mit Aussicht auf vorbeiziehende Öltanker und ein Zementwerk verbringen.

Vor den einarmigen Banditen fand man später am Abend auch bejammernswerte Gestalten, für die Zahnersatz ein unerreichbarer Luxus ist und die trotz der frühsommerlichen Schwüle T-Shirts mit Motiven längst vergangener Weihnachtsfeste trugen.

Das Gros der Konzertbesucher war aber aus einem weiten Umkreis angereist. Aus dem benachbarten Alabama, das immer noch als vorderste Front der nationalen Rassenspannungen gilt, aus dem nahen New Orleans, dem Geburtsort des Jazz, aus dem Epizentrum des Blues im Norden Mississippis, und sogar aus dem dreihundertfünfzig Meilen nördlich gelegenen Memphis, wo Elvis einst schwarze Musik für weiße Massen aufbereitete und später die Musiker der Plattenfirma Stax das Erbe des Rhythm and Blues zurückeroberten.

So einem Publikum kann man nicht mit Modegimmicks kommen. Tradition war gefragt, und ausgerechnet der ehemalige Bilderstürmer bewies sich als virtuoser Traditionalist.

Sicherlich, da waren die lila Phallusgitarre, das goldene Pistolenmikrofon, die Kostümwechsel. Aber wenn Prince und seine neunköpfige Band einen Song in seine instrumentalen Einzelteile zerlegten, erinnerte das an längst vergessene Soullegenden wie Archie Bell & the Drells oder King Curtis, wenn sie den kollektiven Groove in immer heftigere Wallungen versetzten, knüpften sie an James Brown und George Clinton an, und Princes virtuose Gitarrensoli beschworen immer noch Jimi Hendrix und Carlos Santana. Musiker also, deren Zeit weit vor Princes eigenen Anfängen lag. Doch Prince ist musikalisch an einem Punkt angelangt, an dem er sich erlauben kann, sich auf das Podest des Traditionalisten zu stellen. Nicht nur weil er dieses Jahr in den Olymp der Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde.

Seine eigenen Songs sind längst pophistorische Ikonen. Als er mitten in der Ballade "When Doves Cry" den Schlüsselakkord von "Kiss" anspielte, gab es alleine dafür spontanen Applaus.

Wie fest seine Hits im kollektiven Bewusstsein verankert sind, zeigte das Intermezzo, bei dem Prince nur mit einer akustischen Gitarre auf einem Barhocker saß und das Publikum zum Mitsingen anfeuerte. Das konnte sämtliche Verse und Refrains von "Little Red Corvette", "Cream" und "Raspberry Baret" auch ohne seine Führung auswendig, bis er nur noch die Begleitung zu den spontanen Fischerchorarrangements spielte.

Aus seiner Verachtung für den zeitgenössischen Popbetrieb machte er auch keinen Hehl. "Ich habe mir meine Nase nicht operieren lassen", feixte er mit deutlicher Anspielung auf Michael Jackson.

Und der Ausruf "Wir können Lipsynching nicht ausstehen", galt offensichtlich Britney Spears und Madonna.

Dafür feuerte er seine Musiker immer wieder zum anachronistischen Ritual des Solos an.

Vergessen waren auch die erotischen Extravaganzen, die eindeutigen Gesten und selbst die eindeutigen Songs wie "Do me Baby", "Sexy Motherfucker" oder "Darling Nikki", das damals die strenge Popzensorin Tipper Gore auf die Barrikaden gebracht hatte.

Das hat sicher auch mit seinem neu gefundenen Glauben zu tun. Unter den Synthesizern von Chance Howard lehnten kaum sichtbar zwei Gebotstafeln. "Keine schmutzigen Worte heute", warf er sogar kurz ein, um den Fans klar zu machen, dass das Sexsymbol Prince der Vergangenheit angehört.

Stattdessen rief er mitten im Finale der Zugabe "Purple Rain" aus: "Ihr wollt einen Führer - lasst euch von Gott leiten!" Dann schritt er mit gen Himmel gerecktem Zeigefinger von der Bühne, dem universalen Handzeichen für "es gibt nur einen Gott im Himmel".

Das Publikum ließ sich in seiner Ekstase nicht beirren. Der verlorene Sohn war zurückgekehrt. Er hatte fast ausschließlich seine Hits gespielt und trotzdem zu neuer Höchstform gefunden. "Ihr werdet heute eine Party feiern, wie noch nie in eurem Leben", hatte er am Anfang versprochen. Ein altmodisches Anliegen für einen Superstar. Aber letztendlich war genau das schon immer der Ziel des Rhythm and Blues gewesen.

© SZ v. 04.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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