Attac-Aktion:Auf Kaperfahrt

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Attac verteilt eine Zeitung, die sich als Die Zeit ausgibt - der echte Chefredakteur sieht das als Wertschätzung.

Hans Hoff

Als Giovanni di Lorenzo am Freitagabend gerade seine NDR-Talkshow 3 nach 9 beendet hatte, berichtete ihm eine Mitarbeiterin, es werde am nächsten Tag eine Sonderausgabe der Zeit geben. "Ich dachte erst, das sei ein Scherz mit der versteckten Kamera", sagt der Chefredakteur der Wochenzeitung, ließ sich aber rasch eines Besseren belehren und erfuhr, dass die globalisierungskritische Organisation Attac am Samstag in mehr als 90 Städten eine achtseitige, auf das Berliner Format verkleinerte Zeit-Ausgabe verteilen würde.

Die Zeit: Original und Attac-Version. (Foto: Foto: dpa)

Die sieht auf den ersten Blick so täuschend echt aus, dass di Lorenzo sie trotz einer offiziell natürlich notwendigen Distanzierung seines Blattes von der Fälschung nicht gänzlich verurteilen mag. "Ich muss anmerken, dass sie gut gemacht ist", kommentiert er die Qualität der in einer Auflage von 250.000 Stück gedruckten, auf den 1. Mai 2010 datierten Pseudo-Zeit.

Eine bessere Welt

Darin wird jene bessere Welt verkündet, für die Attac eintritt. Da gehört Opel den Arbeitern, werden Lobbyisten in ihrem Einfluss beschränkt, und die Bundesregierung will eine Energiewende-Agentur gründen. Gentechnik ist out, die Nato wird bald aufgelöst, und Barbara Schöneberger ("Ich war ein Schaumschläger") entschuldigt sich in einer Anzeige, weil sie mit Werbeauftritten in die Irre geführt habe.

Am Samstag schickte Attac einen Brief an die Herausgeber der Zeit und bat um Verständnis für die journalistische Kaperfahrt. Man habe sich von jenen Aktivisten inspirieren lassen, die im November eine gefälschte New York Times voller positiver Nachrichten verteilt hatten. Geschrieben wurde damals vom beendeten Irak-Krieg, von verstaatlichten Ölfirmen und der Einführung einer staatlichen Krankenversicherung für alle.

"Wir haben da sehr viel Zeit rein gesteckt", sagt die Attac-Sprecherin Jutta Sundermann ein bisschen doppeldeutig und berichtet von etlichen Spendern und jeder Menge Ehrenamtlicher. Konzipiert wurde die Piraten- Zeit "mit Bordmitteln", und gelernt haben die Globalisierungsgegner auch vom Vorbild.

So ließ die hauseigene Layouterin den Zeit-Herausgebern ausrichten, "dass es sie zutiefst fasziniert, wie viel Anarchie in dem für den unbedarften Betrachter so klaren Layout der Zeit versteckt ist." 150.000 Exemplare wurden samstags verteilt, weitere 100.000 sollen am heutigen Montag der taz beiliegen. Gedruckt hat die Attac-Zeit die Frankfurter Druckerei Caro, die auch die taz zu ihren Kunden zählt.

"Erstaunlicher Aufwand"

"Der Aufwand erstaunt", sagt di Lorenzo, der aus der Aktion auch auf die finanzielle Potenz der Gegenbeweger schließt. "Gut, dass es wenigstens Attac gut geht." Rund 15.000 Euro habe die Aktion nur gekostet, sagt Sundermann. Eine Aussage, die in der Branche leichten Unglauben auslöst. Die Attac-Sprecherin erklärt den geringen Betrag mit dem riesigen ehrenamtlichen Engagement.

Von rechtlichen Schritten will man bei der Zeit nichts wissen. "Es ist ein Zeichen der Wertschätzung", sagt di Lorenzo. Ginge es nach der gefälschten Zeit, dürfte er sein Amt bald los sein. Dort steht er nämlich nicht im Impressum. Stattdessen heißt es: "Neu gegründet 2010".

© SZ vom 23.03.2009/bilu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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