Arme, reiche Länder:Staaten in Rente

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Natürliche Ressourcen sind für die damit beglückten Staaten selten Grund zu Sorglosigkeit, reiner Freude und Wachstum: Wehe dem Land, das vor allem von seinen überreichen Bodenschätzen lebt - es verarmt nicht selten.

Sonja Zekri

Es war Mitte der Neunziger, der Flirt der Amerikaner mit den Taliban war auf seinem Höhepunkt angekommen, die Träume von einer Pipeline durch Afghanistan waren noch nicht ausgeträumt, als ein US-Diplomat die künftige Entwicklung des Landes mit fröhlichem Zynismus skizzierte: ¸¸Wahrscheinlich werden sich die Taliban wie die Saudis entwickeln", sagte er dem Journalisten Ahmed Rashid: ¸¸Es wird Aramco, Pipelines, einen Emir, kein Parlament und jede Menge Scharia geben. Damit können wir leben." Es gab dann kein Aramco und sehr viel mehr Scharia als den Amerikanern passte, aber aufschlussreich ist etwas anderes: Die Möglichkeit von Wohlstand, Demokratie und weniger Scharia durch den Geldfluss der Ölförderung zog er nicht einmal in Betracht.

Dekadenz und Repression: Durch die Rohstoff-Exporte wird die Währung aufgewertet, andere Exporte werden teurer, Industrie, Landwirtschaft, Handwerk siechen dahin, die Abhängigkeit von den Ressourcen steigt. Dafür gibt es einen Namen: Dutch Desease. (Foto: Foto: AP)

Heute steht die Welt vor den Trümmern einer Politik der Rohstoffverwertung, die einzig dem Augenblick lebt. Im Iran, in Russland, in der arabischen Welt und in Afrika leiden die Menschen unter dem Fluch des Öls. Öl bringt Unglück. Zum Beispiel Nigeria: ¸¸Er verfluchte die Erde, die Öl spuckte, das schwarze Gold. Er verfluchte die Götter, weil sie die Quellen nicht austrockneten", schrieb der nigerianische Schriftsteller Ken Saro-Wiwa in seinem Roman ¸¸Night Ride". 1995 wurde Saro-Wiwa hingerichtet, weil er die Verheerungen des Shell-Konzerns im Ogoni-Land im Delta des Niger kritisiert hatte.

Inzwischen scheint der Fluch des Öls in Nigeria so wenig beherrschbar, dass die Ijaw-Rebellen, die vier Shell-Mitarbeiter entführt hatten und erst vor wenigen Tagen freiließen, nicht einmal mehr eine Umverteilung forderten. Sie verlangten nur noch die Senkung der Produktion um 30 Prozent. Ein zerfallender Staat, in dem marodierende Banden Pipelines anzapfen und eine korrupte Kaste Auslandskonten füllt - Nigeria ist der Modellfall eines Landes, das zum Opfer des Öls wurde. Andere öl-reiche Länder am Golf von Guinea sind ähnlich intransparent und repressiv, Angola etwa oder Kamerun, so die Organisation Freedom House. Was für Nachbarstaaten wie Sao Tome et Principe oder Äquatorial-Guinea, wo die Öl-Felder der Zukunft liegen, eine vernichtende Aussicht ist.

Aber wenn die Kreditanstalt für Wiederaufbau eine Konferenz zum Thema ¸¸Macht Öl arm?" ausrichtet, wenn der Economist unter dem Titel ¸¸Paradox of plenty" dem Thema in seiner Rubrik ¸¸Business" ganze Seiten widmet, wenn die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) seit einem Jahr elf Länder von neun Forschern zu genau dieser Frage untersuchen lässt, dann hat das wenig mit dem Interesse an exotischen Ethnien zu tun, sondern vor allem mit den Kehrseiten des Öl-Reichtums.

Der rein ökonomische Mechanismus dieser unschönen Entwicklung heißt in schöner Wirtschaftspathologenprosa ¸¸dutch disease", holländische Krankheit: Durch die Rohstoff-Exporte wird die Währung aufgewertet, andere Exporte werden teurer, Industrie, Landwirtschaft, Handwerk siechen dahin, die Abhängigkeit von den Ressourcen steigt.

Länder wie Norwegen, moderne, demokratische Länder, richten Fonds ein und gleichen solche Schwankungen aus. Länder wie Kuwait oder Aserbaidschan, verfilzte, semidemokratische Länder, richten ebenfalls Fonds ein, aber unkontrollierbare und undurchschaubare. Ein entwickeltes Land wird sich durch Bodenschätze noch prächtiger entwickeln, vermutet Enno Harks, der die SWP-Studie leitet, ein unterentwickeltes verkümmert. Unglücklicherweise wurden in vielen Ländern die Ressourcen in einem Moment der Schwäche entdeckt, etwa am Ende des Kolonialismus. Die Folgen sind meist verheerend.

Es ist ja nicht nur das Öl, es sind auch Gas, Diamanten, alles, was fantastische Weltmarktpreise erzielt und jene fatale Dialektik von Dekadenz und Repression in Gang setzt. Ressourcenreiche Länder wachsen langsamer als andere. Ihre Kindersterblichkeit ist höher, so der amerikanische Politikwissenschaftler Michael Ross, das Pro-Kopf-Einkommen geringer, das Kriegsrisiko größer. Bodenschätze, so sein Fazit, ¸¸schaden der Wirtschaft eines Landes, schwächen und korrumpieren die Regierung, befördern die Sezession ressourcenreicher Regionen und finanzieren Rebellenbewegungen". 1988 annoncierte Pol Pot, für den Kampf gegen die kambodschanische Regierung müsse man ¸¸die natürlichen Ressourcen" heben, marschierte mit den Khmer Rouge in eine Region voller Rubine und Saphire ein, vergab Schürflizenzen an thailändische Firmen und kämpfte weiter bis 1997. Im Irak, wo der Zerfall nur noch eine Frage der Zeit scheint, fordern die Kurden heute ein noch freieres Kurdistan - und die volle Kontrolle über das Öl. Am schlimmsten aber trifft es Afrika. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Zahl der Kriege außerhalb des Kontinents halbiert. Nur in Afrika wird schlimmer Krieg geführt denn je, finanzieren die Warlords Kindersoldaten-Divisionen nicht mehr mit Geldern aus der Sowjetunion oder Amerika, sondern mit Blutdiamanten - wie in Angola, Sierra Leone und Liberia - , oder mit Coltan und Edelhölzern - wie im Kongo.

¸¸Natürlich gibt es einen Ressourcenfluch. Die Frage ist nur: Was folgt daraus?", sagt Harks. ¸¸Die deutschen Politiker zumindest wären gut beraten, wenn sie begreifen würden, dass man mit rohstoffreichen Ländern anders umgehen muss als mit rohstoffarmen." Nämlich glaubwürdiger, erzieherischer, multilateral. In Russland beispielsweise korrespondieren innere Erstarrung und Großmachtansprüche, und beides wird von märchenhaften Öl- und Gas-Gewinnen flankiert. Der Fall Chodorkowskij hat gezeigt, dass für Putin Pipelines und Gitterstäbe kommunizierende Röhren sind, gegen die Ukraine setzte Russland seine Energiereserven präzedenzlos offen als Druckmittel ein. Der Westen, selbst von den Importen abhängig, drang bislang nicht besonders hartnäckig auf die Einhaltung von Menschenrechten.

Und Russland hat einen funktionierenden Staat, es hat mehr zu bieten als Rohstoffe und teilt mit Europa ein paar Tausend Quadratkilometer Boden, Werte und Traditionen. Da ist der arabische Nahe Osten ein anderes Kaliber, politisch meist rückständig, in der Gesellschaft zunehmend islamistisch, an der Spitze demokratieresistent. Und auch dafür werden seit den Neunzigern ökonomische Erklärungen herangezogen. Im Nahen Osten nämlich haben Petrodollars, aber auch Militär- oder Entwicklungshilfen regelrechte ¸¸Rentierstaaten" hervorgebracht, Regime, die sich einzig aus ¸¸Renten" finanzieren, aus Einnahmen ohne reale Produktion, ohne Markt.

¸¸Die Rente verhindert Demokratie. Mit dem Islam, wie es heute oft heißt, hat die Demokratieresistenz nur am Rande zu tun", erklärt der Hamburger Politikwissenschaftler Martin Beck: ¸¸Der Staat ist in einer völlig anderen Position als in demokratischen Gesellschaften. ,No taxation without representation", das Prinzip des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, gilt hier nicht mehr."

Früher gab es in Kuwait oder Saudi-Arabien eine Oberschicht, die Steuern zahlte und ein bescheidenes Mitspracherecht besaß wie die Kaufleute von Dschidda oder die kuwaitischen Schiffsbauer. Heute sind diese Oberschichten wirtschaftlich marginalisiert, politisch entmachtet und lassen sich Putschfantasien durch großzügige Zuwendungen abkaufen. Ganze Kulturen, so Beck, verdanken sich den Renten; atavistische Kamelrennen, die der Erheiterung einer degoutanten Clique dienen; ein kostenloses Bildungssystem, das nur zu noch größerer Staatsnähe führt, weil jeder Hochschulabsolvent eine Jobgarantie bekommt und ein komfortables Überleben außerhalb des Systems nicht möglich ist. Selbst der Schocksieg der terroristisch-karitativen Hamas in Palästina lässt sich als erratischer Effekt des Rentensystems begreifen: Der Westen hat die Autonomiebehörde mit Millionen finanziert, damit auch die Villen und Limousinen der Fatah - und so am Ende der Hamas zum Triumph verholfen. Wenn heute der Westen mit der Hamas verhandelt, für wie viele Millionen diese sich auf einen Gewaltverzicht einlässt, dann ist dies ein seltener Versuch, um die Alimentierung eines Rentierstaats für die Durchsetzung internationaler Standards zu nutzen, und vielleicht ein vergeblicher.

Noch aussichtsloser liegt die Sache im Iran. Wenn Ahmadinedschad dem Westen vorrechnet, dieser brauche sein Land mehr als umgekehrt, ist das gehässig, aber nicht ganz falsch. Vor allem Amerika hat die Abhängigkeit vom Öl immer gefördert, seine Nahostpolitik war kurzsichtig, einseitig, unglaubwürdig. Anders als in Afrika aber durchdringen sich im Nahen Osten Energie- und Sicherheitsfragen. Man ist versucht, dies für ein Glück für die Region zu halten. Aber das hatte man über Bodenschätze auch immer gedacht.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.26, Mittwoch, den 01. Februar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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