ARD: Neuer Stasi-Verdacht:"Sie haben Spuren hinterlassen"

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Die Tagesschau, die ARD und die Stasi: Ein irritierender Verdacht fällt auf einen Mitarbeiter in gehobener Stellung - und auch der Klerus ist verwickelt.

Hans Leyendecker

Fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR gibt die Stasi immer noch Rätsel auf. Insbesondere viele der un-heimlichen freien Mitarbeiter im Westen konnten nicht enttarnt werden. Wer war beispielsweise der rätselhafte Inoffizielle Mitarbeiter (IM) mit dem Decknamen "Junior", der sich auffällig um Interna der Katholischen Kirche, aber auch um Parteien und Politik in der Bundesrepublik kümmerte?

Innen und außen mit der Stasi beschäftigt: Zuletzt zeigte die ARD den Liebesfilm in Stasi-Kreisen: "12 heißt: Ich liebe Dich". (Foto: Foto: MDR/UFA/Junghans)

In dem 1998 veröffentlichten Standardwerk Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit ("Teil 2: Anleitungen für die Arbeit mit Agenten, Kundschaftern und Spionen für die Bundesrepublik Deutschland") tauchte sein Deckname mit der Registrationsnummer auf. Dass es sich um einen westdeutschen Journalisten handeln musste, ergab sich aus Hinweisen in Akten, aber die Stasi-Forscher konnten jahrelang seine Identität nicht ermitteln.

Jetzt hat die Birthler-Behörde einen Verdacht, der die in Sachen Stasi ohnehin irritierte ARD aus der Fassung bringen könnte.

Ausweislich einer am 1. März 1982 angelegten Karte wurde IM "Junior" am 14.03.1952 geboren. Sein Führungsoffizier soll der in einschlägigen Kreisen bekannte Rainer D. gewesen sein und "Junior", der bis zum Ende der DDR Informationen lieferte, soll mit Klarnamen Bernhard Wabnitz heißen. Vermutlich gibt es im Medienbetrieb nur einen Bernhard Wabnitz, der an diesem Tag geboren wurde und der ist in der Fernsehbranche eine richtige Größe.

Wabnitz war von 1995 bis 1999 Zweiter und von 1999 bis 2005 Erster Chefredakteur von ARD-aktuell (Tagesschau, Tagesthemen) in Hamburg und in den Archiven finden sich nette Worte der Hierarchen: Als Wabnitz im Dezember 2005 verabschiedet wurde, weil er als Fernsehkorrespondent nach Rom wechselte, erklärte der damalige NDR-Intendant Jobst Plog: "Wabnitz hat die wichtigste Nachrichtensendung im Deutschen Fernsehen über zehn Jahre geprägt": "Sie haben bei ARD-aktuell Spuren hinterlassen." War das vieldeutig gemeint?

Wabnitz dementiert energisch und umfassend jegliche Verstrickung. Sein Münchner Anwalt Gero Himmelsbach ließ die Süddeutsche Zeitung wissen, dass "unser Herr Mandant zu keinem Zeitpunkt wissentlich und/oder willentlich für den Staatssicherheitsdienst tätig war. Sollte er in Unterlagen tatsächlich als IM "Junior" geführt sein, war auch dies unserem Mandanten nicht bekannt". Bereits am Dienstagnachmittag hatte Himmelsbach beim Landgericht München I eine einstweilige Verfügung erwirkt, derzufolge es "verboten ist, zu behaupten und/oder zu verbreiten oder verbreiten zu lassen", dass Wabnitz ein "Informant des DDR-Geheimdienstes gewesen" sei. Bei dem Abschied in Hamburg vor drei Jahren hatte Plog gemeint, "der Draht zu den Kollegen in Hamburg" werde sicher nicht abreißen. Es klingt wie Ironie, dass Wabnitz Montagnacht durch Recherchen des NDR in Sachen Wabnitz von dem Verdacht erfuhr. Er selbst hat die Unterlagen nicht und verweist auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung auf Himmelsbach. Der teilt mit: "Es ist davon auszugehen, dass Sie in Kürze vermutlich über eine Redakteur des Norddeutschen Rundfunks eine Meldung" mit irreführenden Behauptung erhalten.

Die Fachleute der Birthler-Behörde in Berlin sind mit Hilfe einer Indizienkette auf Wabnitz und IM "Junior" gestoßen. Nach den üblichen Kriterien der Behörde ist der Verdacht zweifelsfrei. Eine Verpflichtungserklärung gibt es nicht. Fürs Gericht hat Wabnitz an Eides statt versichert, kein Informant der Stasi gewesen zu sein. Wurde er abgeschöpft?

Mehrere Karteikarten und der so genannte Statistikbogen weisen auf einen Wabnitz. IM "Junior" jedenfalls wurde auf "ideologischer Basis" durch einen "DDR IM" geworben. Das meint, der Mitarbeiter im Westen hat aus Überzeugung mitgemacht. Als Beruf wird angegeben: "Journalist". Der Mitarbeiter aus dem Westen habe eine Deckadresse in der DDR und gehöre zur "Situation 1". Das meint, er war für den Krisenfall als sehr verlässlich eingestuft. Der IM spreche Englisch und Italienisch.

Der Wabnitz von der Tagesschau hat ein Volontariat bei der katholischen Nachrichtenagentur absolviert und ist 1984 zum Bayerischen Rundfunk gewechselt. Der IM "Junior" von der Stasi war auch beim BR. Unter "Medienobjekt" steht Bayerischer Rundfunk. Das mögen Indizien sein, aber harte Beweise sind es nicht. Die Biografiefetzen von IM "Junior" und dem Wabnitz vom Fernsehen weisen Übereinstimmungen auf, aber auch das ist kein Beleg.

IM "Junior" hat beispielsweise für "Berichte über die CSU und deren Haltung zu aktuell-politischen Fragen im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern am 12.10.86" zugeliefert. "Streng geheim" ist ein zehnseitiger Bericht, der mit Hilfe des IM über "aktuelle Entwicklungstendenzen des politisch-parlamentarischen Kräfteverhältnisses in der BRD" mit Mitwirkung von "Junior" 1987 erstellt wurde.

Zum Saarland findet sich manches aus seiner Feder und auch zu Kirchenthemen wie der "Wahl von Bischof Lehmann zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz": Lehmann müsse mit stärkerem Widerstand rechtskonservativer Kreise der katholischen Kirche" rechnen und seine Wahl stoße auch bei "CDU/CSU auf Vorbehalte".

Minderwertige Beweismittel

Klar ist, dass die katholische Kirche als eine der Speerspitzen des Wandels in Osteuropa Zielobjekt der Stasi war. Aber darf jemand Wabnitz vorwerfen, dass er sich in Kirchenfragen auskannte und auch mit Kirchenleuten bekannt war, von denen sich später der eine oder andere als IM entpuppte? Auch die katholische Kirche in der DDR war teilweise von der Stasi unterwandert.

Wie belastbar sind die Stasi-Unterlagen? Für die Forscher und auch für die Sicherheitsbehörden ist einer IM gewesen, wenn sich im Statistikbogen und in den Karteikarten sein Name findet. Danach wäre jener im März 1952 geborene Wabnitz tatsächlich IM gewesen.

Allerdings sind Stasi-Unterlagen vor Gericht minderwertige Beweismittel. Das Amtsgericht Hamburg hat unter Verweis auf die mangelnde Beweiskraft neulich die Zulassung einer Anklage gegen den früheren ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf abgelehnt, der im Verdacht steht, IM gewesen zu sein.

Ein letzter Bericht ("Empfänger Honecker, Stoph") von IM "Junior" wurde im Herbst 1987 verfasst. Offenkundig aus dem Jahr 1989 stammt ein Eintrag, den die Grenzer erstellt haben: Danach ist Wabnitz, Bernhard, "ausgeübte Tätigkeit: Korrespondent der ARD" zwischen September 1987 und Februar 1989 fünfmal in die DDR gereist.

Der echte Wabnitz soll, so steht da, den Grenzern, unter denen Mitarbeiter der Staatssicherheit waren, "über den Wahlausgang in Schleswig-Holstein aus der Sicht der CSU", berichtet haben oder aus "Passau vom Aschermittwoch der CSU", über eine "Übung der Bayerischen Polizei nach Geiseldrama in Gladbeck", zur "Sondersitzung des Bayerischen Landtages zu WAA-Wackersdorf" und schließlich wieder über "den politischen Aschermittwoch in Bayern".

Aber auch das ist kein Beweis.

© SZ vom 6.11.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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