ARD-Dokumentation "Die RAF":Die Reise des Informanten

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Aus dem Innenleben der RAF: Experte Stefan Aust konnte in seinem Zweiteiler nicht nur dank seines Kronzeugen Peter-Jürgen Boock tatsächlich Neues bieten.

Willi Winkler

Anfang 2005 fragte Thomas Schreiber, heute Leiter der Abteilung Fiktion und Unterhaltung des NDR, bei "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust an, ob er sich einen Film über die Rote Armee Fraktion (RAF) vorstellen könne. Natürlich konnte Aust das.

Aust hatte sich mit der Terror-Gruppe bereits beschäftigt, als es sie noch gar nicht gab, hatte unter der "Konkret"-Kolumnistin Ulrike Meinhof gedient und nach ihrem Gang in den Untergrund deren Kinder aus einem Flüchtlingslager in Sizilien herausgeholt.

Aust hatte als Mitarbeiter des ARD-Magazins "Panorama" Filme über die Anschläge der RAF, über den Prozess in Stammheim, über Hungerstreiks und neue Anschläge gedreht und schließlich 1985 das Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex" veröffentlicht. Niemand kennt die erste Generation der RAF besser als Aust, sein Buch ist bis heute das Standardwerk.

Aust hat das Bild der RAF geprägt, nicht zuletzt durch Reinhard Hauffs Spielfilm "Stammheim" (1986), der ebenfalls auf Austs Buch beruhte und im Gerichtssaal schreiende und tobende Angeklagte und überforderte, durchsetzungssüchtige Richter zeigte.

Schreiber verband seine Anfrage mit dem Wunsch, Aust möge in einem weiteren Film 30 Jahre nach der Schleyer-Entführung und dem Selbstmord der RAF-Gründer in Stammheim etwas Neues bringen. Das fiel Aust nicht schwer, denn schließlich hält er seit langem Kontakt zu Peter-Jürgen Boock, den Horst Herold, der ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes, bis heute den "Karl May der RAF" nennt.

Der Zeuge Boock, der nach seiner Festnahme 1981 über Jahre jede Beteiligung an den Mordtaten der RAF bestritten hatte und durch das Unrecht, das ihm angeblich angetan worden war, eine Mitleidswoge von Heinrich Böll bis zum damaligen Intendanten der Münchner Kammerspiele zu erzeugen verstand, diente bereits für Austs Buch als Haupt-Informant.

Die zweiteilige Dokumentation "Die RAF", die Aust zusammen mit Helmar Büchel hergestellt hat und die am Sonntag und Montag im Ersten lief, konnte dank Boock tatsächlich Neues bieten, was dann portioniert über Vorabmeldungen bekanntgemacht wurde.

Die RAF wollte demnach auch Helmut Schmidt entführen und spähte ihn sogar aus, und nun sollen es Rolf Heißler und Stefan Wisniewski gewesen sein, die am 18. Oktober 1977 Hanns Martin Schleyer getötet haben. Das kann sein, muss aber nicht so gewesen sein. Dass Boock selber in jenem Herbst die anderen mit dem Vorschlag überraschte, aus Rache für die gescheiterte Freipressung der Gefangenen ein vollbesetztes Flugzeug über dem Bonner Regierungsviertel abstürzen zu lassen, sagte er natürlich nicht im Fernsehen.

Stattdessen sah man diesen Musterschüler erst des Terrors und dann des öffentlichen Bereuens als Cicerone an den Schauplätzen seiner diversen Heldentaten, sah, wie er in der Vincenz-Statz-Straße in Köln stand, wo er mit drei anderen Schleyers Wagen gestoppt und dessen vier Begleiter erschossen hatte, sah ihn im Südjemen, wo er und weitere Stadtguerilleros von den Palästinensern an der Waffe ausgebildet wurden und sah ihn auf dem Stuttgarter Friedhof am Grab der Selbstmörder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.

Es sei sein erster Besuch dort gewesen, sagte er, und dass er "so wütend" sei. Warum? Weil die Toten ihn zu seinen Taten angestiftet hätten und er sich heute frage, "ob das nicht selbstsüchtig war". Bei so viel Neuigkeiten aus dem Innenleben der RAF wollte einen schier schwindeln.

Dabei hätten Aust und Büchel ihren Reiseführer durch die siebziger Jahre nicht gebraucht. Immerhin konnten sie einen bisher unbekannten Farbfilm vom 2. Juni 1967 präsentieren - dem Tag, an dem ein Berliner Polizist einen Studenten erschoss. Es war, nicht weiter gekennzeichnet, ein Band zu hören, auf dem Ulrike Meinhof die Gründung einer Roten Armee ankündigte, und man bekam verschiedene Polizeivideos zu sehen.

Als die Häftlinge Baader und Raspe Ende 1974 mit dem Hubschrauber in Stammheim landeten, waren sie von Scharfschützen bewacht, so dass sich auf diesen Bildern der Eindruck vom Bürgerkrieg einstellte, auf den die RAF so inständig hoffte.

Boocks Offenbarungsbereitschaft

Im zweiten Teil legte Aust viele Indizien dafür vor, dass die Gefangenen von Stammheim auch in den Wochen der totalen Kontaktsperre während der Schleyer-Entführung abgehört worden seien, ja, dass diverse Behörden oder Geheimdienste die Vorbereitungen zum gemeinsamen Selbstmord belauschten, ihn aber nicht verhinderten.

Vermutlich war es so, aber beweisen kann es auch dieser Film nicht. Anders als in früheren Aust-Darstellungen wird der Richter Theodor Prinzing, der den Vorsitz im Stammheimer Prozess wegen der Besorgnis der Befangenheit abgeben musste, nicht mehr zum Bösewicht gemacht. Vielmehr darf er sogar den Tod von Holger Meins rechtfertigen. Dass Prinzing dem sterbenden Gefangenen ärztliche Betreuung versagte, wird gar nicht erst erwähnt.

Wie in seinem Buch beendet Aust die Geschichte der RAF mit dem Tod Schleyers, der Befreiung der "Landshut" und dem Selbstmord in Stammheim. Für die mehr als 20 Jahre, die es anschließend noch dauerte, bis die RAF sich selber auflöste, reicht die Zeit nur zu einem hektischen Lichtbildervortrag, der wenig erklärt und wohl auch nichts erklären soll.

So wenig die Zuständigen von Stammheim preisgeben, so offenbarungsbereit ist der Kronzeuge Boock. Es fehlte nur noch, dass Boock am Ende das Grab Schleyers aufgesucht und auf Knien vor einer teilnahmsvollen Kamera den auf seine Anweisung ermordeten Arbeitgeberpräsidenten schluchzend um Vergebung gebeten hätte.

© SZ vom 12.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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