Architektur:Gut Holz

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Buswartehäuschen mit zwei Stockwerken: In Krumbach gibt es besonders viel gelungene Architektur. (Foto: Darko Todorovic/Vorarlberg Tourismus)

In Vorarlberg machen Handwerker und Architekten vor, wie hochwertige Baukultur gelingen kann. Hier werden selbst Gewerbebauten und Buswartehäuschen zu Kunst.

Von Laura Weissmüller

Der Weg ist schmal, ein Trampelpfad, der im sanften Bogen nach oben führt. Wer es nicht weiß, fährt vorbei. Es gibt kein großes Hinweisschild, nicht einmal einen Parkplatz. Dabei wartet auf dem Rücken des Hügels, gesäumt von den Bäumen des Bregenzerwalds und umgeben vom Läuten der Kuhglocken, eine Kapelle, so atemberaubend schön, dass sie es mit der Landschaft hier aufnehmen kann. Schon allein die Form! Extrem simpel, fast schon nüchtern, wäre da nicht das Steildach der Kapelle derart in die Höhe gezogen, dass es etwas Himmelstürmendes, ja Keckes hat.

Dann die Fassade: Die kleinen Holzschindeln schmiegen sich dicht an dicht und leuchten dabei in sämtlichen Farben des Herbstlaubs, was ein lebendiges Miteinander, fast ein natürliches Gewand ergibt und der schlichten Form Wärme verleiht. Schließlich der Innenraum: Man könnte ihn als karg beschreiben - die Bänke sind kaum mehr als Gedankenskizzen, statt einem Altar öffnet sich ein bodentiefes Fenster zu den angrenzenden Bäumen und der Hügelkette -, doch das Holz, das hier so meisterhaft die Kubatur im Inneren nachformt, gibt dem Ort eine weihevolle Atmosphäre.

Zwei junge Frauen schrubben konzentriert den Holzboden. Wie viele Gottesdienste es hier in der Kapelle Salgenreute gibt? Die Maiandacht, antwortet die eine. Und ab und zu eine Hochzeit, ergänzt die andere, bevor sie sich wieder ihrer Aufgabe zuwenden. So als wäre es nichts Besonderes, dass hier am Rande der Wälder, hoch über den Städten ein solches architektonisches Kleinod steht.

Ist es auch nicht. Zumindest nicht im Bregenzerwald. Wer durch die Region im österreichischen Bundesland Vorarlberg fährt, die Serpentinen nach oben nimmt und die dichten Wälder durchkreuzt, der kann nur staunen. Zum einen über die großartigen alten Bauernhäuser und Gasthöfe mit ihren kleinen Holzschindeln und der klaren Kubatur. Zum anderen aber, und das ist noch viel faszinierender: über die Art und Weise, wie hier die traditionelle Holzbaukunst in eine klar zeitgenössische Architektur überführt wird. Da gibt es Höfe, die in moderne Doppelhaushälften umgebaut wurden, ohne dass sie ihren Charakter verlieren. Da gibt es Kindergärten und Gemeindesäle, die jedes Hochglanzmagazin schmücken würden - und oft schon geschmückt haben -, weil ihre nüchterne Formensprache so gut ins 21. Jahrhundert passt. Da gibt es dreistöckige Mehrfamilienhäuser, die so kompakt sind, dass man sie eher in einer Stadt als in einem 1000-Einwohner-Dorf wie Krumbach vermuten würde.

Und nicht zu vergessen die Gewerbegebiete, andernorts oft der Schandfleck jeder Gemeinde. Hier dagegen lassen sich an den lang gezogenen Hallen oft die unterschiedlichen Alterungszustände von Holz studieren: Am Anfang leuchtet es fast honiggelb, dann wird es dunkel, abhängig davon, welche Holzart verwendet wurde. Fichte etwa wird mit der Zeit silbergrau, Tanne fast schwarz. Es sagt viel über die Region aus, dass Holz hier altern darf, man es also als natürliches Produkt nicht nur einsetzt, sondern auch wertschätzt. Und dass man Gewerbebauten hier studiert wie andernorts Sehenswürdigkeiten.

Antrieb Bürgerstolz: Die eine Gemeinde macht im Guten nach, was die andere vorgelegt hat

"Bürgerstolz" erklärt Markus Aberer, ehemaliger Stadtplaner von Dornbirn, den Grund für die erstaunlich hohe Qualität der Alltagsarchitektur in ganz Vorarlberg. "Die eine Gemeinde macht im Guten nach, was die andere vorgelegt hat." Der Wettbewerb untereinander führt nicht wie anderswo zu immer weiteren Neubaugebieten, sondern zu mehr Qualität, gerade im öffentlichen Bau. Stolz hängen die Urkunden des Bauherrenpreises, der alle zwei Jahre vergeben wird, gerahmt und hinter Glas in den Gemeindehäusern. Die Auszeichnung gilt hier als Statussymbol.

Das 45 000 Einwohner große Dornbirn ist dabei so etwas wie die architektonische Hauptstadt des Bundeslandes (die politische ist Bregenz). Denn in den Sechzigerjahren ist hier und in den Nachbargemeinden eine Bewegung entstanden, die bis heute zeigt, dass es eine zeitgenössische alpine Architektur gibt, die nichts mit Zirbelstuben und Après-Ski-Scheußlichkeiten zu tun hat, stattdessen eine Formensprache besitzt, die sich nicht an eine Tradition anbiedert, sondern diese herausfordert und den Mut beweist, im Ländlichen auch das Urbane zuzulassen, kurz: eine Architektur, die unserer immer komplexer werdenden Gegenwart gerecht wird.

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"Vorarlberger machen die Dinge gerne selber. In Normen eingekastelt zu werden, mögen die Menschen hier nicht", sagt Verena Konrad. Die Kunsthistorikerin leitet seit fünf Jahren das Vorarlberger Architektur-Institut. Wer mit ihr durch Dornbirn läuft, trifft unweigerlich auf Protagonisten, die den Erfolg der lokalen Architekturszene möglich gemacht haben. Auf Aberer, der über Jahrzehnte kluge Stadtplanung betrieben hat und sich heute für einen verantwortungsvollen Umgang mit Grund und Boden einsetzt. Auf den ehemaligen Bürgermeister von Krumbach, der selbst in eines der kompakten Mehrfamilienhäuser im Dorfzentrum gezogen ist und nicht nur die Kapelle Salgenreute von dem Architekten Bernardo Bader auf seinem Gemeindegebiet vorweisen kann, sondern auch sieben avantgardistische Bushäuschen, die bekannte Architekten aus der ganzen Welt entworfen haben.

Umgesetzt von hiesigen Handwerkern, handfest unterstützt von den Bürgern Krumbachs. Oft läuft es genau so: Einer hat eine Idee, viele gemeinsam setzen es um. "Es gibt hier eine hohe Kultur, etwas zusammen zu machen", so Konrad. Vermutlich auch, weil man sich untereinander kennt. Die Netzwerke in Vorarlberg sind klein und gerade deswegen so effektiv.

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Trotzdem ist es Konrad wichtig, auch auf die Nicht-Schauseite Vorarlbergs hinzuweisen. "Wir sind weit entfernt von heiler Welt." Der Wohnungsbau etwa sei hier in großen Teilen genauso standardisiert und gesichtslos wie überall sonst. Bauträger, die vor zehn Jahren noch die guten Projekte realisiert haben, würden heute Massenware produzieren. "Wenn 100 von solchen Kisten dazukommen, ist der Ruf der hohen Baukultur schnell verspielt - und wir sind auf einem unguten Weg dorthin."

Im Werkraumhaus stellen die Handwerker ihre Stücke aus wie in einer urbanen Kunsthalle

Gute Gestaltung entsteht eben nicht über Nacht und nicht von allein, es ist ein fortwährender Kampf um Qualität, vor allem in Zeiten, in denen die globale Bauökonomie und der Massenkonsum sich mit zerstörerischer Kraft bis in die Dörfer gefressen haben. Das weiß auch Thomas Geisler. Der Designhistoriker leitet den Werkraum in Andelsbuch, noch so ein außergewöhnlicher Bau mitten im Bregenzerwald, entworfen von einem der besten Architekten der Welt, dem Schweizer Peter Zumthor. "Das Haus ist kein Maßanzug, sondern bewusst ein paar Nummern zu groß, damit wir ständig gefordert sind", so Geisler. In der vollverglasten Halle präsentieren die lokalen Handwerker ihre Produkte. Die Architektur erinnert an Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie in Berlin. Ein gewaltiges Schaufenster, hier in Andelsbuch, eben für Schrank, Bett und Stuhl statt für die Kunst.

Zumthors schwarze Halle steht seit 2013 mitten in Andelsbuch. Jeden Tag zur Mittagszeit wird sie für die Menschen hier zum Lebensraum, wo an langen hellen Holztischen die Handwerker neben den Bankern, die Touristen neben den Versicherungsangestellten und Rentnern sitzen und essen. Die Idee hinter dem Werkraum verdankt sich auch dem Ringen um Qualität. In den Achtzigerjahren war eine Generation von Architekten, Handwerkern und Gestaltern nicht mehr zufrieden mit dem, was in ihrer Region an Produkten entstand. "Alpiner Brei" nennt es Geisler, was bis heute etwa in Bayern noch unter Handwerkskunst läuft. Doch die Menschen im Bregenzerwald fühlten sich damit nicht mehr wohl. 1991 riefen sie den Wettbewerb "Handwerk und Form" ins Leben, bei dem Handwerker zusammen mit Gestaltern und Architekten ihre Produkte verbessern, ja sie in ihre eigene Moderne führen sollten, einfach, schlicht und funktional, aber trotzdem mit den Traditionen hier verbunden.

Seit 2000 werden alle drei Jahre die besten Produkte ausgezeichnet. Und weil die Region so gut in Wettbewerben ist, kann man heute formschöne Möbel im Werkraum sehen. Schlanke Sofas, raffinierte Sekretäre, aber auch clevere Wäscheständer und simple Hocker. Kann man sich die auch leisten?"Gutes Handwerk hat seinen Preis", räumt Thomas Geisler ein. Aber es sei schon auffallend, wie hier auch die junge Generation nicht schnell ins Möbelhaus geht, sondern lieber zum örtlichen Schreiner. "Hier ist es ein Statussymbol zu wissen, wer ein Möbel gemacht hat und wo das Holz herkommt."

Genau diese Wertschätzung fürs Handwerk dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass sich die Gestaltung derart verbessert hat. Denn, was in ganz Vorarlberg auffällt: Die zeitgenössische Architektur ist hier auch deswegen so hervorragend, weil sie handwerklich so gut ausgeführt, das Holz so sauber verarbeitet, die Böden so sorgfältig verlegt, die Polster so perfekt angefertigt sind. Nur, warum funktioniert hier die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Handwerker, wo sie andernorts nicht selten vor Gericht endet, weil man sich gegenseitig mit Haftungsansprüchen überzieht?

"Ich verstehe nicht, warum es woanders nicht damit klappt", sagt Matthias Kaufmann. Der 34-jährige Zimmerer sitzt neben seinem Vater am Holztisch, die Tischlerei und Zimmerei Kaufmann hat der Urgroßvater 1932 in Reuthe gegründet. Ein klassischer Familienbetrieb also, was aber nicht bedeutet, dass man hier nichts Neues ausprobieren darf. Im Gegenteil. Matthias Kaufmann hat an Zumthors urbanem Schaufenster mitgearbeitet. Für den deutschen Architekten und Nachhaltigkeitspapst Werner Sobek hat die Firma komplett recycelbare Raummodule aus Holz entwickelt. Neue Ideen von Architekten umzusetzen, gehört für Matthias Kaufmann zur Arbeit dazu. "Ich kenne es gar nicht anders."

Mit fertig eingerichteten Holzmodulen ist die Zimmerei auch in Deutschland erfolgreich

Sein Vater schon. Als ab den Sechzigern die ersten Architekten sich "ans Holz gewagt haben", mit Flachdach und zeitgenössischen Formen, gab es Handwerker, die das, was die Menschen hier damals als "Hasenstall" bezeichneten, nicht ausführen wollten. Für Michael Kaufmann war das keine Frage - schließlich war sein Bruder Hermann Kaufmann einer von den "jungen Wilden". Der Architektenbruder, der heute an der TU München lehrt, habe ihn damals um Rat gefragt und später habe er es ausgeführt, nicht wissend, ob's klappt. "Oft sind wir ans Limit gegangen", sagt Kaufmann senior, und leiser Stolz schwingt da mit. Heute werden in der 2500 Quadratmeter großen Montagehalle Holzmodule gebaut, die oft bereits mit Elektroleitungen, Badezimmern und Doppelbetten eingerichtet sind. Auf der Baustelle müssen sie nur noch zusammengefügt werden. Die Schnelligkeit wird gerade im Hotelbau geschätzt, aber die Module eignen sich auch für den Bau von Schulen, Altenheimen oder Flüchtlingsunterkünften. Die kurze Bauzeit bedeutet nicht, dass der Charme der Häuser dabei verloren geht.

Handwerker und Architekt sind also gleichermaßen wichtig im Ringen um die Baukultur. In Vorarlberg begegnen sie sich auf Augenhöhe. So mancher Handwerker genießt hier Kultstatus, gleichzeitig schweben die Architekten nicht aus der fernen Stadt herbei, um schnell ihren Entwurf abzusondern, sondern sind meist aus der Region, wohnen hier, gehen gemeinsam in den Musikverein, manchmal stammen sie sogar, wie bei den Kaufmanns, aus einer Familie. Und so ist das, was so außergewöhnlich erscheint, in gewisser Weise ganz normal. Zumindest im Bregenzerwald.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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