Was für ein Fächertanz. In allen Farben werden sie in die Höhe gestreckt, kleine, große, gekaufte oder auch mal selbst gefaltete aus einem Stück Zeitungspapier, wenn es schnell gehen musste. Für einen Augenblick sieht es so aus, als wäre der venezianische Himmel nicht strahlend blau, sondern kunterbunt. Die Fächer sind das Erkennungszeichen eines Protests, der endlich auch die Architekturwelt erreicht hat. Mit ihnen wollen die etwa 150 Frauen (und ein paar wenige Männer) gegen die Diskriminierung und Belästigung von Frauen in ihrer Branche demonstrieren. Die hat sich viel zu lange vor dem Thema gedrückt, doch dank "Me Too" und "Time's Up" ist das nun nicht mehr möglich. Ort und Zeitpunkt der Demonstration sind gut gewählt: Die Architektinnen haben sich am Freitagvormittag, dem exklusiven Eröffnungstag der Architekturbiennale in Venedig, prominent hinter dem Eingang auf dem Giardini-Gelände positioniert, also dort, wo viele Stars der Szene und sonstige wichtige Menschen der Bauwelt das Gelände betreten, allesamt Männer.
Der Anteil der Frauen unter den freischaffenden Architekten im Hochbau liegt bei 22 Prozent
Womit man schon beim Kern des Problems wäre. Wie in den Giardini sieht es auch in der Architekturwelt aus. Obwohl schon seit Jahren genauso viele Frauen wie Männer Architektur studieren, verschwinden diese von der Bildfläche, sobald es Richtung Chefposten geht. Nach einer Erhebung der Bundesarchitektenkammer im Jahr 2016 beträgt der Anteil von Frauen im Bereich freischaffender Hochbauarchitekten gerade einmal knapp 22 Prozent. Unter gewerblich tätigen Stadtplanern sind es sogar nur neun Prozent. Außerdem verdienen Frauen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen, im Durchschnitt 20 Prozent. Vor Kurzem sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass selbst Zaha Hadid Architects, das Büro der berühmtesten Architektin unserer Zeit, die vor zwei Jahren verstarb, männliche Angestellte besser bezahlt als weibliche. Ganz offensichtlich ist der Missstand in der Bauwelt so fest einbetoniert, dass nicht einmal Zaha Hadid ihn sprengen konnte.
Die Architekturbiennale macht da keine Ausnahme. In ihrer über 40-jährigen Geschichte sind Yvonne Farrell und Shelley McNamara nach Kazuyo Sejima im Jahr 2010 überhaupt erst die ersten Frauen, die diese weltweit wichtigste Architekturausstellung kuratiert haben.
Ein Zeichen der Solidarität gegenüber ihren Kolleginnen wäre da von Farrell und McNamara nicht schlecht gewesen. Doch die beiden irischen Architektinnen sucht man auf der Demonstration vergebens. Dafür sichtet man so prominente Vertreterinnen ihres Faches wie die Französin Odile Decq, die Deutsche Anna Heringer oder die Kanadierin Alison Brooks in der Fächer schwenkenden Masse. Die wirkt angesichts ihrer eigenen Größe enthusiastisch, im Berufsalltag müssen die Frauen sich schließlich meist allein gegen Vorurteile und respektloses Verhalten zur Wehr setzen. "Wir werden es nicht tolerieren. Wir werden nicht stillstehen", liest Martha Thorne aus dem von Voices of Women verfassten Manifest vor. Die zierliche Frau steht auf einer Parkbank, sie ist Dekanin der IE School of Architecture and Design in Madrid und Teil des Pritzker-Preiskomitees, der Jury, die jedes Jahr den weltweit wichtigsten Architekturpreis verleiht (überwiegend an Männer). Vor einem Monat hat Thorne sich mit einer Handvoll Frauen die Aktion auf der Biennale ausgedacht. "Das Problem der Diskriminierung betrifft uns auf der ganzen Welt", sagt die japanische Architektin Toshiko Mori, die seit 30 Jahren ihr eigenes Büro in New York leitet. Odile Decq, ebenfalls Mitorganisatorin der Demonstration, pflichtet ihr bei: "Jede von uns kennt mindestens ein oder zwei Geschichten der Diskriminierung." Das fängt damit an, dass bei Besprechungen Männern die Rolle des Genies zu gewiesen wird, während Frauen für die Assistentin gehalten werden. Diskriminierung zeigt sich bei schlechterer Bezahlung - und nicht selten bei sexueller Belästigung.
Stararchitekt Richard Meier, dem im Frühjahr von fünf Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde, ist nicht der einzige, der seine Machtposition ausgenutzt hat. "Es gibt eine sehr lange Tradition von schlechtem Benehmen in der Architektur", sagt Alison Brooks, die ihr eigenes Büro in London führt. Für Brooks hat das vor allem mit den Machtverhältnissen in der Arbeitswelt zu tun. Junge Berufsanfängerinnen treffen in Architekturbüros meist auf alte Männer in Führungspositionen. Warum dort nicht mehr Frauen sitzen? "Es braucht sehr viel Selbstvertrauen, um seinen Weg als Frau in der Architektur zu machen. Wir wachsen mit Helden und Göttern auf, die allesamt männlich sind. Da entsteht bei Frauen das Gefühl, dass sie einfach keine Führungskräfte sein können." Brooks achtet in ihrem eigenen Büro darauf, dass die Balance zwischen den Geschlechtern stimmt, auch in der Frage, wer das Büro auf wichtigen Konferenzen oder Preisverleihungen vertreten darf. "Es geht um einen gleichberechtigten Zugang."
Wie Odile Decq hat auch Brooks viele Jahre geglaubt, dass es reicht, die eigene Arbeit für sich selbst sprechen zu lassen. Dass es egal ist, ob man Architekt oder Architektin ist, weil ja die Leistung kein Geschlecht hat. Genau diese Haltung hat der dänischen Architektin Dorte Mandrup im vergangenen Jahr einen Shitstorm eingebracht, weil sie öffentlich erklärte, dass sie nicht als Architektin, sondern als Architekt gesehen werden möchte. (Im Englischen ist die Kategorisierung deutlicher sichtbarer, wo der Mann einfach nur "architect" heißt, und die Frau ein "female" davor braucht, als wäre sie Vertreterin einer besonders seltenen Spezies). Brooks, Decq und viele andere haben in den vergangenen Jahren erfahren müssen, dass es nicht reicht, sich einfach nur auf seine Arbeit zu konzentrieren. Vor allem weil das Netzwerk männlich ist, das es braucht, um wichtige Kunden zu akquirieren, wichtige Wettbewerbe zu gewinnen, wichtige Werkschauen zu bekommen, kurz: um für wichtig gehalten zu werden. Das System, wie die Architekturwelt funktioniert, muss sich grundlegend ändern. Erst dann kann das -in hinter Architekt wegfallen.