Architektur:Ein dekonstruierter Lampion

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Der diesjährige Sommer-Pavillon der Londoner Serpentine von SelgasCano überzeugt durch seine Leichtigkeit.

Von Alexander Menden

Ein wichtiger Maßstab für den Erfolg jedes Serpentine-Pavillons ist, wie gut man ihn sich als Spielplatz vorstellen kann - oder zumindest als Tummelplatz, an dem Erwachsene und Kinder sich gleichermaßen wohlfühlen, ohne einander ins Gehege zu kommen. Daran gemessen ist die Struktur, die das spanische Architekturbüro SelgasCano nun in die Kensington Gardens gesetzt hat, ein uneingeschränkter Erfolg. Die Kinder werden ihn lieben und durch seine bunten Gänge rasen; zugleich wird er den perfekten Hintergrund für Promi-Empfänge und Sommerveranstaltungen der Serpentine abgeben. Kurz, die 15. Ausgabe des alljährlich für das Rasenkarree vor der Londoner Galerie neu entworfenen Sommerpavillons zeugt davon, dass seine Schöpfer die speziellen Anforderungen dieses begehrten Auftrags begriffen haben.

In José Selgas und Lucía Cano dürfen sich erstmals zwei Spanier in die Liste der Pavillon-Architekten eintragen, auf der unter anderem bereits Oscar Niemeyer, Rem Koolhaas und Frank Gehry stehen. Und wie immer, wenn so ein Pavillon wirklich gelingt, halten SelgasCano die Balance zwischen Flüchtigkeit und struktureller Festigkeit, wiedererkennbarer stilistischer Identität und intuitivem Verständnis für den Ort. Dieser Pavillon ist bunter als jeder seiner Vorgänger, eine transparente Mischung aus dekonstruiertem Lampion, Kaleidoskop und Familienzelt.

Selgas und Cano haben ihre Projekte bisher überwiegend in Spanien verwirklicht. Alle, etwa die Kongresszentren in Cáseres und Murcia, besitzen einen Grad durchscheinender Leichtigkeit, deren Eignung für den regenreichen britischen Sommer auf den ersten Blick fraglich erscheint. Doch der Pavillon erweist sich beim morgendlichen Schauer am Tag der Eröffnung nicht nur als wasserdicht, seine Wände entfalten gerade bei bedecktem Himmel ihre besondere, heitere Qualität. Die Architekten verwenden gern synthetische Materialien, die beim Bau bisher kaum zum Einsatz kommen. In diesem Fall haben sie eine Kunststoffmembran über ein Stahlskelett gezogen. Diese Haut ist mit irisierenden Folien beklebt oder farbig bedruckt. Zwischen manchen Streben sind bunte Kunststoffstreifen gespannt, was dem Ganzen einen genau kalkulierten Improvisationseffekt verleiht. Vier Eingänge am Ende bunter Tunnel führen ins Innere, doch der Übergang wirkt durch die Offenheit der Konstruktion fließend.

José Selgas hat sich die übrigen Pavillons genau angeschaut und ihm ist aufgefallen, dass bei vielen "ein Bild reicht, und du hast sie gesehen". Dieser ist anders: Man kann seine Form nicht aus einer einzelnen Perspektive erfassen, er ist mehr sinnliche Erfahrung denn Gebäude. Verspieltheit, die nie ins Alberne abkippt, Komplexität, die im verführerischen Gewandt scheinbar naiver Freude an der Farbe daherkommt - diese Mischung macht den neuen Serpentine-Pavillon unwiderstehlich.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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