Architektur:Deutsche Seidenstraße

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Zwischen der Bauhaus-Schule und der Textilindustrie in Krefeld gab es enge Beziehungen. Das Jubiläumsprogramm ist nun erst recht ein Grund, in die Stadt am Niederrhein zu pilgern.

Von Alexander Menden

Nix besonderes" sei das Baumaterial, sagt Thomas Schütte. Einfach Bauholz, Lärche: "Das verzieht sich nicht. Aber ich hoffe, die Dachdecker bekommen einen Dachdeckerpreis für die Arbeit, die sie hier gemacht haben." Der Düsseldorfer Künstler ist zur Eröffnung des von ihm gestalteten Pavillons nach Krefeld gekommen, und er scheint hochzufrieden mit dem Ergebnis. Dass der Impuls für diese Konstruktion an der Nordwestecke des Krefelder Kaiserparks die nordrhein-westfälische Ausstellungsreihe "100 Jahre Bauhaus im Westen" ist, sieht man ihr auf den ersten Blick nicht an. Auf einen Sockel gesetzt, der einen etwas kleineren Durchmesser hat als die 15 Meter des Pavillon-Bodens selbst, spielt der oktogonale Bau mit seinem geschwungenen, kupferbeschichteten "Lotosblattdach" eher mit dem Orientalismus des 18. und 19. Jahrhunderts als mit der Linienführung des Bauhauses.

Thomas Schütte betrachtet die Gestaltung solcher Gebäude als "Hobby", als Fortsetzung der architektonischen Skulpturen, die er schon seit Jahrzehnten in verschiedenen Materialien und Größen realisiert. Ihn um die Gestaltung des temporären Pavillons zu bitten, der zunächst für die kommenden zwei Jahre als Ausstellungs- und Veranstaltungsgebäude dienen wird, sei daher auch eine Entscheidung gegen die von Klischees überlagerte Wahrnehmung der Bauhaustradition gewesen, sagt Christiane Lange, die Kuratorin des Krefelder Projektes "Mies in Krefeld" (MIK), das Schüttes "begehbare Skulptur" in Auftrag gegeben hat. "Bildende Kunst war eine treibende Kraft für das Bauhaus" erklärt Lange. Deshalb habe man gerade keinen Architekten oder Designer gefragt, da für sie womöglich die Verlockung groß gewesen wäre, sich allzu direkt mit der modernistischen Tradition auseinanderzusetzen. Schüttes undogmatische Ideen passen nach Auffassung der Kuratorin weit besser zum Geist des Bauhauses.

Christiane Lange hat sich in den vergangenen drei Jahren intensiv mit dem Wirken von Bauhäuslern wie Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich, Johannes Itten, Georg und El Muche in Krefeld befasst. Ergebnis ist eine mehr als vierhundert Seiten dicke Studie über die erstaunlich intensive Verflechtung zwischen dem Bauhaus und der traditionsreichen Krefelder Textilindustrie. Diese begann bereits Mitte der Zwanzigerjahre, als es ernsthafte Überlegungen gab, das in Weimar in Bedrängnis geratene Bauhaus nach Krefeld übersiedeln zu lassen.

Der temporäre Pavillon stammt von dem Künstler Thomas Schütte. (Foto: Michael Dannemann)

Obwohl diese Idee an man an mangelnden finanziellen Möglichkeiten scheiterte, wurde die Verbindung vertieft: Gunta Stölzl, später erste Bauhaus-Meisterin und Leiterin der Weberei, hospitierte etwa an der Krefelder Färberei- und Weberschule. Die deutsche Samt- und Seidenindustrie wollte sich nach dem Ersten Weltkrieg stärker von der dominanten französischen Konkurrenz absetzen. Der Branchenverband mit Hauptsitz in Krefeld beschäftigte Bauhäusler nicht nur zur Ausbildung des Nachwuchses und bei der Gestaltung von Stoffen. Besonders Mies van der Rohe und Lilly Reich trugen zum internationalen "Branding" bei, indem sie spektakuläre Ausstellungsarchitekturen entwarfen: das Café "Samt und Seide" bei der Berliner Ausstellung "Die Mode der Dame" 1927 und den Beitrag der deutschen Seidenindustrie zur Weltausstellung 1929 mit Mies' berühmtem "Barcelona-Pavillon".

In Auszügen gibt nun die Eröffnungsausstellung des "Krefeld Pavillons" einen Einblick in diese Verbindung zwischen dem Bauhaus und der Krefelder Industrie. Der Innenraum, über eine breite, achtstufige Treppe betretbar, ist in acht keilförmig zum zentralen Rondell zulaufende Buchten aufgegliedert. Darin informieren Kurzfilme und ausgewähltes Dokumentarmaterial über die Krefelder Bauhaus-Tradition. Durch die hoch gelegenen, umlaufenden Fenster fällt das Tageslicht weitgehend indirekt in den Raum - viele permanente Gebäude sind für Ausstellungen weit weniger geeignet als Schüttes leichter, temporärer Bau, der in seiner anmutigen Zweckmäßigkeit den Grundforderungen des Bauhauses damit letztlich vollkommen entspricht.

Besonders fruchtbar war die Kooperation des Krefelder Seidenfabrikanten und Kunstsammlers Hermann Lange - er war der Urgroßvater der "MIK"-Kuratorin - mit Ludwig Mies van der Rohe. Ihr verdankt die Stadt nicht nur den einzigen Industriebau des letzten Bauhaus-Leiters, den eleganten Kubus des sogenannte Färberei- und HE-Gebäudes der Vereinigten Seidenwebereien AG (1930 bis 1935), sondern auch das von 1927 bis 1930 entstandene Villenpaar Haus Lange und Haus Esters. Mies entwarf diese beiden mit rotem Klinker verblendeten Stahlrahmengebäude als Privathäuser für Lange und seinen Kollegen Josef Esters.

Das „Haus Lange“ in Krefeld wurde 1928–1931 von Mies van der Rohe für Hermann Lange entworfen, Kunstsammler und Direktor der Vereinigten Seidenwebereien. (Foto: Volker Döhne)

Haus Lange, im Zweiten Weltkrieg leicht beschädigt, dient der Stadt Krefeld seit 1955 als Galerieraum für Wechselausstellungen; das etwas weniger aufwändig gestaltete Haus Esters kam in den Achtzigerjahren dazu. Nur wenige Gehminuten von Schüttes Pavillon entfernt gelegen, ist dieses einzigartige Ensemble soeben in mehr als einjähriger Arbeit grundrestauriert worden. Im Laufe des Jahres werden 16 Künstler, Designer und Architekten unter dem Motto "Anders Wohnen" hier "alternative Wohn- und Lebensmodelle" vorstellen - manche utopisch, manche dystopisch, manche dazwischen.

Bis zum Mai ist Haus Lange allerdings weitgehend einrichtungsfrei zu sehen. Durch die Sanierung kommen vor allem die Holzelemente wieder zum Tragen; das Nussbaum- und Eichenparkett, die Einbaumöbel aus Makassar-Ebenholz übernehmen dabei eine subtile, aber eindeutig dekorative Rolle und relativieren so die vermeintliche strenge Ablehnung solcher Elemente im Bauhausdenken. Die hydraulisch versenkbaren Panoramafenster, die En-Suite Badezimmer und die große Küche mit dem Küppersbusch-Originalherd sind praktisch und wirken zugleich überzeitlich elegant. Mittels einer Virtual-Reality-Brille kann der Besucher zudem im Erdgeschoss die ursprünglichen Hängungen und Platzierungen der Kirchners und Lehmbrucks aus Langes beeindruckender Kunstsammlung nachvollziehen. Ein ebenso bemerkenswert konsequentes wie seltenes Beispiel für die Umsetzung von Mies' Bauhaus-Ideen in Europa.

Nebenan, im Haus Esters, zeigte Thomas Schütte übrigens bereits 1984 gemeinsam mit Wolfgang Luy, Reinhard Mucha und anderen Mitgliedern der losen Gruppierung der "Modellbauer" aus dem Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie die Ausstellung "c/o Haus Esters". Nun hat der Künstler dieser Geschichte in Form seines Pavillons ein neues Element hinzugefügt. Es gibt den Besuchern Gelegenheit, Geschichte und Kunst dieses Ortes historisch und gegenwärtig zu erfahren.

Bauhaus und Seidenindustrie im "Krefeld Pavillon" bis 27. Oktober. Info: projektmik.com

Anders Wohnen im Kaiser Wilhelm Museum - Haus Lange Haus Esters, Krefeld, mit wechselnden Exponaten bis Januar 2020. Info: kunstmuseenkrefeld.de

© SZ vom 16.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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