Architektur:Den Meister lieben

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New York staunt über das Archiv des Architekten Frank Lloyd Wright. Die Sichtung der Skizzen, Briefe und Entwürfe dauerte fünf Jahre. Nun sind im Museum of Modern Art auch Martini-Gläser und Hausgiganten zu sehen.

Von Peter Richter

Auspacken kann, wie man von den Geburtstags- und Weihnachtspaketen her weiß, das Größte sein. Wer bei Youtube mal "unpacking" eingibt, bekommt es sogar mit einem ganzen Filmgenre zu tun, bei dem sich Leute über das Auspacken von Pokémon-Kartenpaketen stundenlang nicht wieder einkriegen; und man muss davon noch nicht einmal was verstehen, um sich an der Begeisterung zu begeistern. So in etwa muss man sich seit dem vorigen Wochenende die Stimmung im Museum of Modern Art vorstellen. Ausgepackt wird das Werk von Frank Lloyd Wright, und das MoMA hat zu seinem 150. Geburtstag am 8. Juni mit einem selbst für eigene Verhältnisse außergewöhnlich ausgelassenen Fest die Ausstellung "Unpacking the Archive" eröffnet. Denn vor fünf Jahren hat das Museum zusammen mit der Avery Library der Columbia University das Archiv des Mannes erworben, der vielen immer als der größte Architekt Amerikas galt - nicht zuletzt ihm selber. Man merkt der Ausstellung die Freude an, die es gemacht haben muss, diese Schätze aus den Kisten zu holen: 55 000 Zeichnungen, 300 000 Bögen Korrespondenz, 125 000 Fotos, 2700 Manuskripte, dazu Modelle, Filme und Baufragmente. Barry Bergdoll, der praktischerweise an beiden beteiligten Institutionen arbeitet, am MoMA als Architekturkurator und an der Columbia University als Professor hat seine Mitarbeiter in dieser Materialfülle einfach nach bestimmten Frank-Lloyd-Wright-Themen suchen lassen, die ihnen am Herzen lagen, und so ist dann auch nicht eine große Ausstellung entstanden, sondern eine großartige aus vielen vollgültigen Einzelausstellungen, die über wunderbare Detailfunde miteinander korrespondieren.

Da ist der Brief, mit dem sich der Zwanzigjährige 1887 um einen Job im Büro von Adler & Sullivan bewarb. Wright schrieb: "Lieber Meister!", auf Deutsch, und zwar sonderbarerweise an Sullivan, obwohl sein Partner Adler derjenige war, der aus Deutschland stammte. Wright hat den Job bekommen und Sullivan zeitlebens als "lieber Meister" angeredet. Einen Raum weiter liest man wiederum auf einem Brief des japanischen Architekten Arata Endo an seinen Lehrer Wright die deutschen Worte "Lieber Meister!", bevor es auf Englisch weitergeht, und zwar um das Hotel Imperial in Tokio, an dem Wright von 1913 bis 1923 gearbeitet hat (und das MoMA zeigt, wie diese Arbeit selbst vor dem Design der Teller nicht haltmachte)

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

Unter Tausenden von Skizzen des Architekten Frank Lloyd Wright fand sich das zart getönte "Winslow House, River Forest, Illinois" (1893 bis 1894).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

In den Beständen des Frank Lloyd Wright Foundation Archives sind auch Skizzen für die "March Balloons" (1926). Und für vieles mehr.

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Kindersymphonies Playhouses for the Oak Park Playground Association, Oak Park, Illinois" (1926).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Annunciation Greek Orthodox Church, Wauwatosa, Wisconsin" (1955 bis 61).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Jacobs House, Madison, Wisconsin" (1936 bis 37).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Madison Civic Center (Monona Terrace), Madison, Wisconsin" (1938 bis 59).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Plan for Greater Baghdad, Baghdad" (1957).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Unity Temple, Oak Park, Illinois" (1905 bis 08).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Gordon Strong Automobile Objective and Planetarium, Sugarloaf Mountain, Maryland" (1924 bis 25).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Raul Bailleres House, Acapulco, Mexico" (1951 bis 52).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

"Imperial Hotel, Tokyo" (1913 bis 23).

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(Foto: Frank Lloyd Wright Foundation, Scottsdale, AZ)

Und Wrights vielleicht ikonischstes Bauwerk: "Fallingwater (Kaufmann House), Mill Run, Pennsylvania" (1934 bis 37).

. Der größte Architekt Amerikas fußte offensichtlich auf deutschem Zunftverständnis und einem fast libidinösen Hang zu japanischen Linien. Man kann diese Leidenschaft an seinen Gartenbau-Präferenzen und an seinen Architekturzeichnungen verfolgen, irgendwann zeichnet er selbst ein Wohnhaus oben im kalten Wisconsin so, als hätte es ein japanischer Meister im 18. Jahrhundert auf eine Bildrolle gemalt. Die elaborierten Zeichnungen sind natürlich das Hauptmedium, und die stilistische Entwicklung ist ein Thema für sich. Ein anderes sind die Grundrissraster, gerade die nichtrechteckigen, die später die meisten von Wrights amerikanischen Häusern bestimmen sollten - und mit deren Hilfe seine Mitarbeiter nicht zuletzt auch schneller zeichnen sollten, um so den Ausstoß zu erhöhen. Und der Ausstoß ist selbst für Leute, die meinten, sich mit Wrights Werk auszukennen, beachtlich. Denn da sind auch Entwürfe für Martini-Gläser dabei, die so jazztrompetenmäßig scharf geschnitten sind, dass sie F. Scott Fitzgerald schon beim schieren Anblick in ein Entzückungsdelirium gestürzt haben dürften. Und dann sind da natürlich all die ungebaut gebliebenen Projekte, die neben den weggerissenen eine Galerie der Seufzer bilden. Dass sie Wrights Auto-Showroom in New York vor vier Jahren vernichtet haben, ist tragisch. Dass man nie in seinem kristallinen Rogers Lacy Hotel in Dallas wird absteigen können, allerdings auch. Dieser Bau war einer von Wrights Hochhaus-Entwürfen, die mit ihrer bau-bionischen Metaphorik des Pflanzenstängels wiederum ein Thema für sich sind und schließlich in dem grandiosen Projekt des Mile High Tower für Illinois gipfeln: Das MoMA zeigt eine beeindruckende Materialmenge dazu, von ersten Skizzen des tschechischen Statikers Jaroslav Polívka auf einer Restaurant-Serviette bis zu den Details dieses Turms für 100 000 Bewohner. Eine Meile, 1,6 Kilometer: Bis heute ist der höchste Turm der Welt, aktuell der Burj Khalifa in Dubai, gerade einmal halb so hoch. Das ist ein ganz schöner Sprung von dem Wohnhausentwurf im handgeschnitzten Queen-Anne-Stil, das Wright damals dem lieben Meister Sullivan in seinem Bewerbungsschreiben beigelegt hatte. Die Lebenszeit dieses Mannes überspannt aber auch das optimistische Gilded Age vor der Jahrhundertwende, die Große Depression der Dreißiger und dann den Wirtschaftsboom nach dem Krieg. Am Ende sieht man Wright selbstbewusst das neue Massenmedium Fernsehen zur Ruhmvermehrung nutzen; der Interviewer raucht vor Aufregung Kette und der weißschopfige Alte erklärt, dass er die Hochhäuser von New York nicht mag.

New York nicht zu mögen und das eigentlich Amerikanische eher in den Waagerechten des Mittelwestens zu sehen: Das macht ihn aus der Sicht heutiger Kommentatoren geradezu zu einem bauenden amerikanischen Populisten. Vor dem gegenwärtigen Debattenklima Amerikas sind nicht einmal Wrights Vorlieben für das Ländliche oder doch entschieden Vorstädtische gefeit. Aber das tut seinem Ansehen in New York trotzdem keinen Schaden. Viele New Yorker haben nie gesehen oder längst vergessen, dass das Guggenheim-Museum nicht immer so aseptisch weiß gestrahlt hat wie heute. Als es gebaut wurde, war der Anstrich so ockergelb, dass das Haus vom Stadtarchitekten Robert Moses als "gelbsüchtig" verspottet wurde. Hier im MoMA können sie nun lernen, dass Wright es ursprünglich noch ganz anders haben wollte, nämlich in einem mutigen Pink. Das Museum würde heute an der Fifth Avenue stehen wie eine Geschenkdose aus dem genderpolitisch eher traditionell eingestellten Spielzeuggeschäft "American Girl" vierzig Blocks weiter unten.

Die Museumsspirale ist aber offensichtlich für viele Amerikaner selbst in New York gar nicht das ikonischste Bauwerk von Wright. Im MoMA steht am Eröffnungstag der Ausstellung ein Enthusiast vor Wrights Zeichnung von Fallingwater, dem Sommerhaus über dem Wasserfall in Bear Springs, Pennsylvania, als wäre es die Mona Lisa der westlichen Hemisphäre. "Have you been there?", fragt er begeistert alle, die links und rechts neben ihm stehen, "Mal persönlich dagewesen?" Das ist nämlich die Kehrseite von Wrights Abneigung gegen New York und Zuneigung zum weiten Land: Seine Bauten sind so weit verstreut und zum Teil so schwer erreichbar, dass die meisten Amerikaner sie nur von den Fotos und Zeichnungen her kennen. Für Fallingwater muss man nach Pittsburgh fliegen und dann noch einmal fast vier Stunden lang durch die Wälder fahren. Dem Mann kann erklärt werden, wie interessant sich das Haus erst einmal innen ausnimmt, und auf der Rückseite. Er nickt befriedigt und sagt: "What a guy!" Wer wollte ihm da widersprechen?

"Frank Lloyd Wright at 150 - Unpacking the Archive" im Museum of Modern Art, bis 1. Oktober. Katalog 65 Dollar.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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