Welche strafrechtlichen Konsequenzen wurden eigentlich aus dem Fall Barschel gezogen? Es gab ein Verfahren gegen den Journalisten, der ins Genfer Hotelzimmer eingedrungen war, in dem der tote Ministerpräsident in der Badewann lag; wegen Hausfriedensbruch wurde der Journalist bestraft. Und was ist mit denen passiert, die im schleswig-holsteinischen Gemeinwesen, im Haus der Verfassung, gehaust haben? Wenig, nichts. Nur bei den diversen Parteispendenaffären wurden prominente Politier mit den Instrumenten des Strafrechts etwas gepiekt.
Ich sage das nicht, um von unguten Fällen von Vorverurteilung und Verdachtsberichterstattung abzulenken, die es auch gibt, sondern um den Wert und die Notwendigkeit von investigativem Journalismus zu betonen - einem Journalismus, für den etwa mein Freund Hans Leyendecker steht. Nicht der Skandal, nicht die Krise ist wirklich gefährlich. Gefährlich ist das Scheitern der Bewältigung von Skandal und Krise. Hier hat die Presse ihre Aufgabe: Moderator und Motor für Veränderungen zu sein. Das ist vielleicht noch wichtiger als das Aufdecken. Das ist Pressefreiheit.
Zeitarbeitsbüro statt Redaktion
Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, Redaktionen durch Zeitarbeitsbüros zu ersetzen. Es besteht wie noch nie seit 1945 die Gefahr, dass der deutsche Journalismus verflacht und verdummt, weil der Renditedruck steigt; weil an die Stelle von sach- und fachkundigen Journalisten Produktionsassistenten für Multimedia gesetzt werden, wieselflinke Generalisten, die von allem wenig und von nichts richtig etwas verstehen. Aus dem Beruf, der heute Journalist heißt, wird dann ein multifunktionaler Verfüller von Zeitungs- und Webseiten. Solche Verfüllungstechnik ist allerdings nicht die demokratische Kulturleistung, zu deren Schutz es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt.
Das sind die wahren Gefahren - nicht das Internet. Das Internet ist keine Gefahr, sondern eine Chance für den Journalismus. Es bietet viel billigere Distributionsmöglichkeiten für den Journalismus als bisher, der logistische Aufwand, Presse an den Mann zu bringen, fällt weg. Natürlich wird es den klassischen Print-Journalismus weiter geben. Aber dieser gute klassische Journalismus ist kein anderer Journalismus als der gute digitale Journalismus.
Bedürfnis nach Orientierung
Es gibt guten und schlechten Journalismus, in allen Medien - so einfach ist das. Guter Journalismus hat große Zeiten vor sich: Noch nie hatten Journalisten ein größeres Publikum als nach der digitalen Revolution. Noch nie war Journalismus weltweit zugänglich. Es gibt daher ein besonderes Bedürfnis nach einem orientierenden, aufklärenden, einordnenden und verlässlichen Journalismus. Die Ausweitung des wissbaren Wissens, seine horizontale Erweiterung, wird auf Kosten ihrer Vertikalisierung, ihrer Vertiefung, erwirtschaftet. Die Datenmenge nimmt zu, aber die Datenverarbeitung bleibt bisher aus. Gegen Datentrash helfen nur Reflektion und Hintergrundbildung. Das ist die gemeinsame Aufgabe von Publizistik und Wissenschaft.
Wir erleben wieder eine Kommunikationsrevolution wie 1848/49. Mich erinnern die Blogger von heute an die politisierten Bürger von 1848/49 - Blogs sind mehr Demokratie. Soll da wirklich der professionelle Journalismus die Nase hochzíehen, so wie es vor 160 Jahren die etablierten fürstlichen Herrschaften und die monarchischen Potentaten getan haben? Aber: die neue Kommunikationsrevolution braucht professionelle Begleitung, sie braucht einen publizistisch-gelehrten Kern. Es gibt ein neues, ganz anderes Professoren-Parlament: Es heißt Internet. Dieses digitale Parlament braucht, wie das damals in der Frankfurter Paulskirche, Führung und Sachverstand.
Geist setzt sich durch
Die letzte Ausgabe der "Weltbühne" vom 7. März 1933 endete mit dem Satz: "Denn der Geist setzt sich doch durch". Das ist (auch in weit weniger schwierigen Zeiten als damals) ein gutes Motto für die Publizistik. Der Geist setzt sich durch - das ist der noch nicht erfüllte Auftrag von 1848. Es gilt, eine gute, eine dauernde Verbindung zu schaffen zwischen Publizistik und Gelehrsamkeit. Der Geist setzt sich durch - das heißt, guter, kluger, aufklärerischer Journalismus setzt sich durch.
Ein kluger Journalismus ist der, der die Ressourcen der Wissenschaft nutzt. Und eine gute Wissenschaft ist die, die mit ihren Erkenntnissen in die breite Öffentlichkeit will und sich dort der Diskussion stellt. Eine solche Zusammenarbeit von Journalismus und Wissenschaft hilft dabei, die Zukunft zu gestalten. Das ist die demokratische Aufgabe der Presse. Zu diesem Zweck gibt es die Pressefreiheit.