Antisemitismus:Verschobene Wutausbrüche

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Im Münchner Literaturhaus diskutieren Götz Aly, Adriana Altaras, Igor Levit und Lady Bitch Ray über Antisemitismus. Ein spannender Abend, schade nur, dass einigen Streitthemen aus dem Weg gegangen wurde.

Von Marie Schmidt

Verräterisch für die deutsche Gesellschaft der vergangenen Jahrzehnte ist es schon, dass eine Diskussion über Antisemitismus mit einem Ausruf der Erleichterung beginnt. Die Ressentiments und die Geschichtsklitterung der AfD, die Attacken auf Menschen, die Kippa tragen, antisemitische Einstellungen im Rap, Kinder, die infolge religiösen Mobbings die Schule wechseln - all das hat ein Problem zum aktuellen Gesprächsgegenstand gemacht. Offenbar war es aber nie weg. "Es hat jetzt alles rausgespült, ich weiß endlich, wer das ist! Und es tun auch viele etwas dagegen", sagte die Schauspielerin und Autorin Adriana Altaras bei einer Podiumsdiskussion, die das Münchner Literaturhaus mit der jüdischen Literaturhandlung und dem Bayerischen Fernsehen ausgerichtet hat.

Mit ihr auf dem Podium saßen der Historiker Götz Aly, der Pianist Igor Levit und die promovierte Sprachwissenschaftlerin Reyhan Şahin, besser bekannt als Rapperin Lady Bitch Ray. Vier populäre Personen aus sehr unterschiedlichen Bereichen von Kultur und Intellektualität also, was ein gutes Zeichen dafür setzte, dass man kein Spezialproblem zu besprechen hatte. Und der Saal war bis auf den letzten Winkel voll mit Zuhörern.

Es wurde dann auch gleich angemahnt, besonders von Levit und Şahin, dass man den Judenhass nicht losgelöst betrachten dürfe, von Rassismus, Sexismus und all den anderen Ismen, die glauben, Menschen zweiter Klasse ausmachen zu können. Die Grenzen des Sagbaren hätten offenbar erst auf skandalöse Art ausgedehnt werden müssen, damit man endlich über Rassismus sprechen könne, wie es in den USA längst üblich sei, sagte Şahin.

Der Verlauf des Abends zeigte dann allerdings, inwiefern man in Deutschland noch sehr ungeübt ist in diesen Debatten. Denn es muss ja, so will es das Genre der Podiumsdiskussion, nicht nur darum gehen, übereinzukommen, dass Antisemitismus falsch ist. Stattdessen könnten sich neue Erkenntnisse, womöglich sogar im lebhaften Konflikt ausmachen lassen. Darin war das Gespräch im Literaturhaus schwergängig, man vertrat seine Positionen, wich einander aber aus, sobald sich Dissens andeutete.

Inwieweit hängen Ressentiments mit Armutsängsten zusammen? Wär doch ein gutes Thema...

Den Topos eines sogenannten muslimischen Antisemitismus räumte Şahin etwa beiseite und erklärte ihn zur Sache eines politisch-islamistischen Milieus. Als Götz Aly von Migranten aus Ländern sprach, in denen der Hass auf Israel zur Staatsräson gehöre, verwendete er die saloppe Formulierung, "diese Leute" seien jetzt eben hier. Dafür wurde er von Igor Levit zurechtgewiesen. Hinter dieser Rüge verschwand dann auch die anhängige Diskussion darüber, auf welcher Ebene der Enkulturation der Antisemitismus islamistischer Prägung zu suchen und zu bekämpfen wäre.

Ein anderes unausgetragenes Streitthema betraf die ökonomischen Bedingungen, unter denen antisemitische und xenophobe Ressentiments zunehmen. "Es geht uns so gut wie nie", sagte Götz Aly, aber gerade das lasse in den Leuten das Gefühl entstehen: "Das könnte alles enden." Davor flüchte man in kollektivistische Ideen, zumal die Freude an Differenz in Deutschland schwach ausgeprägt sei. Igor Levit, der am Freitag zuvor beim Parteitag der Grünen aufgetreten war, wollte das nicht gelten lassen. Den Umstand, dass man sensibler geworden ist für die Schwierigkeit des sozialen Aufstiegs und die Gefahr des Abstiegs, also die Diskussion über die soziale Schere, könne man nicht für aufkeimenden Rassismus verantwortlich machen. Vielmehr müsse man auch im Zusammenhang mit politischen Fragen den "panischen Erhalt eines Wirtschaftssystems" in Zweifel ziehen. Da hätte sich ein guter Streit darüber entspinnen können, welcher Liberalismus eine Gesellschaft vor Antisemitismus schützen kann. Aber Aly ging dem Thema aus dem Weg.

Auch der Moderator des Abends, der BR-Fernsehdirektor Andreas Bönte, vermochte solche Anklänge nicht herauszuhören und deckte sie mit vorbereiteten Fragen zu. Es unterliefen ihm auch ungute Rückschritte. Nachdem Levit deutlich gemacht hatte, dass er sich nicht als Jude, sondern als deutscher Bürger gegen Antisemitismus wende, wollte Bönte immer noch wissen, ob ihm das Thema nicht lästig werde, und man "sich dann schon fragt, was ist eigentlich anders an mir".

Levit reagierte erstaunlich gefasst und verschob einen Zornesausbruch auf später. Da wies er dann darauf hin, dass Debatten wie die um die Rapper Farid Bang und Kollegah oder um antisemitische Witze von Jan Böhmermann sich zu schnell auf deutsche Probleme konzentrierten: In welchem Zusammenhang der Begriff "Auschwitz" die deutsche Erinnerungskultur beschädige, oder wie es sich mit der Kunst-freiheit verhalte. Antisemitismus artikuliere sich aber allgemeiner. Im Falle von Kollegah etwa in der "Gesamtsemantik" seiner Texte und Videos, wie Şahin beipflichtete. Dass man gerade subtile Formen stärker benennen und bekämpfen müsse, darin waren sich am Ende, das so gesehen doch ein ziemlich guter Anfang war, dann wieder alle einig.

BR alpha sendet eine Aufzeichnung der Diskussion am 19. November um 20.30 Uhr.

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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