Amerikanische Literatur:Der Spielball kehrt ins Feld zurück

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Lily King erzählt in ihrem Roman "Vater des Regens" eine Familiengeschichte aus der Zeit zwischen Nixon und Obama. Im Zentrum steht die Beziehung zwischen dem Vater und seiner Tochter, die ihm nicht entkommt.

Von Ulrich Rüdenauer

Eines ist mal sicher: Dem Berufsstand des Therapeuten droht auch in Zukunft keine Krise. Dafür sorgt schon die implosionsfreudige und Neurosen begünstigende Kleinfamilie traditionellen Zuschnitts, die trotz aller Aufweichungstendenzen eine große Beharrungskraft besitzt. Familiäre Zerwürfnisse sind freilich auch eine fortwährende Inspirationsquelle für Schriftsteller - angefangen bei Sophokles und nicht endend beim Boom epischer Familiengeschichten à la Jonathan Franzen.

Lily King, die im letzten Jahr mit ihrem Roman "Euphoria" über die Ethnologin Margaret Mead in Deutschland bekannt wurde, ist eine Spezialistin für vertrackte Familienkonstellationen. Das kann man nun anhand der Übersetzung eines früheren Werks überprüfen: "Vater des Regens", im Original bereits 2010 erschienen, war ihr dritter Roman, und nicht der erste, der sich mit der Dynamik familiärer Beziehungen beschäftigte.

Wir lernen die elfjährige Daley Amory im Jahr 1974 kennen, Kind ziemlich typischer, wohlsituierter, latent frustrierter Vorortbewohner im Speckgürtel einer Großstadt an der amerikanischen Ostküste. Hier herrscht gepflegte Pool-Atmosphäre, der Vater ist trinkfreudig, aufbrausend, reaktionär, die Mutter hingegen hat sich von ihm ihre liberalen Träumereien noch nicht ganz austreiben lassen. Und dann passiert's: Während auf dem im Hintergrund flimmernden Fernsehschirm Richard Nixon sein Watergate erlebt, endet die Ehe der Amorys.

Das ist Daleys ganz persönlicher Knacks. Die Mutter verlässt samt Nachwuchs das gemeinsame Haus, nachdem ihr Gatte bei einer Party im Suff mal wieder den Spielverderber gegeben hat. Und als Daley Wochen später ihren Vater zum ersten Mal nach der Trennung der Eltern besucht, hat sich am Setting kaum etwas geändert: Drinks am Pool, eine gewisse Exzentrik, Hang zur Rechthaberei. Nur dass sich der Vater nun eine andere Familie in die Kulissen gesetzt hat - andere Frau, andere Kinder. Daley ist Gast in einem Zuhause, das einmal ihres war.

King geht es um das Beziehungsgeflecht zwischen Vater und Tochter, das in der Literatur meist eher stiefmütterlich behandelt wird. Dabei behaupten manche wissenschaftliche Studien, dass Selbstbewusstsein, Liebesfähigkeit und Erfolg von Frauen entscheidend von ihren Vätern beeinflusst werden. King spürt dieser Theorie mit ihrer Heldin nach: Man erkennt schon an diesem ersten Teil, der ein wenig klischeehaft daherkommt, dass die schmerzhafte Emanzipation von der Kleinmädchen-Illusion einer heilen Welt brüchig wird und die Sehnsucht nach dem Bild eines vollkommenen Vaters zu einer merkwürdigen Hassliebe führt.

Als geschickte Dramaturgin belässt es Lily King bei diesem Ausschnitt aus der Kindheit und macht einen Sprung in die frühen Neunzigerjahre. Die Erzählerstimme Daleys entwickelt sich, aus dem kleinen Mädchen wird eine angehende Professorin für Ethnologie, die mit allen theoretischen Wassern gewaschen ist und die unheilvolle Beziehung zu ihrem Vater hinterfragen könnte - sich aber stattdessen in etliche Widersprüche verheddert.

In diesem starken Mittelteil wird das erzählerische Talent Lily Kings offenkundig, ihr Gespür für schwankende Stimmungen und doppelbödige Dialoge: Daley, die kurz vor dem Antritt einer begehrten Stelle in Kalifornien steht, kehrt für ein paar Tage in ihre Heimatstadt zurück, um ihre zerbrochene Kindheit zu kitten. Sieben Jahre lang wurde sie zwischen der Wohnung der Mutter und "Dads Haus hin und her gespielt wie ein Ball". Das College hat sie zumindest zeitweise von dem Wunsch nach Nähe zu einem Mann befreit, der zwischen zärtlicher Anhänglichkeit und cholerischen Launen changiert, seine rassistischen und bigotten Wertvorstellungen kaum ramponiert aus den Fünfzigern in die Neunzigerjahre rettet und dessen Alkoholpegel sich stets auf oberem Don-Draper-Niveau einpendelt.

Wenige Tage nimmt sie sich, um den inzwischen Sechzigjährigen, der gerade von seiner zweiten Frau verlassen wurde, aus einer Depression zu ziehen. Es ist erstaunlich, wie es King gelingt, eine merkwürdige Verwandlung plausibel zu machen und die Selbstlügen in harmlos scheinenden Wendungen zu dekuvrieren. Die von feministischen Ideen durchdrungene Daley regrediert innerhalb kürzester Zeit zur fügsamen Tochter, die von ihrem Vater zum Bleiben genötigt wird - ein vorgetäuschter Selbstmordversuch ist nur der Höhepunkt seines Schmierentheaters. Daley gibt tatsächlich ihre Stelle in Kalifornien auf, statt weniger Tage harrt sie Monate - Schockstarre und Helfer-Syndrom zugleich - in ihrem alten Nest aus, begleitet den Vater Tag für Tag zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker, schluckt Demütigungen und lässt sich in eine Rolle zurückdrängen, der sie längst entwachsen zu sein schien.

Ein klarer Fall von Co-Abhängigkeit. Sie setzt sogar ihre Beziehung zu Jonathan aufs Spiel - zu einem Mann, der das komplette Gegenteil ihres Vaters ist, intelligent, sensibel, progressiv, schwarz. Mit anderen Worten: ein rotes Tuch für ihren alten Herrn, der den Prototyp des White Anglo-Saxon Protestant verkörpert. "Oben liege ich auf dem Bett, schluchzend wie ein Kind. Immer wieder befehle ich mir aufzustehen und abzufahren. Aber es geht nicht. Die Last der Jahre und Beschimpfungen ist wie ein Gewicht, das mich niederdrückt."

Es dauert ziemlich lange, bis sie die Spielchen und Manipulationsstrategien ihres Vaters durchschaut - oder vielleicht auch weniger durchschaut, als vielmehr ihrer eigenen Hingabe an ein falsches Ziel misstraut. Zu spät ist es nicht. Das erfahren wir im dritten Teil, der im Jahr 2008, kurz vor der Wahl Barack Obamas spielt und zwar keine Versöhnung, aber vielleicht doch so etwas wie Frieden in diesen Vater-Tochter-Kampf bringt.

Kings Buch zeigt, das wäre die eher platte Erkenntnis, dass sich familiäre Bindungen und Abhängigkeiten durchs Leben ziehen und nicht leicht abschütteln lassen. Es zeigt aber auch die fast schon demütigenden Versuche, ein weit entfernt liegendes Geschehen rückgängig zu machen. Freiheit ist ein ehrgeiziges Projekt. Manchmal gelingt es nicht einmal mit dem Tod der Eltern.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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