Amerikanische Kunst:Selbstermächtigung

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Afroamerikanische Künstler der Sechziger- und Siebzigerjahre waren lange marginalisiert. Die Londoner Tate Modern zeigt in der Ausstellung "Soul of a Nation" ihre kraftvollen Werke. Eine Einladung zur Entdeckung.

Von Alexander Menden

Im Innern eines alten Banjo-Koffers hängt ein Püppchen, ein grinsender schwarzer Mann in gestreifter Hose und gepunkteter Weste. Darunter liegt ein großes hölzernes Stück Wassermelone. Der Mann ist Sambo, Inbegriff des Stepp tanzenden "Minstrel"-Clowns der amerikanischen Südstaatenplantage, die Melone sein Lieblingsessen. Über den Püppchen ein Skelett mit einem Seil um den Hals, daneben das Foto eines gelynchten Schwarzen, umstanden von weißen Zuschauern. Mit "Sambo's Banjo" einer Assemblage von 1971, ergreift die kalifornische Künstlerin Betye Saar Besitz von rassistischen Stereotypen und kehrt sie um: Oben in der Banjokiste hat sie ein Gewehr hinter einer Plexiglasscheibe positioniert.

Wenn er es leid ist, zur Belustigung des weißen Publikums Klamauk zu machen, wird Sambo die Scheibe einschlagen, und zur Waffe greifen.

"Sambo's Banjo" ist derzeit in der Londoner Tate Modern zu sehen. Hätte Barack Obama noch im Weißen Haus residiert, als die Tate ihre Ausstellung "Soul of a Nation" eröffnete, wäre es manchem vielleicht legitim erschienen, sie als Betrachtung einer überwundenen Phase amerikanischer Geschichte zu verstehen. Das wäre falsch gewesen, aber einigermaßen verständlich: Angesichts der achtjährigen Regierungszeit eines schwarzen US-Präsidenten schien die Hoffnung angebracht zu sein, die krassesten Auswüchse von offen zur Schau getragenem Rassismus in Amerika gehörten der Vergangenheit an. Doch jetzt ist Donald Trump Präsident. Seit seinen kaum verhohlenen Sympathiebekundungen für gewalttätige "White Supremacists", seit dem mörderischen Ausgang des Aufmarschs von Neonazis in Charlottesville, wirkt die "Kunst im Zeitalter der Black Power", die in London gezeigt wird, so gegenwartsrelevant wie wohl nie seit ihrer Entstehung. Gerade hat ein Komitee der Vereinten Nationen eine Warnung vor eskalierenden Rassenspannungen in den USA ausgesprochen - eine Maßnahme, die sonst Ländern wie dem Irak, Burundi und Kirgisistan vorbehalten ist.

Die Bildsprache ist sehr unterschiedlich, oft hat sie einen propagandistischen Zug

Die rund 150 Arbeiten in "Soul of a Nation" stammen vornehmlich aus den zwei Jahrzehnten nach Martin Luther Kings Washingtoner "I have a dream"-Rede am 28. August 1963. Dass die Namen der 60 von den Kuratoren Mark Godfrey und Zoé Whitley ausgewählten Künstler - Betye Saar, Charles White, Benny Andrews - meist wenig vertraut klingen, sagt viel über die Zweigleisigkeit amerikanischer Kunstgeschichte der Sechziger- und Siebzigerjahre aus. Hier der kommerziell erfolgreiche weiße Mainstream der Warhols, Lichtensteins und Rauschenbergs, dort die wahlweise als subversive Unterströmung oder als Nebenarm marginalisierten Arbeiten schwarzer Künstler. "Soul of a Nation" stellt wichtige Fragen: Welchen Ausdruck fand das spezifische Problem der Rassenpolitik in den Werken afroamerikanischer Künstler? Und wie stark schlug sich die ethnische Zugehörigkeit dieser Künstler überhaupt in ihrem Werk nieder?

Die Schau ist nicht chronologisch geordnet, sondern orientiert sich entweder grob am Stil der Künstler oder, wo solche existierten, an der Arbeit von Gruppen, die in einer Stadt gemeinsam ausstellten. "Spiral" etwa, eine Künstlergruppe in New York. Im ersten Raum in der Tate sieht man eine Auswahl der resultierenden Gemälde, und es verwundert nicht, dass "Spiral" 1965 nur eine einzige gemeinsame Schau organisierte. Die Werke sind äußerst heterogen und variieren im Grad ihrer Politisierung. Das eindrücklichste ist sicher "America the Beautiful" von Norman Lewis, ironisch benannt nach einer patriotischen Hymne. Lange nicht wahrgenommen, hat Lewis' Kunst mittlerweile Aufnahme in den Kanon abstrakter Expressionisten gefunden.

Unterwirft, wer abstrakt arbeitet, sich den ästhetischen Ideen des Establishments?

Doch "America the Beautiful", eine Leihgabe aus der Sammlung des Filmregisseurs Spike Lee, existiert in der für Lewis uncharakteristischen Zwischenwelt der Semiabstraktion. Man kann die weißen Markierungen auf schwarzem Grund als vage geometrische Formen verstehen. Aber es ist klar, was diese geisterhaften Markierungen tatsächlich repräsentieren: Ku-Klux-Klan-Kapuzen. Während die Bildsprache des Rassenkonflikts bei Lewis Andeutung bleibt, haben viele Werke in "Soul of a Nation" einen propagandistischen Zug. Doch gerade Kunst, die in einem anderen historischen Zusammenhang vielleicht geschmäcklerisch als zu unsubtil abgetan würde, entfaltet jetzt ihre bunte, oft auch aggressive Kraft.

Wadsworth Jarrells "Black Prince" (1971), ein Malcolm-X-Porträt, besteht aus psychedelischen Buchstaben, die sich zu Parolen des radikalen Aktivisten zusammenfügen - ein typisches Beispiel der alternativen Pop-Art des Chicagoer Afri-Cobra-Kollektivs. Die New Yorkerin Faith Ringgold verweist mit "Die" (1967), einem Großformat aus ihrer "American People"-Serie, klar auf Picassos "Guernica": Blutende schwarze und weiße Menschen mit entsetzten Gesichtern kämpfen auf der Straße, während sich zwei auf dem Boden sitzende Kinder angstvoll umklammern. Ringgold hatte ursprünglich mit "All Power to the People"-Plakaten selbst zum Kampf aufgerufen. Nun verlieh sie ihrer wachsenden Angst vor der Eskalation von Rassenunruhen Ausdruck, wie sie 1964 in Harlem und 1967 in Newark ausgebrochen waren.

Dass ihre schwarze und ihre amerikanische Identität im Konflikt miteinander stehen, ist für viele Künstler dauernder Grund zur Beklemmung, aber auch Inspirationsquell. In Benny Andrews' "Did the Bear sit under the Tree?" (1969) erhebt ein schwarzer Mann die Faust gegen eine aufgerollte amerikanische Flagge - "ein Symbol, das ihn eigentlich beschützen soll", wie Andrews sagt. Der Glaube an das amerikanische Versprechen ist lebendig, wodurch die amerikanische Realität umso schmerzhafter wahrgenommen wird. Charles White - er verlor fünf Familienmitglieder durch Lynchmorde - ersetzt auf einem "Mississippi" betitelten Selbstporträt, in dem am Rand die Himmelsrichtungen eingezeichnet sind, den Pfeil, der nach Süden (in diesem Fall: nach oben) zeigen würde, durch einen blutigen Handabdruck.

Solch eingängige Symbolik erschien vielen, die sich in gleichem Maße als Aktivisten wie als Künstler verstanden, die sich den Black Panthers oder der Nation of Islam anschlossen, notwendig, um die Botschaft schwarzer Emanzipation zu vermitteln. Das führte zu teils heftiger Kritik an jenen, die, wie Virginia Jaramillo oder Al Loving, rein abstrakt arbeiteten. Theoretiker des "Black Arts Movement" begannen Anfang der Siebzigerjahre zu fordern, schwarze Kunst müsse vor allem der Ermächtigung und Selbstwertsteigerung schwarzer Amerikaner dienen. Schwarze, die abstrakt arbeiteten, versagten nicht nur in dieser Hinsicht, sie unterwürfen sich auch ästhetischen Ideen des weißen Establishments. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Jaramillo, deren eigene Familie 1965 von den berüchtigten Watts-Unruhen zur Flucht aus Los Angeles gezwungen worden war, blieb bei ihren abstrakten, fast monochromen Arbeiten. Al Loving hingegen wandte sich einem farbigeren, improvisierten Stil zu - wie ein Jazz-Musiker wollte er "konventionelles Material radikal nutzen".

Bei aller elektrisierenden Heterogenität von "Soul of a Nation" bleibt als verbindendes Element immer das Spiel von Anziehung und Abstoßung zwischen den Künstlern und einer Nation, die ja nicht zuletzt ihnen jene Seele verdankt, nach der die Schau benannt ist. Als Titelbild von Katalog und Poster haben die Kuratoren Barkley Hendricks' "Icon for My Man Superman" gewählt. Das ist einfach cool. Hendricks, der im vergangenen April mit 72 Jahren starb, eignet sich darin mit einem Superman-T-Shirt die amerikanischste aller Heldenposen an. Zugleich lässt er provokativ die Hose herunter und die "Shaft"-Sonnenbrille auf der Nase. Hier wird der schwarze Künstler zum Superhelden. Er macht sich selbst dazu, und wartet nicht darauf, dass ihn irgendjemand anders adelt.

Soul of a Nation . Art in the Age of Black Power , Tate Modern, London, bis 22. Oktober. Katalog 29,99 brit. Pfund. Info: tate.org.uk

© SZ vom 28.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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