Als Großmutter den Männern gefiel:Die Last der Schönheit

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"Diese Geschichte beginnt nämlich, als meine Mutter noch nicht geboren war" - Monika Helfer im Jahr 2018. (Foto: Rudolf Gigler/imago)

Pass auf, dass du nicht wirst wie sie: In ihrem Roman "Die Bagage" erzählt die österreichische Schriftstellering Monika Helfer von Herkunft, Familie und dem Jahr 1914.

Von Ulrich Rüdenauer

Das Fremde tritt in unterschiedlichster Gestalt auf, und immer ist es relativ, bezogen auf eine schon vorhandene Welt. Manchmal kann fremd sogar die Schönheit sein, weil sie inmitten einer unwirtlichen Umgebung Argwohn erregt. Maria, die Protagonistin in Monika Helfers Romans "Die Bagage" ist schön, sie weiß, "dass sie den Männern gefällt, nicht einen kennt sie, bei dem sie nicht sicher ist". Den Frauen im Ort gefällt sie nicht; sie sehen in ihr die Konkurrentin; eine Verführerin, obwohl Maria mit diesem Wort wohl nicht viel anzufangen wüsste. Maria und ihr Mann Josef Moosbrugger leben mit vier Kindern, zwei Kühen, einer Ziege außerhalb des Dorfes, in einem finsteren Tal, wo nur noch ein paar wenige Bauern sich angesiedelt haben. Die Moosbruggers aber kamen noch später, sodass ihnen nur der allergeringste Grund geblieben ist - "und am billigsten war der Boden, weil die Arbeit auf ihm so hart war".

Die "Bagage" werden sie genannt, weil Josefs Vater und Großvater Träger waren, solche, "die niemandem gehörten, die kein festes Dach über dem Kopf hatten, die von einem Hof zum anderen zogen und nach Arbeit fragten und im Sommer übermannshohe Heuballen in die Scheunen der Bauern trugen, das war der unterste aller Berufe, unter dem des Knechtes". Die Bagage, das ist ein Schimpfwort, und die Auserwähltheit der schönen Maria und des eigenbrötlerischen Josef ist von Anfang an eine zwiespältige Angelegenheit. Die beiden gehören nicht dazu, und das macht sie zu Objekten der Missgunst. Schönheit hilft da wenig. Im Gegenteil: Sie ist nicht Verheißung von Glück, sondern wunschloses Unglück.

Maria Moosbrugger ist die Großmutter von Monika Helfer, und die 1947 im Bregenzerwald geborene Autorin hat die Geschichte ihrer Bagage in einen Roman verwandelt. Er beginnt im Jahr 1914, als der Frieden in der vermeintlichen Vorarlberger Idylle endet. Vom Großen Krieg bekommt man hier nicht viel mit, und doch bestimmt er fortan das Leben der Moosbruggers. Josef wird eingezogen und an die Front geschickt, wie einige andere Männer des Dorfes auch. Der Postbote, der Maria wie eine Heilige anhimmelt, ist allerdings unabkömmlich; der undurchsichtige Bürgermeister Gottlieb Fink ebenfalls; den Heldentod dürfen andere sterben.

Bevor Josef Moosbrugger aufbricht, um das Habsburger Reich auf dem Feld der Ehre zu vertreten, trägt er Fink auf, ein scharfes Auge auf seine Frau zu haben. Keiner, kein Mann, soll ihr während seiner erzwungenen Abwesenheit nahekommen. Das Misstrauen ist in die traumlosen Dörfler eingeschrieben. Gerade deshalb zählt der Herrgott hier viel, obwohl es fast scheint, als hätte er diese Gegend aus den Augen verloren; sein lokaler Stellvertreter, der Pfarrer, nimmt es dafür umso genauer mit dem Katechismus und der kirchlichen Moral. Wenn es sein muss, wünscht er seinen Schäfchen die Hölle aufs Haupt, zumal wenn sie plötzlich einen Bauch vor sich hertragen, wo vorher nur ein Bäuchlein war: Maria nämlich wird schwanger, mitten im Krieg, und die Gemeinde zerreißt sich das Maul. Stammt das Kind von jenem jungen Mann aus Hannover, der plötzlich an diesem Niemandsort aufgetaucht und dann nach ein paar Tagen wieder verschwunden war? Die Erzählerin lässt wenig Zweifel daran, dass die Liebe zwischen Maria und diesem Georg zwar mächtig entfacht, aber nicht vollzogen wird.

Es gibt kein Wort zu viel, und doch sind selbst unscheinbarste Nebenfiguren plastisch

Dass Josef der Vater des heranwachsenden Kindes sein könnte - immerhin hat er seine Heimaturlaube im ehelichen Bett verbracht -, darauf kommt trotzdem niemand. Nicht einmal Josef selbst. Das Kind heißt Grete und ist die Mutter von Monika Helfer, oder zumindest ist die Biografie der früh verstorbenen Mutter in diese Figur eingeflossen. Helfer spielt mit offenen Karten: Sie macht deutlich, dass es hier um die eigene Geschichte geht; die Ich-Erzählerin gleicht der Autorin aufs Haar. Was nicht heißt, dass zwischen wahres Leben und Fiktion nicht ein Blatt Papier passen würde. Die große Kunst autobiografischen Schreibens besteht ja darin, aus dem Eigenen zu schöpfen, sich davon aber nicht erdrücken zu lassen. Die erzählerische Kraft rührt aus der Freiheit, dem Verbürgten in etwas Verborgenes zu folgen, das nur durch die Literatur lebendig werden kann.

Zwar ist Monika Helfers Text mindestens so reduziert wie der Boden der Moosbruggers karg ist: Es gibt kein Wort zu viel, keine überbordenden Beschreibungen. Und doch ist selbst die unscheinbarste der Figuren ganz präsent und plastisch. All das gelingt Helfer auf nur wenigen Seiten.

"Die Bagage" handelt von Erfahrungen, Vorstellungen und Vorurteilen, die sich über Generationen vererben, von der Großmutter über die Mutter bis zur Tochter: "Meine 'schöne' Großmutter war Vorbild und Vorwurf. Alles Gute hing an ihr, aber wenn meiner Mutter etwas an mir nicht passte, sagte sie, ich solle aufpassen, dass ich nicht werde wie sie."

Auch wenn hier das aufreibende Landleben zu Beginn des letzten Jahrhunderts nüchtern geschildert wird - ein Heimatroman ist "Die Bagage" nicht, noch nicht einmal sein Gegenteil. Das Aufklärerische geht ihm ebenso ab wie jenes existenzialistische Raunen, das man in manchen zuletzt erfolgreichen Büchern vernimmt, die vom einfachen, entsagungsreichen Leben zwischen einschüchternden Bergmassiven erzählen. Helfers "Bagage" beschreibt vielmehr auf eindrückliche Weise, changierend zwischen fiktiven und autobiografischen Ebenen, wie jeder sein eigenes Päckchen zu tragen hat und es unweigerlich den Nachkommen aufbürdet und immer so fort - an einer Stelle lesen wir von Paula, der Tochter Monika Helfers, die vor Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Am ehesten lässt sich dieses unendlich schwere Gepäck vielleicht schultern, auch das zeigt dieses Buch, wenn man daraus ein Stück Kunst macht.

Monika Helfer : Die Bagage. Roman. Carl Hanser Verlag. München 2020. 159 Seiten. 19 Euro.

© SZ vom 10.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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