Alexander Solschenizyns Begräbnis:Die Machtlosigkeit der Toten

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Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn kämpfte zeitlebens für das einfache Volk. Aus seinem letzten Weg wurde aber eine Inszenierung der Mächtigen.

Sonja Zekri

Fast sein ganzes Leben lang hat Alexander Solschenizyn mit den Mächtigen gerungen und für die einfachen Leute gekämpft, aber am Ende war er der Macht näher als dem Volk. Unter den schwarzen Kuppeln des Donskoj-Klosters in Moskau verlieren sich an diesem kalten Sommertag nur ein paar Hundert Menschen, Touristen, Journalisten, Rentner mit Plastiktüten und roten Rosen.

Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew legt Blumen nieder am Grab des Nobelpreisträgers Solschenizyn. (Foto: Foto: dpa)

Aber in der Kathedrale, wo es warm ist und nach Weihrauch riecht, sind die Wichtigen versammelt: Präsident Dmitrij Medwedjew, Moskaus Bürgermeister Jurij Luschkow und der Hof-Regisseur des Kreml, Nikita Michalkow.

Solschenizyns großrussische Manifeste, seine Aufrufe zu spiritueller Neubesinnung und sein Lob des starken Staates haben die groben Ausfälle eines autoritären Regimes in den Rang der Kunst erhoben. Und das Regime zeigt sich dankbar.

Ministerpräsident Wladimir Putin hatte am Dienstag in der Akademie der Wissenschaften Abschied genommen, wo die Leiche des Schriftstellers aufgebahrt war. Nun sind die Straßen um das Donskoj-Kloster gesperrt - für Medwedjew, nicht für Solschenizyn.

Der Literaturnobelpreisträger, diese monumentale Figur, die es mit dem gesamten Kommunismus aufgenommen hatte, liegt winzig und graugesichtig wie eine Kinderleiche in seinem Sarg, Heiligenbilder auf seinen Augen. Menschen schieben sich vorbei, von unwirschen Priestern weitergedrängt, und stehen bald wieder in der Kälte.

Einer von ihnen, Wjatscheslaw Malachin, hat mit 18 Jahren in der Schule Aufsätze über "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" geschrieben. Es war ein politisches und literarisches Erweckungserlebnis: "Doch das waren die letzten Tage Chruschtschows, danach las ich Solschenizyn nur noch in illegalen Kopien, den "Archipel Gulag", die "Krebsstation"."

"Solschenizyn war unser Homer", ergänzt Michail Trofimow. "Eine russische Marke." Er sagt wirklich Marke, brand, ein Wort, das Solschenizyn nicht mal verstanden hätte. Traurig sei es, dass so wenige gekommen seien, meint Trofimow: "Nur die Tschekisten stehen in Scharen herum". Die Geheimdienstler bewachen den Präsidenten, aber am Grab Solschenizyns hat das Ganze eine bittere Ironie: "Tschekisten haben ihn sein ganzes Leben lang begleitet und nun folgen sie ihm sogar noch im Tod", so Trofimow.

Die Internetabstimmung "Name Russlands" hat Solschenizyn posthum in die Kandidatenliste der herausragendsten Persönlichkeit des Landes aufgenommen. Vorher war ihnen der Gedanke gar nicht gekommen.

Ein widersprüchlicher Mensch

Warum wird Solschenizyn, der Befreier, der Mahner so wenig geliebt? Warum kümmern sich die Massen eher um den nächsten Urlaub, das neue Auto, anstatt sich an Russlands Wiedergeburt abzuarbeiten? Trofimow lächelt still: "Wenn ich das so unpatriotisch sagen darf: Ich finde das nicht schlimm. Mir wird ungemütlich, wenn sich Russland um seine großartige Rolle in der Welt sorgt. Je mehr Menschen an den nächsten Urlaub denken, desto besser."

Auch da hätte Solschenizyn kaum zugestimmt. Aber das beweist nicht nur, dass sein Werk größer ist als die kleingeistigen großrussischen Fantasien. Es zeigt auch die Machtlosigkeit der Toten.

Ein Stück weiter steht nämlich Eduard Limonow, narzisstischer Schriftsteller, Ex-Häftling, Anführer der verbotenen Nationalbolschewistischen Partei und glühender Putin-Kritiker. Limonow hatte am Tag zuvor in einem Interview gesagt, er habe sich stets mit Solschenizyn gemessen, denn wie dieser kämpfe auch er gegen den Staat und nun sei er "verwaist." Früher demonstrierten Limonows Anhänger für "Stalin! Berija! Gulag!", heute erweist er dem Autor des "Archipel Gulag" die letzte Ehre.

Natürlich sei er ein widersprüchlicher Mensch, hat Solschenizyn gesagt. Andererseits sei gar nicht er widersprüchlich, sondern die Welt um ihn herum.

© SZ vom 07.08.2008/sst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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