Alexander Kluge auf DVD:Kluges Werk

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Bei Filmen von Alexander Kluge hat man das Gefühl, man käme dem Kern der Welt ein Stück näher - und sei zugleich Lichtjahre entfernt. Jetzt erscheint eine DVD-Box mit Werken des Mitbegünders des Neuen Deutschen Films.

Susan Vahabzadeh

Es sind gar nicht viele Filme, die Alexander Kluge gemacht hat, man könnte sie als einen einzigen großen sehen, eine poetisch-philosophische Annäherung in Fragmenten an ein immergleiches Universum, quer durch Raum und Zeit, in dem die Figuren Wiedergänger ihrer selbst sind, in unterschiedlichen Gestalten und Entwicklungsstufen.

16 lange Filme, viele kurze, dazu ungezählte Fernsehstücke, und alles zusammen ist die Chronik eines lebenslangen Gedankengangs. Anders könnte man es ja gar nicht sortieren als in Filmen; aber bei fünf, sechs Kluge-Filmen hintereinanderweg hat man das Gefühl, man wäre dem Kern der Welt ein Stückchen näher und immer noch Lichtjahre entfernt.

Gleich als Doppelschlag ist der zu bewältigende Teil von Alexander Kluges Werk, die Kinoarbeiten, auf DVD erschienen - in der Edition Filmmuseum, die nach und nach die Filme einzeln herausbringt, und als Box mit 16 DVDs bei Zweitausendeins. Keiner hat das Oberhausener Manifest 1962 so ernst gemeint wie Kluge - es ging dort darum, einen neuen deutschen Spielfilm zu schaffen.

Und Kluge hat tatsächlich eine eigene Art des Erzählens entwickelt, die sich treu bleibt. Der Blick zurück macht einem doch sehr deutlich, wie konventionell das Kino geworden ist - was die Wildheit, die Freiheit im Denken betrifft, haben wir 30 Jahre Regression hinter uns. Genau genommen ist keiner aus dem Neuen Deutschen Film noch so präsent wie Kluge, er macht, sagt er, heimlich mit dem Kino im Fernsehen weiter.

Und irgendwie ist dann doch keiner so wenige Kompromisse eingegangen, hat sich die Anarchie seiner Gedanken so bewahrt. Einer wie er, hat Fassbinder mal geschrieben, kann doch nicht einfach 50 werden. Inzwischen ist das schon wieder ein Vierteljahrhundert her, man versteht aber immer noch, was er damit gemeint hat. Weswegen Kluges neuestes Projekt in Venedig bei den Filmfestspielen gezeigt werden wird, die in der nächsten Woche beginnen; Kluge bastelt immer noch an der Zukunft des Kinos, das andere schon aufgegeben haben.

Viereckige Gedanken

In Venedig hat, von Oberhausen mal abgesehen, Kluges Kinowerk einst seine Reise um die Welt begonnen. "Abschied von gestern (Anita G.)", gedreht 1966, gewann den Goldenen Löwen. Seine Schwester Alexandra Kluge spielt die Nomadin des Rechtssystems, eine Verfolgte, der die Gesellschaft nach dem Diebstahl einer gebrauchten Strickjacke jeden Neuanfang verwehrt. Auch hier geht es schon darum, das Gesehene weiterzudenken und zu verarbeiten, durch die Montage Raum zu schaffen für Assoziationen.

Und Kluge ist auch da schon am Rande des Dokumentarischen balanciert. "Mea culpa! Als Kluge das Kuratorium Junger Deutscher Film kreierte, hielt ich das für das Richtfest eines Elfenbeinturms ... Vielleicht kommt wirklich nichts nach, aber ein Film wie ,Abschied von gestern' war schon die Mühe wert", schrieb Joe Hembus im Rückblick. "Abschied von gestern" ist der Beginn einer Chronik, die umso vollständiger wirkt, weil sie aus so vielen Einzelteilen sich zusammensetzt; das Bild der jungen Bundesrepublik, in der die Menschen in der Enge verloren sind. "Den ganzen Terrorismus vorweggenommen sehe ich in dem Film ,Abschied von gestern'", schrieb Laurens Straub 1981.

In "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" versucht Leni Peickert - Hannelore Hoger, die bei Kluge einige grandiose Auftritte hatte - einen Reformzirkus zu gründen, der eine neue Form der Unterhaltung schaffen, eine Geschichte erzählen soll - sie entscheidet sich für die vom Alligator, den seine Besitzer nicht in ein neues Terrarium steckten, obwohl er immer größer wurde, und am Ende war er viereckig ... Eine grausame Geschichte, aber wir sind ja nicht viereckig gewachsen: "Es geht um jene Freiheit, die man auch in Ketten ausüben kann." "Artisten" ist auch ein Film übers Kino, darüber, wie sich Unterhaltung und Gegenwart vernetzen.

Mit dem Neuen Deutschen Film ist es wie mit dem Zirkusdirektor, der keine Lust hat, nach dem Zweiten Weltkrieg noch dressierte Tiere zu zeigen. Kluge selbst ist die "Patriotin", die Geschichtslehrerin seines späteren Films, die auf der Suche nach einer Vernetzung von Geschichte in der Vergangenheit gräbt und in ihrem Bewusstsein, ist Leni Peickert, die aus dem Fernsehen einen Reformzirkus macht.

Die DVDs sind auch vernetzt, online, mit Texten, die Kluge im Lauf der Zeit geschrieben hat - schon Anita G. basiert auf einer Kurzgeschichte -, und auf jeder sind zudem einige seiner kurzen Stücke, "Brutalität aus Stein" vom Anfang, aber auch neuere Sachen. Dabei kann man dann im Vergleich auch ganz gut nachvollziehen, wie er sich, wie er manche Dinge im Lauf der Jahrzehnte weiterentwickelt und vervollkommnet hat - die assoziativen Zahlenspiele beispielsweise, die Sechzehnjahrespläne des 20. Jahrhunderts in "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit", folgen genau demselben Prinzip wie heute manche der News-and-Stories-Sendungen.

Im "Angriff" sind es noch von Schauspielern gesprochene, auswendig gelernte Texte, geplant und einstudiert - heute wirken auch die getürkten Unterhaltungen ganz natürlich, was einen schönen Effekt hat - dass nämlich die Elfenbeinturm-Befürchtung nie eintrat. Wenn einem trotzdem dabei schwindlig wird, liegt das vielleicht daran, dass unsere Gedanken vom langen Eingesperrtsein viereckig geworden sind.

© SZ vom 23.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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