Alben der Woche:Zeitenwende im Kernige-Cowboys-Genre

Orville Peck erneuert den Country, Burna Boy den Hochglanz-Pop. Crack Ignaz rappt, als falle er gleich in Ohnmacht, und Whitney haben den Soundtrack zum im Gras liegen.

Whitney - "Candid" (Secretly Canadian / Cargo)

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(Foto: N/A)

Whitney, die beste Neo-Seventies-Softrock-Band der Welt, veröffentlicht ihr drittes Album: "Candid". Hach. Album der Woche. Kopfstimmen-Elegien, Trompetengedudel, grandios verpatschte Beats und sehr viel "Hmmmmmm". Hmmmmmm. Sollte man sich je gefragt haben, ob es Popmusik gibt, zu der man besser irgendwo im Gras liegen und dem Asphalt einer Nebenstraße beim Flimmern zusehen kann, sei jetzt für alle Zeiten vermerkt: nein. Nur die Coverversion von "Take Me Home, Country Roads" ist leider schlimm.

Burna Boy - "Twice As Tall" (Warner Music)

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(Foto: N/A)

Um keinen Sänger wurde im Pop in den vergangenen Monaten so viel Wind gemacht wie um den Nigerianer Damini Ogulu alias Burna Boy. Zu Recht. In Afrika ist er schon eine gute Weile ein Superstar, spätestens seit seinem 2019 erschienenen Album "African Giant" ist er auch im Westen auf dem besten Weg dahin. Die Chancen stehen gut, dass er der erste globale Popstar aus Afrika wird. Das neue, am Freitag erscheinende Album "Twice As Tall", von dem bislang erst die beiden Singles "Wonderful" und "Odogwu" zu hören sind, wurde vom amerikanischen Hip-Hop-Großwesir Sean "Diddy" Combs in Lagos co-produziert. Das Besondere an Burna Boy ist dabei, dass er sich musikästhetisch nicht dem westlichen R'n'B-Mainstreampop annähert, sondern unüberhörbar beim sanft rollenden, aber ruckligen Afrobeat bleibt. Afrobeat ist ja diese seltsam hypnotische Mischung aus energisch zuckenden Beats und betont elegischen Melodien, der sich den üblichen Knalleffekten und Songstrukturen des westlichen Highscore-Pop verweigert - aber eben etwa im Fall Burna Boy trotzdem alles andere als anstrengend avantgardistisch ist. Im Gegenteil. Das ist nichts anderes als fein glasierter Hochglanzpop, nur eben mit ganz anderen Prämissen. Ein Dokument der laufenden kulturellen Zeitenwende.

Orville Peck - "Show Pony" (Sony Music)

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(Foto: Sony Music)

Orville Peck ist ziemlich sicher bisexuell, womöglich Anfang 30 und ganz vielleicht im Nebenjob Daniel Pitout, Schlagzeuger der Punk-Band Nü Sensae. Genau weiß man das nicht. Peck ist bei öffentlichen Auftritten nämlich getarnt - mit Stetson und Fransen-Maske, und das reicht auch heute noch gut zum mittleren Pop-Mythos. Außerdem hat Peck eine Stimme, die man sich am besten wie einen übertrieben starken Espresso vorstellt, der mit schwer gezuckerter Sahne zu einer sämigen Masse verrührt wurde - ohne dabei die Farbe nennenswert zu verändern. Und mit der singt er auch auf "Show Pony" dunkel-schlierige Country-Songs über Weirdos und Freaks, über Verlorene und solche, die dringend verlorengehen wollen. Man kann die EP also ebenfalls gut als fortgesetzte Zeitenwende im Kernige-Cowboys-Genre hören. Es ist aber auch einfach sehr schöne Musik.

Crack Ignaz - "Sturm & Drang" (Crack Ignaz)

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(Foto: N/A)

Im deutschsprachigen Trap-Rap gibt es keinen Mangel an sehr guten Künstlernamen. Man denke nur an Hustensaft Jüngling oder Medikamenten Manfred. Crack Ignaz ist allerdings auch nicht schlecht. Auf seinem neuen Album "Sturm & Drang" rappt der Österreicher, wie üblich im Genre, über nervöse Snare-Beats und zähe Synthie-Schwaden so schleppend, als falle er gleich in Ohnmacht. Ach, diese Beruhigungsmittelexperimente. Ansonsten dürfte er der erste Mensch sein, der "Pfütze" auf "Sportschütze" reimt. Muss man auch erst mal drauf kommen.

The Microphones - "Microphones in 2020" (P.W. Elverum & Sun)

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(Foto: N/A)

Introspektive Indiefolk-Alben die aus einem einzigen, 44 Minuten und 44 Sekunden langen Song bestehen - yep, ein Grauen. Einerseits. Andererseits ist da jetzt dieses neue Album "Microphones in 2020" von The Microphones, dem eigentlich schon beerdigten Projekt des amerikanischen Sängers und Songwriters Phil Elverum, der in den vergangenen Jahren als Mount Eerie einige der großartigesten traurigen Platten der jüngeren Indiefolk-Geschichte veröffentlichte. Mit anderen Worten: Sollte einen dieser Tage hier und da etwas die Schwermut von der Seite anwehen, dann muss man sie gar nicht verscheuchen, sondern setzt sich einfach mit ihr 44 Minuten und 44 Sekunden auf die Couch und hört dieses Album. Alles andere fühlt sich danach plötzlich so leicht an.

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(Foto: Sony Music)

Womöglich Anfang 30, ganz vielleicht im Nebenjob Daniel Pitout, Schlagzeuger der Punk-Band Nü Sensae: Country-Sänger Orville Peck.

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