Alben der Woche:Lieber furchteinflößend als ängstlich

Lesezeit: 2 min

Wie man mit der furchteinflößenden Zeit umgeht? "Selbst furchteinflößend werden!" Florence Welch alias "Florence + The Machine". (Foto: Autumn de Wilde/dpa)

Ständige Reizüberflutung, Stress und Sorgen. Umso mehr: Kopf hoch, tanzen. Mit neuen Alben von Florence + The Machine, "The Black Keys", "Ok Kid" und "Moderat".

Von SZ-Popkritikern

(Foto: PITREDING; Label)

C'est Karma - "Amuse-Bouche"

Die Songliste auf "Amuse-Bouche" (Backseat), der EP der 20-jährigen Musikerin C'est Karma, liest sich wie die Einkaufsliste eines Filmabends. Es gibt "Spaghetti on Repeat", "Popcorn", "Gateaux" und damit man auch den dritten Film des Abends durchhält einen "Coffee". Dazu wird mit lauten Beats, hüpfenden, hallenden Klängen, knisternden Geräuschen und vor allem ganz viel Rauschen experimentiert. Erst in "Coffee" gibt es eine Experimental-Pause: "I cut my hair, paint my nails, my own thoughts taste like crime." Klappernd und murmelnd wird es hier akustisch einfacher: Klavier und tiefer Gesang nur mit leise surrenden, simplen Beats hinterlegt. In der Kaffeepause sammelt sie Energie für den letzten Song "Popcorn". Ein Lied wie eine Fahrt im Autoscooter. Alles blinkt. Alles knallt gegeneinander. Anders gesagt: ein Amüsement durch und durch. Eva Goldbach

(Foto: N/A)

The Black Keys - "Dropout Boogie"

Auf dem Cover ihres elften Albums, "Dropout Boogie" (Nonesuch/Warner), zeigen Dan Auerbach und Patrick Carney sich im Buster-Keaton-Stil als Arbeiterklasse-Vertreter - und so sehen die Black Keys sich tatsächlich. Seit 2002 haben sie sich mit ehrlicher Rock'n'Roll-Arbeit aus den Garagenblues-Löchern bis auf die Grammy-Bühne hochgearbeitet. Und wenn man das hier hört, muss man sagen: völlig zu recht. Wie die zwei ihr Hybrid aus Vintage-Sounds und Studiotrickserei gießen, wie aus eingängigem Glamrock, schrägen Balladen und staubigem Proberaum-Gedudel ein großes, lebendiges, amerikanisches Stimmungsbild entsteht, das beherrscht derzeit keine klassische Rockband so wie sie. Joachim Hentschel

(Foto: N/A)

OK Kid - "Drei"

Mit einem spektakulären, dafür aber sehr unspektakulär benannten Album meldet sich OK Kid zurück. "Drei" (OK Kid), der logische Nachfolger von "Zwei", ist fein heruntergekühlt. Der Frühling gleicht eher einem trüben Winter, mit Schneeflocken in der Jackentasche. Es geht um die Spaltung der Gesellschaft. Es geht um die menschliche Dummheit. Dafür hält das Trio sich musikalisch zurück: stumpf glitzernder Pop, ein paar Keyboards, einfache Beats, eher im Hintergrund. Und darüber eine Metaphernschlacht wie ein "einziges Feuchtgebiet von zu viel Reizüberflutung". Die Erde brennt und am besten sollten alle im Hirnregen baden, damit nicht mehr die Egos regieren. Nicht ganz rund, aber schon OK. Eva Goldbach

(Foto: N/A)

Florence + The Machine - "Dance Fever"

Währen der Pandemie hat Florence Welch, alias Florence + The Machine, sich in das Phänomen der Choreomanie eingelesen. Eine Art Gruppenritual. Man tanzt, zwanghaft und bis zur totalen Erschöpfung. Aus dem Mittelalter ist ein Fall überliefert, bei dem 400 Frauen so zu Tode gekommen sein sollen. Auch mit Horrorfilmen befasste die Britin sich intensiv. Waren ja furchteinflößende Zeiten, und für Welch, das erzählte sie zur Veröffentlichung ihres neuen Albums, sei ein Weg, damit umzugehen, "selbst furchteinflößend zu werden". Gesagt, getan. "Dance Fever" (Universal Music) ist ein sehr schönes, düster-strahlendes Indie-Alternative-Werk, das schwelgt und treibt und rebelliert, sich wegduckt, wieder hervorspringt, die Welt erschreckt und sich dabei selbst zu fürchten scheint. Vor allem tut es aber etwas, das man womöglich gar nicht hoch genug schätzen kann: Es tanzt gegen die schrecklichen Ängste der Zeit an. Jakob Biazza

(Foto: N/A)

Moderat - "More D4ta"

Sechs Jahren nach dem Vorgänger gibt es endlich "More D4ta" (Monkeytown Records) von Moderat. Das Trio ist auf dem neuen Album entspannter unterwegs und langsamer. Der Titel spielt auf die permanente Reizüberflutung in der Musik an, der man hier offenbar entgegenwirken will. Immer leicht verträumt, der Gesang tief und verzerrt, viel Rauschen, ab und an maschinelles Klappern. Dazu klangliche Kuriositäten wie Synthesizer-Vogelgezwitscher. Insgesamt irgendetwas zwischen Pop, Dance und minimalistischem Techno. "More Love" ist eine Ausnahme. Ein Gesangstück. "The night is warm, the night is gone/ She keeps on dancing". Viel Wehmut., die aber auch nicht vom Tanzen abhält. Eva Goldbach

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKatja Ebstein und Christian Bruhn zum ESC
:"Dieser einfältige Deutschbeat geht einem auf die Nerven"

1970 vertraten Katja Ebstein und Komponist Christian Bruhn Deutschland beim ESC. Ein Gespräch über Schlager, "Seelenfutter" - und warum Wagner-Werke scheußlich sind.

Interview von Willi Winkler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: